17.03.2025

Dieselverfahren: Eigene Rechte der Natur

Das bestehende Recht der Europäischen Union - der acquis communautaire - weist vielfältige Anknüpfungspunkte auf, mit denen Rechte der Natur Eingang finden können. Zwar vermag der Weg einer innereuropäisch wertenden Rechtsvergleichung (Art. 6 Abs. 3 EUV) noch nicht beschritten zu werden. Allerdings hat die EU als Völkerrechtssubjekt auf dem internationalen Biodiversitätsgipfel in Montreal im Dezember 2022 das "Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework" mitgetragen.

LG Erfurt v. 17.10.2024 - 8 O 836/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger machte im Zusammenhang mit dem "Dieselskandal" einen Anspruch auf "kleinen Schadensersatz" i.H.v. 7.950 € geltend. Er hatte im Jahr 2019 ein neues Wohnmobil für 53.000 € erworben. Die Beklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeuges (Fiat Ducato), auf dem das Wohnmobil aufbaut.

Der Kläger behauptete, das Basisfahrzeug enthalte unzulässige Abschalteinrichtungen ("defeat devices"). Es handle sich zum einen um eine zeitgesteuerte Vorrichtung. Zum anderen sei das von der Beklagtenseite genutzte "Thermofenster" als temperaturabhängige Abschalteinrichtung rechtswidrig. Es sei weder zum Schutz des Motors noch der Insassen notwendig und komme während des überwiegenden Teils des Jahres zum Einsatz. Das Fahrzeug sei daher mit einem Makel behaftet und zu teuer erworben worden.

Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte hafte ihm gegenüber auf "kleinen Schadensersatz" wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus § 826 BGB, jedenfalls wegen fahrlässigen Einsatzes unzulässiger Abschalteinrichtungen aus § 823 Abs. 2 BGB. Er liege bei mind. 15 % des ursprünglichen Kaufpreises. Die Beklagte sah keinerlei Haftung auf ihrer Seite. Es fehle bereits an einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Ein etwaiger Schaden sei aufgrund der vom Kläger erlangten Vorteile vollständig aufgezehrt.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte zwar keinen Anspruch aus § 826 BGB, wohl aber aus § 823 Abs. 2 BGB auf "kleinen Schadensersatz" i.H.v. 5.300 €.

Das Wohnmobil des Klägers enthält eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines "Thermofensters". Die zumindest fahrlässig handelnde Beklagte vermochte sich nicht zu entlasten. Dem Kläger steht ein Schadensersatz in mittlerer Höhe, d.h. von 10 % des Kaufpreises, zu. Bei der konkreten Schadensbemessung war als ein wesentliches Kriterium zu berücksichtigen, dass die Beklagte Eigenrechte der Natur verletzt hat, die sich aus der Charta der Grundrechte der EU ergeben.

Das bestehende Recht der Europäischen Union - der acquis communautaire - weist vielfältige Anknüpfungspunkte auf, mit denen Rechte der Natur Eingang finden können. Zwar vermag der Weg einer innereuropäisch wertenden Rechtsvergleichung (Art. 6 Abs. 3 EUV) noch nicht beschritten zu werden. Bisher haben nämlich wohl nur Spanien und Neukaledonien Eigenrechte anerkannt, auch wenn andere Mitgliedstaaten wie Irland oder die Niederlande auf dem Weg sind. Allerdings hat die EU als Völkerrechtssubjekt auf dem internationalen Biodiversitätsgipfel in Montreal im Dezember 2022 das "Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework" mitgetragen, in dem sich in Abschnitt C der Passus findet:

".. Diese verschiedenen Wertesysteme und Konzepte, einschließlich der Rechte der Natur und der Rechte der Mutter Erde in den Ländern, die diese anerkennen, werden in dem Rahmen als integraler Bestandteil seiner erfolgreichen Umsetzung anerkannt und betrachtet."

Mit Blick auf die einzelnen der Natur zustehenden Rechte kann im Ausgang schlicht der Grundsatz übernommen werden, der nach Art. 19 Abs. 3 GG für juristische Personen gilt und in der Regel keine Probleme bereitet. Ein weiterer Begründungsansatz ist das in Art. 17 der Charta verankerte Eigentumsrecht, das auch in der deutschen Fassung "jeder Person" verliehen wird. Der Anerkennung solcher Rechte steht nicht entgegen, dass Art. 2 und weitere Chartarechte der EMRK entlehnt sind und die Konvention - bisher - wohl keine Eigenrechte der Natur kennt. Art. 52 Abs. 3 S. 2 der Charta lässt es nämlich ausdrücklich zu, dass das Recht der Union - eine autonome Rechtsordnung - "einen weiter gehenden Schutz" als die Konvention gewährt. Da zwar nicht in wissenschaftlicher Hinsicht, wohl aber in der Rechtsprechung Neuland betreten wird, wurde den Parteien umfassend rechtliches Gehör gewährt.

Es war schließlich nicht erkennbar, dass der Vertrauensschaden des Klägers - 5.300 € - durch eine Vorteilsausgleichung bereits "aufgezehrt" wäre. Das Gericht folgte hier der Auffassung der Europäischen Kommission, dass Vorteile eines Käufers nur insoweit - zur Vermeidung von ungerechtfertigter Bereicherung - vom tatsächlich entstandenen Schaden abgezogen werden können, als die Vorteile der jeweiligen Schadensposition direkt gegenüberstehen.

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