19.11.2024

Einstweiliger Rechtsschutz: Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung durch Fristverlängerungsantrag

Bereits durch einen Antrag auf eine nur kurze Fristverlängerung kann der Antragssteller in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erkennen geben, dass er nicht derart dringlich auf die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz angewiesen ist, dass es ihm nicht zuzumuten wäre, auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden. Infolgedessen kann die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG als entkräftet angesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine Stattgabe des Antrags im Ergebnis nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt.

OLG München v. 25.7.2024 - 29 U 3362/23 e
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung um lauterkeitsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit den Vorgaben der europäischen Kosmetikverordnung für Nagellack. Konkret ging es um eine bestimmte Werbung für Nagellackprodukte, die die Antragsgegnerin unterlassen sollte.

Die Antragstellerin stellte mit Schriftsatz vom 9.6.2023 den Antrag, die an diesem Tag, einem Freitag, ablaufende Frist zur Stellungnahme bis Montag, den 12.6.2023, zu verlängern, weil wegen des Feiertages in Bayern und Nordrhein-Westfalen am vorangegangenen Donnerstag eine Freigabe der Antragstellerin zum Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten noch ausgestanden habe.

Das AG gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung teilweise statt. Die Berufung der Antragsgegnerin dagegen hatte überwiegend Erfolg.

Die Gründe:
Die Berufung ist begründet, weil es an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund fehlt, da die Antragstellerin durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass sie nicht derart dringlich auf die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz angewiesen ist, dass es ihr nicht zuzumuten wäre, auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden. Infolgedessen ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG als entkräftet anzusehen.

Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG kann auch noch während des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung widerlegt werden.

Im Regelfall widerlegen Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge auch eine gesetzliche Dringlichkeitsvermutung, wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden (vgl. OLG Hamm v. 19.8.2021 - 4 U 57/21). Mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht nämlich in aller Regel eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde.

Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine Stattgabe des Antrags im Ergebnis nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt (vgl. KG v. 14.8.2023 - 5 W 117/23).

Das Gericht braucht den Antragsteller bei Verlängerung einer Frist auch nicht darauf hinzuweisen, dass diese zum Wegfall der Dringlichkeit führen kann.

Gemessen an diesen Maßstäben hat sich die Antragstellerin vorliegend dringlichkeitsschädlich verhalten, indem sie mit Schriftsatz vom 9.6.2023 den Antrag gestellt hat, die an diesem Tag, einem Freitag, ablaufende Frist zur Stellungnahme bis Montag, den 12.6.2023, zu verlängern, weil wegen des Feiertages in Bayern und Nordrhein-Westfalen am vorangegangen Donnerstag eine Freigabe der Antragstellerin zum Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten noch ausgestanden habe. Nach dem oben Gesagten kommt es vorliegend nicht darauf an, ob durch die Fristverlängerung eine Verzögerung des Verfahrens zu befürchten war oder tatsächlich eintrat.

Es kommt auch nicht darauf an, ob der Grund für den Fristverlängerungsantrag in der Sphäre des Prozessbevollmächtigten oder - wofür der Hinweis auf eine ausstehende Freigabe eines Schriftsatzes spricht - in derjenigen der Antragstellerin selbst lag, da auch die Mitarbeiter der Antragstellerin die Verfügungssache vorrangig - gerade im Hinblick auf einen nahenden Feiertag an ihrem Sitz in Nordrhein-Westfalen am 8.6.2023 - zu bearbeiten hatten.

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