10.06.2024

Desinfektionskosten: Zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen

Den Geschädigten (eines Verkehrsunfalls) trifft eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der (Kfz-)Werkstatt bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise (hier: Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen - Desinfektionskosten).

BGH v. 17.4.2024 - VI ZR 348/21
Der Sachverhalt:
Der Pkw der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall am 25.8.2020 beschädigt. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers steht dem Grunde nach außer Streit. Zur Ermittlung des Schadens am Fahrzeug holte die Klägerin ein Sachverständigengutachten ein. Das Gutachten wies als Teil der Reparaturkosten einen Betrag von rd. 140 € netto für Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus aus, der sich aus zweimal rd. 55 € für "Covid Maßnahme vor Rep. 4 AW" und "Covid Maßnahme nach Rep. 4 AW" sowie je 15 € für "Schutzmat. Cov.19 vor Rep." und "Schutzmat. Cov.19 nach Rep." zusammensetzte.

Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug reparieren. Die Werkstatt stellte für Corona-Schutzmaßnahmen insgesamt rd. 160 € brutto (inklusive 16 % Mehrwertsteuer) in Rechnung, und zwar in einer ersten Rechnung je rd. 60 € netto für "Schutzmaßnahmen COVID-19 vor Rep." und "Schutzmaßnahmen COVID-19 nach Rep." und in einer zweiten Rechnung weitere 15 € netto für "Schutzmaßnahmen COVID-19". Die Beklagte lehnte eine Zahlung hierfür ab. Die Klägerin behauptet, sie habe die Rechnungen der Werkstatt beglichen.

Das AG gab der auf Zahlung von rd. 160 € nebst Zinsen gerichteten Klage in voller Höhe statt. Das LG gab ihr nur teilweise statt und verurteilte die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von rd. 30 € nebst Zinsen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Erwägungen des LG zur Höhe der ersatzfähigen Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen.

Übergibt ein Geschädigter das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden trifft, sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich i.S.v. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind; in einem solchen Fall ggf. bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann. Das Werkstattrisiko verbleibt in diesem Fall - wie bei § 249 Abs. 1 BGB - auch im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger.

Dies gilt für alle Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Ersatzfähig sind danach nicht nur solche Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen, mithin nicht zur Herstellung erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind vielmehr auch diejenigen Rechnungspositionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen. Freilich führen diese Grundsätze nicht dazu, die Reparaturkostenrechnung der Werkstatt dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB für die Instandsetzung des Fahrzeugs geschuldeten Betrag ungeprüft gleichzusetzen.

So trifft den Geschädigten eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise. Verlangt die Werkstatt bei Vertragsschluss Preise, die - für den Geschädigten erkennbar - deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieser Werkstatt als nicht erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erweisen (Auswahlverschulden). Ein Überwachungsverschulden kommt z.B. in Betracht, wenn die Rechnung - für den Geschädigten erkennbar - von einer Preisvereinbarung abweicht oder wenn die Werkstatt für den Geschädigten erkennbar deutlich überhöhte Positionen ansetzt. Die Anwendung der genannten Grundsätze zum Werkstattrisiko setzt nicht voraus, dass der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat. Soweit der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, kann er - will er das Werkstattrisiko nicht selbst tragen - die Zahlung der Reparaturkosten aber nicht an sich, sondern nur an die Werkstatt verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (dieses Risiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt.

Nach diesen Maßstäben steht der Klägerin über den vom LG zuerkannten Betrag hinaus kein Anspruch auf Erstattung weiterer Kosten für Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus zu. Das LG hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass bei der von der Klägerin durchzuführenden Plausibilitätskontrolle ein verständiger, wirtschaftlich denkender Geschädigter zu dem Schluss kommen musste, dass die Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen, wie sie bereits im Sachverständigengutachten enthalten waren und von der Werkstatt in Rechnung gestellt wurden, deutlich überhöht und in dieser Höhe nicht ersatzfähig waren. Das LG hat ohne Rechtsfehler die tatsächlich erforderlichen Kosten gem. § 287 ZPO mit rd. 30 € bemessen.

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Rechtsprechung
Tragung des Werkstattrisikos nach einem Verkehrsunfall durch den Schädiger
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ZIP 2024, 405
ZIP0064378

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