09.01.2024

Ehescheidung: Härteklausel greift auch bei psychischer Erkrankung und Suizidgefährdung nicht zwingend

Eine psychische Erkrankung rechtfertigt bereits dann nicht die Anwendung der Härteklausel, wenn eine zumutbare und erfolgsversprechende Therapiemöglichkeit besteht. Dies gilt erst recht dann, wenn aufgrund der dauerhaften Unterbringung des betreffenden Ehegatten in einer Pflegeeinrichtung sichergestellt werden kann, dass auf etwaige Suizidabsichten hin die notwendigen Schritte auch tatsächlich eingeleitet werden können.

OLG Hamm v. 2.11.2023 - 4 UF 87/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind seit 1987 verheiratet. 2016 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass sie sich scheiden lassen möchte. Spätestens seit dem Jahr 2017 lebten die Beteiligten dann innerhalb desselben Hauses getrennt.

Seit Juni 2019 lebt der Antragsgegner, der jedenfalls seinerzeit schwer alkoholabhängig war, in einer Einrichtung der F. in W. Ausweislich zweier ärztlicher Bescheinigungen leidet er an einer psychiatrischen Erkrankung, nämlich einem sog. Korsakow-Syndrom infolge der Alkoholerkrankung.

Der Antragsgegner hat sich - über seinen Betreuer - gegen den Scheidungsantrag gewandt. Er macht geltend: Eine Scheidung würde den Antragsgegner, auch infolge seiner Erkrankung, psychisch sehr belasten. Es könne bis hin zu suizidalen Absichten kommen. Bislang könne der Antragsgegner sich selbst dadurch "beruhigen", dass er an seine Familien und an eine "Rückkehr nach Hause" denke. Er verweist in diesem Zusammenhang auf zwei ärztliche Bescheinigungen, aus denen ebenfalls hervorgeht, dass die Gefahr einer möglichen Suizidalität nicht sicher abgeschätzt werden könne. Eigen- und fremdgefährdende Handlungen seien bei einer Konfrontation mit einer (möglichen) Scheidung von der Antragstellerin "nicht unwahrscheinlich".

Das AG wies den Scheidungsantrag zurück. Die Beschwerde der Ehefrau führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Die Gründe:
Die Härteklausel in § 1568 BGB steht einer Scheidung nicht entgegen. Zwar kommt eine Anwendung dieser Vorschrift in Frage, wenn die Scheidung für einen Ehegatten aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes eine existenzbedrohende Wirkung mit Suizidgefährdung haben kann. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, inwieweit die Verantwortlichkeit des betreffenden Ehegatten gerade infolge einer psychischen Erkrankung und einer daraus resultierenden Fähigkeit, das eigene Verhalten zu steuern, eingeschränkt ist.

Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner sich in einer geschützten Einrichtung befindet, in der auf diese Umstände - notfalls im Wege von Maßnahmen nach dem PsychKG bei bestehender Eigen- oder Fremdgefährdung - sachgerecht reagiert werden kann und reagiert werden muss. Eine psychische Erkrankung rechtfertigt bereits dann nicht die Anwendung der Härteklausel, wenn eine zumutbare und erfolgsversprechende Therapiemöglichkeit besteht (OLG Hamm v. 23.5.1989 - 1 UF 239/88, FamRZ 1990, 60).

Das muss erst recht gelten, wenn aufgrund der dauerhaften Unterbringung des betreffenden Ehegatten in einer Pflegeeinrichtung sichergestellt werden kann, dass auf etwaige Suizidabsichten hin die notwendigen Schritte auch tatsächlich eingeleitet werden können. In einer solchen Situation ist es auch im Hinblick auf die Grundrechte des die Scheidung begehrenden Ehegatten nicht gerechtfertigt, diesem die Scheidung unter Verweis auf die Härteklausel zu versagen und ihn damit trotz des festgestellten Scheiterns der ehelichen Lebensgemeinschaft weiter an den anderen Ehegatten zu binden.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Scheidung trotz trennungsbedingter schwerer Depression
OLG Brandenburg vom 6.11.2008 - 9 UF 50/08

Handbuch:
Härteklauseln, § 1568 BGB
Hauß in Krenzler/Borth, Anwalts-Handbuch Familienrecht, 2. Aufl. 2012

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