Elternunterhalt: Was ist ein angemessener Selbstbehalt?
OLG München v. 6.3.2024, 2 UF 1201/23 e
Der Sachverhalt:
Verfahrensgegenstand ist der auf den Antragsteller als überörtlicher Sozialhilfeträger nach § 1601 BGB, § 94 Abs. 1 SGB XII übergegangene Anspruch der psychisch kranken Mutter des Antragsgegners auf Elternunterhalt für den Zeitraum 1.8.2020 bis 31.12.2021. In diesem Zeitraum hat der Antragsteller Sozialhilfeaufwendungen i.H.v. 61.663 € an die Leistungsberechtigte erbracht. Die Hilfegewährung dauert fort.
Bereits am 10.7.2017 hatte der Antragsteller den Antragsgegner zur Auskunftserteilung über sein Einkommen und sein Vermögen aufgefordert. Die Auskünfte erteilte dieser im Oktober 2017. Am 4.8.2021 forderte der Antragsteller den Antragsgegner erneut zur Vorlage von Einkommensnachweisen auf. Dabei stellte sich raus, dass dieser im Jahr 2020 ein monatliches Nettoeinkommen von 5.349 € und im Jahr 2021 von 5.304 € erhalten hatte. Zu den Mietkosten i.H.v. 1.790 € machte er zusätzliche Altersvorsorge i.H.v. 873 € in Form von Lebensversicherungen geltend, sowie eine Sparrate i.H.v. 450 € monatlich, die auf seinem Girokonto verbleibt.
Das AG wies den Antrag auf Unterhalt i.H.v. 11.517 €, sowie den Antrag auf Auskunft über das vorhandene Vermögen des Antragsgegners zurück. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.
Die Gründe:
Der Antragsgegner ist zur Zahlung von Elternunterhalt aus übergegangenem Recht nicht leistungsfähig.
Durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.12.2019 wurde der Übergang des Anspruchs auf Elternunterhalt nach §§ 1601 ff BGB auf den Träger der Sozialhilfe grundlegend neu geregelt und findet nunmehr nur noch dann statt, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen die Jahresobergrenze von 100.000 € brutto übersteigt, § 91 Absatz 1a SGB XII i.V.m. § 16 SGB IV. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur noch leistungsstarke Kinder zur Finanzierung des Elternunterhalts in Anspruch zu nehmen, kann nicht ohne Einfluss auf die Frage der Bemessung des Selbstbehalts und damit der Leistungsfähigkeit in derartigen Fällen sein.
Entsprechend geben die Süddeutschen Leitlinien unter Ziffer 21.3.3 nunmehr nur noch folgendes vor: Bei der Bemessung des Selbstbehalts gegenüber Eltern sind Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 zu beachten. Allerdings ist entgegen dem Vorbringen der Beschwerde eine Differenzierung des Selbstbehalts nach den Süddeutschen Leitlinien für das Jahr 2020 und den Süddeutschen Leitlinien für das Jahr 2021 nicht angezeigt. Die noch vor Verabschiedung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes erfolgte Neufestsetzung der Selbstbehaltssätze durch die Leitlinienkonferenz der OLG für das Jahr 2020 auf 2.000 € hat nach Inkrafttreten des Gesetzes keine die Rechtsprechung bindende Wirkung. Nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes gelten die Kriterien für die Angemessenheit des Selbstbehalts für das Jahr 2020 und das Jahr 2021 gleichermaßen. Auch soweit der Beschwerdeführer vorgebracht hat, einige OLG hätten in ihren Leitlinien einen Selbstbehalt gegenüber Eltern i.H.v. 2.500 € festgelegt, ist klarzustellen, dass es sich bei den Leitlinien der OLG lediglich um Richtlinien zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung in den jeweiligen Bezirken handelt und die Leitlinien andere OLG nicht binden.
