30.09.2021

Deliktischer Schadensersatzanspruch nach Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug: Widerruf eines Geständnisses im Strafverfahren

Wird ein deliktischer Schadensersatzanspruch auf eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug gestützt, trifft den Anspruchsgegner eine gesteigerte Erwiderungslast, in deren Rahmen er konkrete Umstände für die von ihm behauptete Unwahrheit seines im Strafverfahren abgelegten Geständnisses darlegen muss. Hat er insoweit substantiiert vorgetragen, obliegt dem Anspruchsteller der Beweis der Richtigkeit des Geständnisses.

BGH v. 26.8.2021 - III ZR 189/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt im Zusammenhang mit seiner Investition in ein Kapitalanlagemodell der G-AG den Beklagten auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch. 2012 und 2013 erwarb der Kläger von der G-AG "Eigentumsurkunden" über "persönliches Baumeigentum" an angeblich insgesamt 350 gepflanzten und nummerierten Teakbäumen in verschiedenen Plantagen in Costa Rica. Nach dem Anlageprospekt sollten die Bäume nach einer "Umtriebszeit" von 20 Jahren mit "ökologisch und sozial nachhaltiger" Pflege gefällt werden. Aus dem Verkaufserlös des Holzes sollten die Anleger eine erhebliche steuerfreie Rendite erzielen.

2014 führte eine Strafanzeige zum Ende der Vertriebstätigkeit der G-AG, über deren Vermögen nachfolgend das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der einschlägig vorbestrafte Initiator des Anlagemodells und alleinige Vorstand der Gesellschaft, M. W., wurde im Dezember 2015 wegen gewerbsmäßigen Betrugs in zwei Fällen (betreffend den Vertrieb der Teakbäume und von Kautschukbäumen) rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Beklagte wurde, nachdem er sich im September 2015 schriftlich gegenüber der Staatsanwaltschaft und im April 2016 mit einer vorformulierten "Persönlichen Erklärung" in der Hauptverhandlung eingelassen hatte, im Mai 2016 wegen (einheitlicher) Beihilfe zu zwei Fällen des Betrugs rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.

Dabei wurde ihm angelastet, im Wissen um den Betrugscharakter des Anlagemodells dem Haupttäter W. zu einer Anschubfinanzierung verholfen, ihm Büroräume zur Verfügung gestellt, ihn beim Vertrieb, bei der Mitarbeitersuche, beim Erwerb und bei der Gründung von in das Geschäft eingebundenen ausländischen Gesellschaften unterstützt sowie weitere betrügerische Öko-Investments mit ihm geplant zu haben. Ferner wurde festgestellt, dass der 1943 geborene, nicht vorbestrafte Beklagte, den mit dem etwa ein Jahr älteren W. eine seit mehreren Jahrzehnten bestehende Bekanntschaft mit gelegentlichen Geschäftskontakten verbindet, keine finanziellen Vorteile aus dem Betrug gezogen hat. Die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite beruhten auf den dortigen - nach Auffassung der Strafkammer "geständigen" und durch den Inhalt eines aufgezeichneten Telefonats und zweier E-Mails bestätigten - Einlassungen des Beklagten.

Die Vorinstanzen sind jeweils ohne Beweisaufnahme aufgrund der vorgelegten Strafurteile von einer Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 2, § 830 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1, § 27 StGB (Beihilfe zum Betrug) ausgegangen. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit nach einer Quotenausschüttung des Insolvenzverwalters übereinstimmend für teilweise erledigt erklärt haben, hat das OLG - soweit von Bedeutung - auf die Berufung des Klägers unter Teilabänderung des erstinstanzlichen Urteils den Beklagten zur Zahlung von rd. 24.400 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus den "Eigentumsurkunden" verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass der Anspruch gegen ihn aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung stammt.

Auf die Revision des Beklagten, der vorinstanzlich unter Widerruf seines "Geständnisses" aus dem Strafverfahren bestritten hat, den betrügerischen Charakter des Anlagemodells der G-AG gekannt zu haben, hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung einer Partei ist im Zivilprozess nicht bindend, auch wenn die Akten eines Strafverfahrens und ein rechtskräftiges Strafurteil grundsätzlich als Beweisurkunden herangezogen werden können, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützen kann. Vielmehr muss sich der Zivilrichter seine Überzeugung im Rahmen freier Beweiswürdigung selbst bilden, wobei er regelmäßig auch nicht an einzelne Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden ist. Allerdings darf er bei engem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren ein rechtskräftiges Strafurteil nicht unberücksichtigt lassen, sondern muss sich mit dessen Feststellungen auseinandersetzen, soweit sie für seine eigene Beweiswürdigung von Bedeutung sind. Auch ein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis entfaltet im Zivilprozess nicht die Wirkungen der §§ 288, 290 ZPO, sondern ist lediglich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen zu berücksichtigen. Dabei kann es nur im Einzelfall eine so große Beweiskraft entfalten, dass es zur richterlichen Überzeugungsbildung selbst dann ausreicht, wenn es widerrufen worden ist und die beweisbelastete Gegenpartei keine weiteren Beweismittel vorgebracht hat.

Unvereinbar mit diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist es aber, strafgerichtlichen Feststellungen in der Regel zu folgen, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit von den Parteien vorgebracht werden und dem Beklagten für seine Behauptung, ein im Strafprozess abgelegtes und im folgenden Zivilverfahren widerrufenes Geständnis entspreche nicht der Wahrheit, die Darlegungs- und Beweislast aufzubürden. Allerdings erhöht es nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozesses die (sekundäre) Darlegungslast des Beklagten, wenn der Kläger seinen Anspruch durch Vorlage eines ausführlich begründeten rechtskräftigen Strafurteils schlüssig dargetan hat. Dabei ist keine den Darstellungen im Strafurteil spiegelbildliche, in sich geschlossene Schilderung des Gesamtgeschehens erforderlich. Auch bei Vorlage eines Strafurteils kann sich der Beklagte darauf beschränken, einzelne, den geltend gemachten Anspruch tragende Behauptungen des Klägers herauszugreifen und diese zu bestreiten. Denn grundsätzlich genügt eine Partei bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen, wobei es nicht darauf ankommt, wie wahrscheinlich ihre Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht.

Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen, die etwa den Zeitpunkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, nicht verlangt werden. Vielmehr ist es Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die benannten Zeugen nach Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen. Der Substantiierungspflicht ist nur dann nicht genügt, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass das Gericht aufgrund ihrer Darstellung nicht beurteilen kann, ob die Behauptung überhaupt erheblich ist, also die gesetzlichen Voraussetzungen der daran geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind. Macht der Beklagte geltend, ein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis sei unrichtig, muss er allerdings konkrete Umstände darlegen, die an dessen Wahrheit schlüssig zweifeln lassen.

Nach diesen Maßstäben musste der Beklagte, nachdem der darlegungs- und beweisbelastete Kläger zum Gehilfenvorsatz unter Bezugnahme auf das Strafurteil von Mai 2016 und die im Strafprozess abgegebenen Einlassungen sowie durch weiteren Sachvortrag schlüssig vorgetragen hatte, wegen seiner gesteigerten Erwiderungslast nicht nur auf die vom Gegner vorgebrachten Indizien und auf die Umstände eingehen, auf denen die Beweiswürdigung des Strafurteils zur subjektiven Tatseite beruhte, sondern auch auf seine - für den Beweiswert der widerrufenen Erklärungen bedeutsamen - Beweggründe zur Abgabe einer angeblich unrichtigen Einlassung im Strafprozess. Diesen Darlegungsanforderungen genügt sein Vorbringen.
BGH online
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