Die Auskunftspflicht einer Geldanlagenberatung kann sich auf spätere Anlageentscheidungen des Anlegers erstrecken
BGH v. 21.11.2019 - III ZR 244/18
Der Sachverhalt:
Die Beklagte beriet den Kläger über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren, vor allem in Versicherungsangelegenheiten. Auf der Suche nach einer Altersversorgung stellte ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger verschiedene Renten- oder Lebensversicherungsprodukte vor, die jedoch die Bedürfnisse des Klägers nach hoher Rendite und kurzer Laufzeit nicht erfüllen konnten.
Infolgedessen legte der Kläger Gelder bei einem Rechtsanwalt an, der ihm von der Beklagten empfohlen wurde. Dieser starb einige Jahre später. Über seinen Nachlass wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet, welches stark überschuldet war. Der Kläger forderte daher Schadensersatz von der Beklagten bezüglich seiner Geldanlagen.
Das LG gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung. Die Revision des Klägers war vor dem BGH erfolgreich. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die Gründe:
Der Schadensersatzanspruch des Klägers scheitert nicht daran, dass nach der vom Berufungsgericht gegebenen allgemeinen Begründung keine Zurechnung der Anlageentscheidung des Klägers zu der Pflichtverletzung der Beklagten bestehe.
Es besteht ein Beratungsvertrag zwischen den Parteien. Zwar wurde der ursprüngliche Beratungsvertrag über die aufgezeigten Renten- und Lebensversicherungsprodukte ergebnislos erfüllt und damit beendet. Jedoch entstand durch ein Telefonat des Mitarbeiters der Beklagten mit dem Kläger ein neuer Vertrag, der jedenfalls Auskunftspflichten der Beklagten begründete. Ein solcher Vertrag mit Haftungsfolgen kommt zumindest stillschweigend zu Stande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er auf eine Anlageentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen einer Person in Anspruch nehmen will. Der Mitarbeiter der Beklagten wies auf die Anlagemöglichkeit hin. Es war ihm erkennbar, dass der Kläger sich auf diesen Hinweis verlassen wollte.
Die Beklagte hat zudem ihre Pflichten aus diesem Vertrag verletzt. Er verpflichtete die Beklagte jedenfalls dazu, die Plausibilität der Anlage zu untersuchen und dem Kläger ihre diesbezüglichen Erkenntnisse mitzuteilen. Der Dienstleister ist somit zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichtet, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind. Dazu ist es erforderlich, dass sich der Dienstleister vorab selbst hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und der Bonität des Kapitalsuchenden informiert. Dies hat die Beklagte nicht getan.
Die Zurechnung der Anlageentscheidung des Klägers zu dieser Pflichtverletzung kann indessen nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen allgemeinen Begründung verneint werden. Die Zurechnung ist beschränkt auf diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten. Dem Schädiger sollen nur solche Folgen zugerechnet werden, die durch den Schutzzweck der Norm bzw. Vertragspflicht verhindert werden sollen.
Der Schutzzweck einer Auskunfts- oder Beratungspflicht ist nicht auf den ersten Erwerb einer Anlage nach dem Gespräch, in dem die Empfehlung ausgesprochen ist, begrenzt. Zwar bestehen im Normalfall einer Anlageberatung, die sich auf die Anlage eines Geldbetrags bezieht, Pflichten nur hinsichtlich dieser konkreten Anlageentscheidung. Es steht den Vertragsparteien jedoch frei, auch größere oder unbestimmte Risiken einzugehen. Insofern kann der Schutzzweck sogar haftungserweiternd wirken. Dies kann dann der Fall sein, wenn ein Interessent um einen Rat für die Anlage nicht lediglich eines bestimmten Geldbetrags nachsucht und der Berater in Kenntnis dessen eine Empfehlung abgibt, die sich nicht auf eine einmalige Geldanlage beschränkt, sondern eine fortbestehende Möglichkeit zur wiederholten Anlage noch unbestimmter Geldbeträge umfasst.
Das Berufungsgericht hat die nach diesen Maßstäben erforderlichen Feststellungen bisher nicht getroffen. Es ist zu beurteilen, ob die neuen Anlageentscheidungen des Klägers jeweils vom Schutzzweck der durch die Beklagte verletzten Pflicht umfasst sind.