Infolgedessen ist der Selbstbehalt mit 5.500 € netto monatlich anzusetzen. Dies entspricht der BGH-Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt, wonach i.S. einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen ist, dass ein Einkommen bis zum Doppelten des Höchstsatzes der D. Tabelle von den Ehegatten konsumiert werde, was zur Folge hat, dass bis zu einem Unterhaltsbedarf von 5.500 € von dessen vollständigem Verzehr auszugehen ist. Nimmt man das Bekenntnis zur Lebensstandardgarantie im Elternunterhalt ernst, wäre bei vollständigem Einkommensverzehr zur Finanzierung des Lebensstandards eine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben. Wenn andererseits i.S. einer tatsächlichen Vermutung nach der Rechtsprechung davon auszugehen ist, dass ein Nettoeinkommen von bis zu 5.500 € vollständig für den Lebensunterhalt verbraucht wird und daraus Vermögensrücklagen nicht gebildet werden, ist es konsequent, den Selbstbehalt im Elternunterhalt auf dieses Niveau anzuheben.
Angesichts der Höhe des pauschalen Selbstbehalts von 5.500 € monatlich ist eine Erhöhung um die Hälfte des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden anrechenbaren Einkommens entsprechend dem vom BGH entwickelten Modell nicht mehr angebracht. Es erscheint angemessen, die Verwendung des Eigenbedarfs keiner weiteren Kontrolle zu unterwerfen und auch keine Kreditraten, Wohnvorteile oder Mietbelastungen sowie Aufwendungen für Besuchsfahrten etc. anzuerkennen. Allerdings ist eine zusätzliche Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen wohl zu berücksichtigen. Dies war hier jedoch unerheblich, da der Antragsgegner auch ohne Erhöhung des Selbstbehalts wegen erhöhter Wohnkosten und ohne Abzug der zusätzlichen Altersvorsorge mit einem monatlichen Nettoeinkommen nach Abzug der gesetzlichen Abgaben mit 5.349 € (im Jahr 2020) bzw. 5.304 € (im Jahr 2021) unterhalb des Selbstbehalts von 5.500 € liegt.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des BGH, § 70 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 FamFG. Zur Frage der Höhe des angemessenen Selbstbehalts im Rahmen des Elternunterhalts nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes liegt noch keine obergerichtliche Rechtsprechung vor.
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Bayern.Recht
Verfahrensgegenstand ist der auf den Antragsteller als überörtlicher Sozialhilfeträger nach § 1601 BGB, § 94 Abs. 1 SGB XII übergegangene Anspruch der psychisch kranken Mutter des Antragsgegners auf Elternunterhalt für den Zeitraum 1.8.2020 bis 31.12.2021. In diesem Zeitraum hat der Antragsteller Sozialhilfeaufwendungen i.H.v. 61.663 € an die Leistungsberechtigte erbracht. Die Hilfegewährung dauert fort.
Bereits am 10.7.2017 hatte der Antragsteller den Antragsgegner zur Auskunftserteilung über sein Einkommen und sein Vermögen aufgefordert. Die Auskünfte erteilte dieser im Oktober 2017. Am 4.8.2021 forderte der Antragsteller den Antragsgegner erneut zur Vorlage von Einkommensnachweisen auf. Dabei stellte sich raus, dass dieser im Jahr 2020 ein monatliches Nettoeinkommen von 5.349 € und im Jahr 2021 von 5.304 € erhalten hatte. Zu den Mietkosten i.H.v. 1.790 € machte er zusätzliche Altersvorsorge i.H.v. 873 € in Form von Lebensversicherungen geltend, sowie eine Sparrate i.H.v. 450 € monatlich, die auf seinem Girokonto verbleibt.
Das AG wies den Antrag auf Unterhalt i.H.v. 11.517 €, sowie den Antrag auf Auskunft über das vorhandene Vermögen des Antragsgegners zurück. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.
Die Gründe:
Der Antragsgegner ist zur Zahlung von Elternunterhalt aus übergegangenem Recht nicht leistungsfähig.
Durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.12.2019 wurde der Übergang des Anspruchs auf Elternunterhalt nach §§ 1601 ff BGB auf den Träger der Sozialhilfe grundlegend neu geregelt und findet nunmehr nur noch dann statt, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen die Jahresobergrenze von 100.000 € brutto übersteigt, § 91 Absatz 1a SGB XII i.V.m. § 16 SGB IV. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur noch leistungsstarke Kinder zur Finanzierung des Elternunterhalts in Anspruch zu nehmen, kann nicht ohne Einfluss auf die Frage der Bemessung des Selbstbehalts und damit der Leistungsfähigkeit in derartigen Fällen sein.
Entsprechend geben die Süddeutschen Leitlinien unter Ziffer 21.3.3 nunmehr nur noch folgendes vor: Bei der Bemessung des Selbstbehalts gegenüber Eltern sind Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 zu beachten. Allerdings ist entgegen dem Vorbringen der Beschwerde eine Differenzierung des Selbstbehalts nach den Süddeutschen Leitlinien für das Jahr 2020 und den Süddeutschen Leitlinien für das Jahr 2021 nicht angezeigt. Die noch vor Verabschiedung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes erfolgte Neufestsetzung der Selbstbehaltssätze durch die Leitlinienkonferenz der OLG für das Jahr 2020 auf 2.000 € hat nach Inkrafttreten des Gesetzes keine die Rechtsprechung bindende Wirkung. Nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes gelten die Kriterien für die Angemessenheit des Selbstbehalts für das Jahr 2020 und das Jahr 2021 gleichermaßen. Auch soweit der Beschwerdeführer vorgebracht hat, einige OLG hätten in ihren Leitlinien einen Selbstbehalt gegenüber Eltern i.H.v. 2.500 € festgelegt, ist klarzustellen, dass es sich bei den Leitlinien der OLG lediglich um Richtlinien zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung in den jeweiligen Bezirken handelt und die Leitlinien andere OLG nicht binden.
Infolgedessen ist der Selbstbehalt mit 5.500 € netto monatlich anzusetzen. Dies entspricht der BGH-Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt, wonach i.S. einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen ist, dass ein Einkommen bis zum Doppelten des Höchstsatzes der D. Tabelle von den Ehegatten konsumiert werde, was zur Folge hat, dass bis zu einem Unterhaltsbedarf von 5.500 € von dessen vollständigem Verzehr auszugehen ist. Nimmt man das Bekenntnis zur Lebensstandardgarantie im Elternunterhalt ernst, wäre bei vollständigem Einkommensverzehr zur Finanzierung des Lebensstandards eine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben. Wenn andererseits i.S. einer tatsächlichen Vermutung nach der Rechtsprechung davon auszugehen ist, dass ein Nettoeinkommen von bis zu 5.500 € vollständig für den Lebensunterhalt verbraucht wird und daraus Vermögensrücklagen nicht gebildet werden, ist es konsequent, den Selbstbehalt im Elternunterhalt auf dieses Niveau anzuheben.
Angesichts der Höhe des pauschalen Selbstbehalts von 5.500 € monatlich ist eine Erhöhung um die Hälfte des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden anrechenbaren Einkommens entsprechend dem vom BGH entwickelten Modell nicht mehr angebracht. Es erscheint angemessen, die Verwendung des Eigenbedarfs keiner weiteren Kontrolle zu unterwerfen und auch keine Kreditraten, Wohnvorteile oder Mietbelastungen sowie Aufwendungen für Besuchsfahrten etc. anzuerkennen. Allerdings ist eine zusätzliche Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen wohl zu berücksichtigen. Dies war hier jedoch unerheblich, da der Antragsgegner auch ohne Erhöhung des Selbstbehalts wegen erhöhter Wohnkosten und ohne Abzug der zusätzlichen Altersvorsorge mit einem monatlichen Nettoeinkommen nach Abzug der gesetzlichen Abgaben mit 5.349 € (im Jahr 2020) bzw. 5.304 € (im Jahr 2021) unterhalb des Selbstbehalts von 5.500 € liegt.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des BGH, § 70 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 FamFG. Zur Frage der Höhe des angemessenen Selbstbehalts im Rahmen des Elternunterhalts nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes liegt noch keine obergerichtliche Rechtsprechung vor.
Aktionsmodul Familienrecht:
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