Darlehensweise Übernahme der Mietschulden bei unangemessen teurer Wohnung?
LSG Berlin-Brandenburg v. 23.8.2023 - L 31 AS 627/23 B ER
Der Sachverhalt:
Die 1973 und 1981 geborenen Antragsteller bewohnen mit ihren 2013 und 2016 geborenen Kindern eine knapp 90 m² große Wohnung. Wegen Mietrückständen von rund 5422 € hatte der Vermieter ihnen im August 2022 fristlos gekündigt einen rechtskräftigen Räumungstitel erwirkt. Mittlerweile betragen die Mietschulden 8316 €. Die aktuelle Mietbelastung beträgt monatlich rund 1371 €. Eine Mieterhöhung um 50 € soll nach Angaben des Antragsgegners zum 1.9.2023 erfolgen. Der Vermieter hat sich bereit erklärt, das Mietverhältnis fortzusetzen, falls die Schulden bis zum 30.9.2023 beglichen würden.
Die Antragsteller begehrten die darlehensweise Übernahme ihrer Mietschulden nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II). Den ersten Antrag auf Mietschuldenübernahme lehnte der Antragsgegner am 7.2.2023 ab. Am 23.2.2023 teilte das Bezirksamt, Soziale Wohnungshilfe mit, es teile die Entscheidung des Antragsgegners die Mietschuldenübernahme abzulehnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, Nachweise der zukünftigen Mietsicherung seien nicht eingereicht worden. Während des Antragzeitraums seien neue Mietschulden entstanden. Daher könne von einer zukünftigen Mietsicherung nicht ausgegangen werden, sodass der Antrag auf Mietschuldenübernahme abzulehnen sei.
Das SG hat dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig die rückständige Miete i.H.v. 8316 € darlehensweise zu gewähren. Der Antragsgegner machte im Beschwerdeverfahren geltend, die Wohnungskosten würden die Angemessenheitsgrenze übersteigen. Die Hilfegewährung zur Sicherung der Unterkunft verfolge immer das Ziel des längerfristigen Erhalts einer kostenmäßig angemessenen Unterkunft. Das LSG hat den Beschluss des SG aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Gründe:
Zwar kommt auch wenn die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch sind, die Übernahme von Mietschulden als Darlehen in Betracht, wenn die Antragsteller die Differenz zwischen angemessener Miete und tatsächlicher Miete mit den Freibeträgen aus Erwerbstätigkeit decken können und eine Prognose ergibt, dass die Freibeträge in Zukunft auch tatsächlich zu diesem Zweck verwendet werden. Dem Antragsgegner war in diesem Fall aber zuzugeben, dass nach dem bisherigen Verhalten der Antragsteller eine positive Prognose zumindest schwierig ist. Die Antragsteller haben sich seit der Kündigung durch den Vermieter in keiner Weise bemüht, etwas zum Erhalt der Wohnung beizutragen.
Der Senat war jedenfalls nicht der Auffassung, dass die Vermeidung eines Schulwechsels während eines Schuljahres schon ausreichend ist, um die Mietschulden für eine nicht angemessene Wohnung zu übernehmen. Eine Vielzahl von Kindern in der Bundesrepublik ist von einem Umzug der Eltern betroffen, der sich keineswegs zeitlich an dem Ablauf eines Schuljahres orientiert. Die von Teilen der Rechtsprechung anerkannte Ausnahme ist schon deshalb nicht überzeugend, weil nicht erklärt werden kann, warum die Wohnung auf Dauer gesichert werden muss, was wiederum Voraussetzung der Mietschuldenübernahme ist, während der Wechsel von Schülerinnen und Schülern auf andere Schulen zumindest nach Ablauf eines Halbjahres in jedem schulischen Alltag ein Normalfall ist.
Auch Folgekosten für Obdachlosigkeit lassen die Übernahme von Mietschulden nicht als gerechtfertigt erscheinen. Diese Argumentation erfolgt nicht aus einer "übergeordneten Perspektive", sie liegt schlicht neben der Sache und stellt sich daher als willkürlicher Eingriff in das vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsprogramm dar. Die Rechtmäßigkeit eines Bescheides hängt schließlich von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm ab und nicht davon, ob der Bescheid sich für die Staatskasse als wirtschaftlich sinnvoll erweist.
Der Senat geht davon aus, dass es den Antragstellern auch nach der drohenden Senkung der bisher tatsächlich übernommenen Mietkosten auf das angemessene Maß nicht gelingen wird, die nach den Maßstäben des SGB II auch nach Auffassung des Senats unangemessen teure Wohnung durch Einsatz eigener Mittel aus Freibeträgen zu finanzieren. Damit entfällt die langfristige Sicherung der Wohnung als Teil der Rechtfertigung für die Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II.
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Landesrecht Brandenburg
Die 1973 und 1981 geborenen Antragsteller bewohnen mit ihren 2013 und 2016 geborenen Kindern eine knapp 90 m² große Wohnung. Wegen Mietrückständen von rund 5422 € hatte der Vermieter ihnen im August 2022 fristlos gekündigt einen rechtskräftigen Räumungstitel erwirkt. Mittlerweile betragen die Mietschulden 8316 €. Die aktuelle Mietbelastung beträgt monatlich rund 1371 €. Eine Mieterhöhung um 50 € soll nach Angaben des Antragsgegners zum 1.9.2023 erfolgen. Der Vermieter hat sich bereit erklärt, das Mietverhältnis fortzusetzen, falls die Schulden bis zum 30.9.2023 beglichen würden.
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Auch Folgekosten für Obdachlosigkeit lassen die Übernahme von Mietschulden nicht als gerechtfertigt erscheinen. Diese Argumentation erfolgt nicht aus einer "übergeordneten Perspektive", sie liegt schlicht neben der Sache und stellt sich daher als willkürlicher Eingriff in das vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsprogramm dar. Die Rechtmäßigkeit eines Bescheides hängt schließlich von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm ab und nicht davon, ob der Bescheid sich für die Staatskasse als wirtschaftlich sinnvoll erweist.
Der Senat geht davon aus, dass es den Antragstellern auch nach der drohenden Senkung der bisher tatsächlich übernommenen Mietkosten auf das angemessene Maß nicht gelingen wird, die nach den Maßstäben des SGB II auch nach Auffassung des Senats unangemessen teure Wohnung durch Einsatz eigener Mittel aus Freibeträgen zu finanzieren. Damit entfällt die langfristige Sicherung der Wohnung als Teil der Rechtfertigung für die Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II.
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