14.06.2023

Erbrecht: Auslegung eines privatschriftlichen Testaments

Ein privatschriftliches Testament, in dem die Erblasserin zunächst die frühere Erbeinsetzung ihrer Abkömmlinge für "ungültig" erklärt, ihnen sodann ihre beiden Hausanwesen (anteilig) zuweist und abschließend anordnet, das "Bargeld" solle auf "meine drei Kinder" verteilt werden, kann im Einzelfall dahin auszulegen sein, dass es jenseits dieser auf einzelne Gegenstände beschränkten Aufteilung, die den Nachlass nicht erschöpfte und auch sonst keinen Willen zur Bestimmung eines anderen Rechtsnachfolgers erkennen lässt, bei der gesetzlichen Erbfolge verbleiben soll.

OLG Saarbrücken v. 9.5.2023, 5 W 28/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 2) hatte mit Schriftsatz vom 18.3.2022 unter Bezugnahme auf eine notarielle Urkunde vom 21.1.2022 die Erteilung eines Erbscheines beantragt, wonach sie neben den weiteren Beteiligten zu 1) und zu 3) zu jeweils 1/3 Erbin nach der 2021 verstorbenen Erblasserin, der gemeinsamen Mutter der drei Beteiligten, geworden sei. Der Beteiligte zu 1) bat mit notarieller Urkunde vom 5.8.2022 um Erteilung eines Erbscheines, wonach die Erblasserin von ihm zu ½ und von den Beteiligten zu 2) und zu 3) zu je ¼ beerbt worden sei.

Die Erblasserin war zum Zeitpunkt ihres Todes geschieden; sie hinterließ als ihre Abkömmlinge die Beteiligten zu 1) bis 3), die sie mit notariellem Testament vom 30.9.1988 zu gleichen Teilen zu ihren Erben berufen hatte. In einem späteren - privatschriftlichen - Testament vom 28.10.2017 verfügte sie sodann Folgendes:

"Alle vorherigen Testamente sind ungültig und nach meinem Tode soll mein Besitz wie folgt aufgeteilt werden:
Mein Sohn M. B. geb. am...1974 soll das Haus an der ... 9 zum alleinigen Besitz bekommen.
Das Haus an der ... 7a geht zu gleichen Teilen an meine Töchter K. B. F. geb. am...1974 und C. H. ...1966 in Saarbrücken geboren
das Bargeld wird auf meine 3 Kinder aufgeteilt"


Die Beteiligte zu 2) hat sich in erster Linie auf die gesetzliche Erbfolge gestützt, die hier maßgeblich sei, weil die Erblasserin in ihrer privatschriftlichen Verfügung das notarielle Testament aufgehoben und ihr Vermögen aufgeteilt habe, ohne eine ausdrückliche Erbeinsetzung vorzunehmen. Der Beteiligte zu 1) hat die dem Antrag zugrunde gelegte Erbquote von 1/3 für nicht korrekt gehalten. Nach dem privatschriftlichen Testament sei es der Wunsch seiner Mutter gewesen, ihm als Kompensation für erbrachte Mehrleistungen nach ihrem Tode durch Zuwendung des Hausanwesens ein Dach über dem Kopf zu verschaffen.

Das AG hat angenommen, dass die Erblasserin, weil sie das notarielle Testament aufgehoben, jedoch in dem privatschriftlichen Testament keine ausdrückliche Erbeinsetzung vorgenommen, sondern lediglich Teilungsanordnungen getroffen habe und auch keine Hinweise auf einen Willen zur Abänderung der Erbquoten vorhanden seien, kraft gesetzlicher Erbfolge von den drei Beteiligten zu gleichen Teilen beerbt worden sei. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die Erblasserin ist kraft Gesetzes von den Beteiligten, ihren drei Abkömmlingen, zu gleichen Teilen beerbt worden (§ 1924 Abs. 1 und 4 BGB). Sie hatte bei wohlverstandener Auslegung des von ihr am 28.10.2017 verfassten privatschriftlichen Testaments, gegen dessen Wirksamkeit Bedenken weder erhoben wurden noch ersichtlich waren, die vorherige gewillkürte Erbeinsetzung der Beteiligten ausdrücklich aufgehoben und ihnen in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um ihre drei Kinder handelte, lediglich einzelne Nachlassgegenstände oder Anteile daran zugewiesen, ohne dadurch das Schicksal des Nachlasses insgesamt zu regeln.

Dafür, dass sie dem mit der Beschwerde weiterverfolgten Begehren des Beteiligten zu 1) entsprechend, diesen nach Maßgabe des angegebenen Grundstückswertes hälftig und die beiden anderen Beteiligten lediglich zu je einem Viertel testamentarisch zu ihren Erben einsetzen wollte, bestanden bei angemessener Berücksichtigung aller Umstände keine genügenden Anhaltspunkte. Bei der in erster Linie gebotenen Auslegung des - angesichts der darin bestimmten "Ungültigkeit" früherer letztwilliger Verfügungen allein maßgeblichen - Testaments vom 28.10.2017, die der Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers diente (§§ 133, 2084 BGB), ist zu berücksichtigen, dass der Sprachgebrauch nicht immer so exakt ist oder sein kann, dass der Erklärende mit seinen Worten genau das unmissverständlich wiedergibt, was er zum Ausdruck bringen wollte.

§ 133 BGB ordnet an, den Wortsinn der benutzten Ausdrücke unter Heranziehung aller Umstände zu "hinterfragen": Nur dann kann die Auslegung der Erklärung durch den Richter gerade die Bedeutung auffinden und ihr die rechtliche Wirkung zukommen lassen, die der Erklärende seiner Willenserklärung "wirklich" beilegen wollte. Gelingt es ihm trotz der Auswertung aller zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlichen Umstände nicht, sich von dem tatsächlich vorhandenen, wirklichen Willen zu überzeugen, dann muss er sich notfalls damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen am ehesten entspricht.

Ein privatschriftliches Testament, in dem die Erblasserin zunächst die frühere Erbeinsetzung ihrer Abkömmlinge für "ungültig" erklärt, ihnen sodann ihre beiden Hausanwesen (anteilig) zuweist und abschließend anordnet, das "Bargeld" solle auf "meine drei Kinder" verteilt werden, kann im Einzelfall dahin auszulegen sein, dass es jenseits dieser auf einzelne Gegenstände beschränkten Aufteilung, die den Nachlass nicht erschöpfte und auch sonst keinen Willen zur Bestimmung eines anderen Rechtsnachfolgers erkennen lässt, bei der gesetzlichen Erbfolge verbleiben soll. Für dieses Auslegungsergebnis sprach in erster Linie schon der Wortlaut des privatschriftlichen Testaments. Dieses enthält ausdrücklich keine "Erbeinsetzung" zugunsten bestimmter Personen, der Begriff "Erbe" wird darin nicht benutzt; stattdessen wurde wiederholt - nur - von einer "Aufteilung" in Bezug auf verschiedene Vermögenswerte gesprochen und die Zuweisung einzelner Nachlassgegenstände mit erkennbar gegenständlich bezogenen Begriffen (wie: "bekommt", "geht an") geregelt. Derartige Formulierungen zielen erkennbar darauf ab, bloße Anordnungen zur Verteilung des Nachlasses zu treffen sowie, ggf. auch, den Beteiligten Ansprüche an einzelnen Gegenständen zu verschaffen.

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Aufsatz
Franz M. Große-Wilde
Die Rechtsprechung zum Erbrecht
MDR 2022, 1446

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