Einordnung eines Vertrages als Verbraucherbauvertrag
BGH v. 26.10.2023 - VII ZR 25/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Stellung einer Bauhandwerkersicherung. Der Beklagte erteilte der Klägerin im Mai 2017 einen Auftrag für die Rohbauarbeiten zur Errichtung eines neuen Bürogebäudes in M. Die Klägerin stellte die Arbeiten im Dezember 2017 fertig und rechnete hierüber mit einer Schlussrechnung vom 2.5.2018, die der Beklagte vollständig beglich, ab.
Im Jahr 2018 beauftragte der Beklagte die Klägerin außerdem zu verschiedenen Zeitpunkten mit der Verlegung des Estrichs, mit der Ausführung von Trockenbauarbeiten, mit Zimmererarbeiten - insoweit jeweils nach vorheriger Einholung von Angeboten von Drittunternehmern - und mit Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses. Unter dem 27.12.2018 erstellte die Klägerin Schlussrechnungen über die Estrichverlegung, die Trockenbauarbeiten und die Zimmererarbeiten. Unter dem 28.4.2020 erstellte sie unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen eine zusammenfassende Schlussrechnung über diese Arbeiten und die Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses.
Den sich aus dieser Schlussrechnung ergebenden Betrag macht die Klägerin mit der Klage geltend. Zudem begehrt sie für den Schlussrechnungsbetrag zzgl. eines Aufschlags von 10 % eine Sicherheit i.H.v. rd. 138.000 €. Der Beklagte verlangt widerklagend die Rückzahlung von rd. 69.000 €; in dieser Höhe macht er eine Überzahlung der Rohbauarbeiten geltend.
Das LG entschied durch Teilurteil über die Klage auf Leistung einer Bauhandwerkersicherung und verurteilte den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage, der Klägerin eine Sicherung i.H.v. rd. 14.000 € zu stellen. Hiergegen legten beide Parteien Berufung ein. In seiner Berufungserwiderung erklärte der Beklagte mit dem geltend gemachten Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Rohbauarbeiten hilfsweise die Aufrechnung. Das OLG verurteilte den Beklagten, der Klägerin eine Bauhandwerkersicherung i.H.v. rd. 90.000 € zu stellen, und wies die Berufungen im Übrigen zurück. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG beurteilt rechtsfehlerfrei, dass ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Stellung einer Sicherheit gem. § 650f Abs. 1 Satz 1 BGB nicht nach § 650f Abs. 6 Nr. 2 Fall 1 BGB ausgeschlossen ist. Bei den zwischen den Parteien geschlossenen Verträgen handelt es sich nicht - wie in § 650f Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 BGB vorausgesetzt wird - um einen Verbraucherbauvertrag gem. § 650i BGB.
Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden, dass es zur Erfüllung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verbraucher-bauvertrags nach der gesetzlichen Definition in § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB ("Verträge, durch die der Unternehmer von einem Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet wird") nicht genügt, dass der Unternehmer die Verpflichtung zur Erbringung eines einzelnen Gewerks im Rahmen eines Neubaus eines Gebäudes übernimmt. Die von dem Unternehmer als Erfolg geschuldete Herstellung des versprochenen Werkes (§ 631 Abs. 1 BGB) in der Form der Herstellung einer Sache (§ 631 Abs. 2 Fall 1 BGB) muss vielmehr in dem Bau eines neuen Gebäudes bestehen, wofür es nicht ausreicht, einen Erfolg zu versprechen, der auf einen Teil des Baus eines neuen Gebäudes beschränkt ist. Diese Voraussetzungen gelten aufgrund des Verweises auch im Rahmen von § 650f Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 BGB. Hiernach liegen hinsichtlich keines der zwischen den Parteien im Jahr 2018 geschlossenen Bauverträge die notwendigen Voraussetzungen für einen Verbraucherbauvertrag vor.
