25.01.2022

Dieselskandal: Zum Anspruch des Käufers auf "kleinen" Schadensersatz

Der Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs kann wahlweise auch das Fahrzeug behalten und lediglich als "kleinen" Schadensersatz die Differenz zwischen einem höheren Kaufpreis und einem ggf. niedrigeren Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags beanspruchen. Hat der Käufer ein gebraucht gekauftes Fahrzeug bis zur Klageerhebung über viele Kilometer weiter gefahren (hier: 200.000 km), so muss er sich ggf. im Wege der Vorteilsausgleichung den Wert von Nutzungen auf den "kleinen" Schadensersatz in dem Umfang anrechnen lassen, in dem der Wert der Nutzungen den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss übersteigt.

BGH v. 24.1.2022 - VIa ZR 100/21
Hintergrund:
Der vorübergehend als Hilfsspruchkörper für "Diesel-Sachen" eingerichtete VIa. Zivilsenat hat sich vorliegend im Anschluss an die Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 6.7.2021 (VI ZR 40/20) mit der Gewährung von kleinem Schadensersatz befasst.

Der Sachverhalt:
Der Kläger kaufte im September 2013 für rd. 13.000 € von einem Dritten einen Gebrauchtwagen Seat Leon, der mit einem von der beklagten Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen war. Bei Erwerb wies der Wagen eine Laufleistung von 60.400 km auf. Es war mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Nach Bekanntwerden des Abgasskandals ließ der Kläger ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen. Zum 31.12.2019 betrug die Laufleistung des Autos nach Angaben des Klägers rund 275.000 km. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Leistung des "kleinen" Schadensersatzes nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten.

AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Der VIa. Zivilsenat hat im Anschluss an die Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 6.7.2021 (VI ZR 40/20) bekräftigt, dass der Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs ein Wahlrecht hat. Er kann gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Anrechnung von Nutzungsvorteilen den gesamten Kaufpreis zurückverlangen ("großer" Schadensersatz). Er kann aber auch das Fahrzeug behalten und lediglich als "kleinen" Schadensersatz die Differenz zwischen einem höheren Kaufpreis und einem ggf. niedrigeren Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags beanspruchen. Für diese zweite Möglichkeit hat sich der Kläger entschieden, dessen Klage deshalb nicht ohne weitere Prüfung der Höhe seines Anspruchs hätte abgewiesen werden dürfen.

Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger das mit einem Kilometerstand von 60.400 km gebraucht gekaufte Fahrzeug bei Klageerhebung schon über weitere 200.000 km bis zu einem Kilometerstand von rund 275.000 km gefahren hatte. Damit steht im Raum, dass der Käufer sich im Wege der Vorteilsausgleichung den Wert von Nutzungen auf den "kleinen" Schadensersatz in dem Umfang anrechnen lassen muss, in dem der Wert der Nutzungen den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss übersteigt.

Da das LG - aus seiner Sicht konsequent - weder Feststellungen zum Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss noch zum Wert der vom Kläger gezogenen Nutzungen getroffen hat, war das Berufungsurteil im Ausspruch zum "kleinen" Schadensersatz aufzuheben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das LG zurückzuverweisen. Das Berufungsurteil hatte im Ergebnis nur insoweit Bestand, als das LG den Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten verneint hat.

Mehr zum Thema:
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BGH PM Nr. 9 vom 24.1.2022
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