20.11.2024

Durch fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursachte Verzögerungen im Zustellungsverfahren

Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen (Anschluss an BGH v. 21.7.2023 - V ZR 215/21). Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind.

BGH v. 10.10.2024 - VII ZR 240/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt mit der Klage restlichen Werklohn. Die Beklagte beauftragte am 18.12.2013 die Klägerin mit Malerarbeiten am Bauvorhaben C. in B.. Die Parteien vereinbarten die Geltung der VOB/B sowie die Abrechnung nach Einheitspreisen. Nachdem die Klägerin in der Zeit von Januar bis Juni 2014 die Malerarbeiten teilweise erbracht hatte, wurde der Vertrag ohne schriftliche Kündigung vorzeitig beendet. Am 11.9.2015 legte die Klägerin eine erste Schlussrechnung über rd. 84.000 €, mit der sie lediglich erbrachte Leistungen abrechnete.

Im Januar 2016 verlegte die Beklagte ihren Geschäftssitz. Die neue Anschrift ist seit dem 5.1.2016 im Handelsregister eingetragen und ihrem Internetauftritt zu entnehmen. Am 22.11.2018 legte die Klägerin eine weitere Schlussrechnung über rd. 198.000 €, mit der sie darüber hinaus auch nicht erbrachte Leistungen abrechnete. Ob die Klägerin diese an die frühere Anschrift der Beklagten gerichtete Rechnung als unzustellbar zurückerhalten hat, ist zwischen den Parteien im Streit. Die Klägerin hat mit der Klage eine Vergütung i.H.v. rd. 198.000 € nebst Zinsen verlangt.

Die am 29.11.2018 beim LG eingegangene Klage weist als Zustelladresse die frühere Anschrift der Beklagten aus. Das Gericht forderte mit Kostenrechnung vom 27.12.2018 den Vorschuss für die Gerichtskosten an. Der von der Klägerin am 10.1.2019 angewiesene Vorschuss ging am Folgetag bei Gericht ein. Die Klage wurde am 23.1.2019 von dem Zusteller an der früheren Anschrift der Beklagten in den Briefkasten eines Dritten eingelegt. Dieser sandte mit einem am 4.2.2019 bei Gericht eingegangen Schreiben die Klage mit dem Vermerk zurück, eine Firma mit dem Namen der Beklagten sei dort nicht ansässig. Das LG ermittelte am 5.2.2019 anhand des Handelsregisterauszugs die aktuelle Anschrift der Beklagten und verfügte die Zustellung der Klage. Die Klage wurde der Beklagten am 12.2.2019 zugestellt.

Das LG gab der Klage in Höhe eines Betrags von rd. 11.000 € nebst Zinsen statt und wies sie im Übrigen ab. Das KG wies die Klage insgesamt ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der vom KG gegebenen Begründung kann die Klage nicht wegen Verjährung des Restwerklohnanspruchs abgewiesen werden. Die Zustellung der am 29.11.2018 beim LG eingegangenen Klageschrift am 12.2.2019 ist noch demnächst i.S.v. § 167 ZPO erfolgt.

Rechtsfehlerhaft ist insbesondere die Annahme des KG, die mit dem 31.12.2018 ablaufende Verjährungsfrist sei nicht gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch Erhebung der Klage rechtzeitig gehemmt worden. Denn die Zustellung der Klage an die Beklagte am 12.2.2019 wirkte gem. § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung am 29.11.2018 zurück. Gem. § 167 ZPO tritt die verjährungshemmende Wirkung der Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn ihre Zustellung demnächst erfolgt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Zustellung einer Klage jedenfalls dann noch demnächst erfolgt, wenn die durch den Kläger zu vertretende Verzögerung der Zustellung den Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreitet. Bei der Berechnung der Zeitdauer der Verzögerung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert. Dabei wird der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts oder der Post zurückzuführende Zeitraum nicht angerechnet. Solche Verzögerungen im Zustellungsverfahren sind der klagenden Partei auch dann nicht zuzurechnen, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung vorausgegangen ist.

Danach überschreitet die der Klägerin infolge einer etwaigen Nachlässigkeit zuzurechnende Zustellungsverzögerung den hinnehmbaren Rahmen von bis zu 14 Tagen nicht. Nach dem in der Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Sachverhalt ist eine der Klägerin zuzurechnende erhebliche Verzögerung der Klagezustellung nicht dadurch eingetreten, dass die Klägerin den Gerichtskostenvorschuss am 10.1.2019 angewiesen hat und dieser am 11.1.2019 bei Gericht eingegangen ist. Das KG hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann der Klägerin die Kostenrechnung vom 27.12.2018, mit der der Gerichtskostenvorschuss angefordert worden ist, tatsächlich zugegangen ist. In der Revisionsinstanz ist zugunsten der Klägerin daher ihre Behauptung als richtig zu unterstellen, dass ihr die Gerichtskostenrechnung - wie sich auch aus dem Datum des Eingangsstempels der von ihr als Anlage K 11 vorgelegten Kopie der Kostenrechnung vom 27.12.2018 ergibt - erst am 7.1.2019 zugegangen ist. Die Annahme des KG, dass in diesem Fall durch die Anweisung des Kostenvorschusses am 10.1.2019 und dessen Eingang am Folgetag keine der Klägerin zurechenbare Verzögerung eingetreten ist, die die Zustellung der Klage als nicht mehr demnächst i.S.d. § 167 ZPO erscheinen lässt, wird von der Revision als ihr günstig hingenommen und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Zu Unrecht hat das KG die Auffassung vertreten, dass die Verzögerung von 20 Tagen, die den Zeitraum vom gescheiterten Zustellungsversuch am 23.1.2019 bis zur erfolgreichen Zustellung am 12.2.2019 betrifft, der Klägerin in vollem Umfang zuzurechnen sei. Die Verzögerung, die dadurch entstanden ist, dass der Zusteller die Klage in den Briefkasten eines Dritten eingelegt hat, anstatt sie an das Gericht zurückzusenden, ist nicht der Klägerin zuzurechnen, weil es sich um eine Verzögerung im Geschäftsablauf des Gerichts handelt. Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind. Denn die von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Beauftragung des Zustellorgans mit der Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO) gehört zum Geschäftsbetrieb des Gerichts, das die Klage von Amts wegen zuzustellen hat (§ 253 Abs. 1, § 271 Abs. 1, § 166 Abs. 2 ZPO). Bei ordnungsgemäßer Zustellung hätte das Zustellorgan die Klage mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit unverzüglich an das Gericht zurückleiten müssen.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 167 Rückwirkung der Zustellung
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Kommentierung | BGB
§ 204 Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung
Schmidt-Räntsch in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Rechtsprechung (siehe Leitsatz)
Urteil
BGH vom 21.07.2023 - V ZR 215/21

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