Anders als die Revision meint, ist der Tatbestand von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB durch die hier erfolgte sukzessive Beauftragung nicht erfüllt. Bei der Beurteilung, ob es sich um einen Verbraucherbauvertrag i.S.v. § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB handelt, kommt es nicht auf die Gesamtheit aller dem Unternehmer sukzessive im Verlauf der Bauarbeiten erteilten selbständigen Aufträge an. Das folgt bereits aus allgemeinen Grundsätzen, wonach jeder selbständige Vertrag nach seinem Inhalt und den für diesen Vertrag geltenden Maßstäben zu beurteilen ist. Es gibt keine Veranlassung, hiervon im Rahmen von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB für Fälle eine Ausnahme zu machen, in denen sich der Unternehmer zunächst zum Bau eines Teils eines neuen Gebäudes verpflichtet und anschließend während oder nach der Durchführung der hiernach geschuldeten Arbeiten mit weiteren Leistungen an diesem Bauvorhaben beauftragt wird.
Wollte man in derartigen Fällen alle beauftragten Gewerke insgesamt in den Blick nehmen, lägen die Voraussetzungen eines Verbraucherbauvertrags erst in dem Moment vor, in dem ein Vertrag geschlossen wird, der zusammen mit den zuvor geschlossenen Verträgen Verpflichtungen begründet, die als Bau eines neuen Gebäudes zu qualifizieren wären. Dieser Umstand kann zu diesem Zeitpunkt weder rechtfertigen, dass der zuletzt geschlossene Vertrag nunmehr - abweichend von seinem Inhalt - als Verbraucherbauvertrag zu qualifizieren ist, noch, dass dieser und rückwirkend alle Verträge zu Verbraucherbauverträgen werden. Vorliegend sind die Aufträge zur Verlegung des Estrichs sowie der Ausführung von Trockenbauarbeiten, Zimmererarbeiten und Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses jeweils selbständig nach Abschluss der Rohbauarbeiten sukzessive erteilt worden. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Rohbauarbeiten und aus diesen Verträgen insgesamt ausreichen würden, um anzunehmen, dass sie den "Bau eines neuen Gebäudes" umfassen, weil auf sie mehr als 80 % der insgesamt zu erwartenden Vergütung entfalle. Es kommt außerdem nicht darauf an, dass unklar ist, warum dabei der Vertrag über die Rohbauarbeiten berücksichtigt werden könnte, auf den das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung anwendbar ist.
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Stellung einer Bauhandwerkersicherung. Der Beklagte erteilte der Klägerin im Mai 2017 einen Auftrag für die Rohbauarbeiten zur Errichtung eines neuen Bürogebäudes in M. Die Klägerin stellte die Arbeiten im Dezember 2017 fertig und rechnete hierüber mit einer Schlussrechnung vom 2.5.2018, die der Beklagte vollständig beglich, ab.
Im Jahr 2018 beauftragte der Beklagte die Klägerin außerdem zu verschiedenen Zeitpunkten mit der Verlegung des Estrichs, mit der Ausführung von Trockenbauarbeiten, mit Zimmererarbeiten - insoweit jeweils nach vorheriger Einholung von Angeboten von Drittunternehmern - und mit Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses. Unter dem 27.12.2018 erstellte die Klägerin Schlussrechnungen über die Estrichverlegung, die Trockenbauarbeiten und die Zimmererarbeiten. Unter dem 28.4.2020 erstellte sie unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen eine zusammenfassende Schlussrechnung über diese Arbeiten und die Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses.
Den sich aus dieser Schlussrechnung ergebenden Betrag macht die Klägerin mit der Klage geltend. Zudem begehrt sie für den Schlussrechnungsbetrag zzgl. eines Aufschlags von 10 % eine Sicherheit i.H.v. rd. 138.000 €. Der Beklagte verlangt widerklagend die Rückzahlung von rd. 69.000 €; in dieser Höhe macht er eine Überzahlung der Rohbauarbeiten geltend.