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Die Beklagte beriet den Kläger über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren, vor allem in Versicherungsangelegenheiten. Auf der Suche nach einer Altersversorgung stellte ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger verschiedene Renten- oder Lebensversicherungsprodukte vor, die jedoch die Bedürfnisse des Klägers nach hoher Rendite und kurzer Laufzeit nicht erfüllen konnten.
Infolgedessen legte der Kläger Gelder bei einem Rechtsanwalt an, der ihm von der Beklagten empfohlen wurde. Dieser starb einige Jahre später. Über seinen Nachlass wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet, welches stark überschuldet war. Der Kläger forderte daher Schadensersatz von der Beklagten bezüglich seiner Geldanlagen.
Das LG gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung. Die Revision des Klägers war vor dem BGH erfolgreich. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die Gründe:
Der Schadensersatzanspruch des Klägers scheitert nicht daran, dass nach der vom Berufungsgericht gegebenen allgemeinen Begründung keine Zurechnung der Anlageentscheidung des Klägers zu der Pflichtverletzung der Beklagten bestehe.
Es besteht ein Beratungsvertrag zwischen den Parteien. Zwar wurde der ursprüngliche Beratungsvertrag über die aufgezeigten Renten- und Lebensversicherungsprodukte ergebnislos erfüllt und damit beendet. Jedoch entstand durch ein Telefonat des Mitarbeiters der Beklagten mit dem Kläger ein neuer Vertrag, der jedenfalls Auskunftspflichten der Beklagten begründete. Ein solcher Vertrag mit Haftungsfolgen kommt zumindest stillschweigend zu Stande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er auf eine Anlageentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen einer Person in Anspruch nehmen will. Der Mitarbeiter der Beklagten wies auf die Anlagemöglichkeit hin. Es war ihm erkennbar, dass der Kläger sich auf diesen Hinweis verlassen wollte.
Die Beklagte hat zudem ihre Pflichten aus diesem Vertrag verletzt. Er verpflichtete die Beklagte jedenfalls dazu, die Plausibilität der Anlage zu untersuchen und dem Kläger ihre diesbezüglichen Erkenntnisse mitzuteilen. Der Dienstleister ist somit zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichtet, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind. Dazu ist es erforderlich, dass sich der Dienstleister vorab selbst hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und der Bonität des Kapitalsuchenden informiert. Dies hat die Beklagte nicht getan.
Die Zurechnung der Anlageentscheidung des Klägers zu dieser Pflichtverletzung kann indessen nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen allgemeinen Begründung verneint werden. Die Zurechnung ist beschränkt auf diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten. Dem Schädiger sollen nur solche Folgen zugerechnet werden, die durch den Schutzzweck der Norm bzw. Vertragspflicht verhindert werden sollen.
Der Schutzzweck einer Auskunfts- oder Beratungspflicht ist nicht auf den ersten Erwerb einer Anlage nach dem Gespräch, in dem die Empfehlung ausgesprochen ist, begrenzt. Zwar bestehen im Normalfall einer Anlageberatung, die sich auf die Anlage eines Geldbetrags bezieht, Pflichten nur hinsichtlich dieser konkreten Anlageentscheidung. Es steht den Vertragsparteien jedoch frei, auch größere oder unbestimmte Risiken einzugehen. Insofern kann der Schutzzweck sogar haftungserweiternd wirken. Dies kann dann der Fall sein, wenn ein Interessent um einen Rat für die Anlage nicht lediglich eines bestimmten Geldbetrags nachsucht und der Berater in Kenntnis dessen eine Empfehlung abgibt, die sich nicht auf eine einmalige Geldanlage beschränkt, sondern eine fortbestehende Möglichkeit zur wiederholten Anlage noch unbestimmter Geldbeträge umfasst.
Das Berufungsgericht hat die nach diesen Maßstäben erforderlichen Feststellungen bisher nicht getroffen. Es ist zu beurteilen, ob die neuen Anlageentscheidungen des Klägers jeweils vom Schutzzweck der durch die Beklagte verletzten Pflicht umfasst sind.