Das LG entschied durch Teilurteil über die Klage auf Leistung einer Bauhandwerkersicherung und verurteilte den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage, der Klägerin eine Sicherung i.H.v. rd. 14.000 € zu stellen. Hiergegen legten beide Parteien Berufung ein. In seiner Berufungserwiderung erklärte der Beklagte mit dem geltend gemachten Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Rohbauarbeiten hilfsweise die Aufrechnung. Das OLG verurteilte den Beklagten, der Klägerin eine Bauhandwerkersicherung i.H.v. rd. 90.000 € zu stellen, und wies die Berufungen im Übrigen zurück. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
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Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden, dass es zur Erfüllung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verbraucher-bauvertrags nach der gesetzlichen Definition in § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB ("Verträge, durch die der Unternehmer von einem Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet wird") nicht genügt, dass der Unternehmer die Verpflichtung zur Erbringung eines einzelnen Gewerks im Rahmen eines Neubaus eines Gebäudes übernimmt. Die von dem Unternehmer als Erfolg geschuldete Herstellung des versprochenen Werkes (§ 631 Abs. 1 BGB) in der Form der Herstellung einer Sache (§ 631 Abs. 2 Fall 1 BGB) muss vielmehr in dem Bau eines neuen Gebäudes bestehen, wofür es nicht ausreicht, einen Erfolg zu versprechen, der auf einen Teil des Baus eines neuen Gebäudes beschränkt ist. Diese Voraussetzungen gelten aufgrund des Verweises auch im Rahmen von § 650f Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 BGB. Hiernach liegen hinsichtlich keines der zwischen den Parteien im Jahr 2018 geschlossenen Bauverträge die notwendigen Voraussetzungen für einen Verbraucherbauvertrag vor.
Anders als die Revision meint, ist der Tatbestand von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB durch die hier erfolgte sukzessive Beauftragung nicht erfüllt. Bei der Beurteilung, ob es sich um einen Verbraucherbauvertrag i.S.v. § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB handelt, kommt es nicht auf die Gesamtheit aller dem Unternehmer sukzessive im Verlauf der Bauarbeiten erteilten selbständigen Aufträge an. Das folgt bereits aus allgemeinen Grundsätzen, wonach jeder selbständige Vertrag nach seinem Inhalt und den für diesen Vertrag geltenden Maßstäben zu beurteilen ist. Es gibt keine Veranlassung, hiervon im Rahmen von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB für Fälle eine Ausnahme zu machen, in denen sich der Unternehmer zunächst zum Bau eines Teils eines neuen Gebäudes verpflichtet und anschließend während oder nach der Durchführung der hiernach geschuldeten Arbeiten mit weiteren Leistungen an diesem Bauvorhaben beauftragt wird.
Wollte man in derartigen Fällen alle beauftragten Gewerke insgesamt in den Blick nehmen, lägen die Voraussetzungen eines Verbraucherbauvertrags erst in dem Moment vor, in dem ein Vertrag geschlossen wird, der zusammen mit den zuvor geschlossenen Verträgen Verpflichtungen begründet, die als Bau eines neuen Gebäudes zu qualifizieren wären. Dieser Umstand kann zu diesem Zeitpunkt weder rechtfertigen, dass der zuletzt geschlossene Vertrag nunmehr - abweichend von seinem Inhalt - als Verbraucherbauvertrag zu qualifizieren ist, noch, dass dieser und rückwirkend alle Verträge zu Verbraucherbauverträgen werden. Vorliegend sind die Aufträge zur Verlegung des Estrichs sowie der Ausführung von Trockenbauarbeiten, Zimmererarbeiten und Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses jeweils selbständig nach Abschluss der Rohbauarbeiten sukzessive erteilt worden. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Rohbauarbeiten und aus diesen Verträgen insgesamt ausreichen würden, um anzunehmen, dass sie den "Bau eines neuen Gebäudes" umfassen, weil auf sie mehr als 80 % der insgesamt zu erwartenden Vergütung entfalle. Es kommt außerdem nicht darauf an, dass unklar ist, warum dabei der Vertrag über die Rohbauarbeiten berücksichtigt werden könnte, auf den das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung anwendbar ist.
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