Erbrecht: Unbeachtlicher Motivirrtum bei sog. "lenkender Ausschlagung"
BGH v. 22.3.2023 - IV ZB 12/22
Der Sachverhalt:
Der am 3.7.2018 verstorbene Erblasser hatte lein Testament hinterlassen. Die Beteiligte zu 1) ist die Witwe, der Beteiligte zu 2) ein gemeinsames Kind. Sämtliche Abkömmlinge des Erblassers schlugen durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1) zunächst einen Erbschein, durch den sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Nachdem das Nachlassgericht die Beteiligte zu 1) darauf hingewiesen hatte, dass sie gem. § 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei, soweit weder Erben der ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden seien, focht der Beteiligte zu 2) seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtums an.
Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1) einen gemeinschaftlichen Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 1/2. Sodann wies das Nachlassgericht darauf hin, dass es die Anfechtungserklärung nicht als wirksam erachte, da es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handele. Die Beteiligten erklärten mit anwaltlichem Schreiben, dass der Beteiligte zu 2) im Zeitpunkt der Ausschlagung der Auffassung gewesen sei, dass durch seine Ausschlagung und diejenige seiner Geschwister die Erbanteile der Beteiligten zu 1) übertragen würden. Er sei also der Auffassung gewesen, dass diese Erbteile ihr anwachsen würden.
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. OLG und BGH haben die Entscheidung bestätigt.
Gründe:
Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligte zu 1) und den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 1/2 war unbegründet ist, da der Beteiligte zu 2) infolge der Ausschlagung der Erbschaft nicht zur Erbfolge gelangt war. Die Wirkung der Ausschlagung war nicht durch die Anfechtung der Ausschlagungserklärung beseitigt worden.
Die form- (§ 1955 Abs. 1 Satz 2, § 1945 Abs. 1, § 129 Abs. 1 BGB) und fristgerecht (§ 1954 Abs. 1, Abs. 2 BGB) gegenüber dem Nachlassgericht (§ 1955 Satz 1 BGB) erklärte Anfechtung war unwirksam, da sich anhand des Vorbringens des Beteiligten zu 2) kein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund feststellen ließ. Der Beteiligte zu 2) befand sich bei Abgabe der Ausschlagungserklärung nicht in einem allein in Betracht kommenden Irrtum i.S.v. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, stellen keinen Irrtum über den Inhalt der Erklärung dar, sondern einen unbeachtlichen Motivirrtum.
Infolgedessen war der Beteiligte zu 2) keinem Irrtum über die unmittelbaren Rechtswirkungen der Ausschlagung erlegen, soweit er geltend gemacht hatte, er sei bei Abgabe der Ausschlagungserklärung davon ausgegangen, dass somit seine Mutter Alleinerbin sei. Dass er sich über die konkrete Person des Nächstberufenen geirrt hatte, begründete unabhängig davon, welche rechtlichen oder tatsächlichen Fehlvorstellungen dem zugrunde lagen, z.B. irrige Annahme einer Anwachsung beim verbleibenden Miterben oder Irrtum über Inhalt der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Erbrecht, lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum.
Die hier maßgebliche Frage, ob im Falle einer sog. "lenkenden Ausschlagung", bei der es dem Ausschlagenden gerade um den Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankommt, ein Irrtum darüber, wem der Erbteil infolge der Ausschlagung anfällt, einen Irrtum über die mittelbaren oder unmittelbaren Rechtsfolgen darstellt, ist umstritten. Eine Auffassung sieht den Irrtum über die nächstberufene Person stets als einen Irrtum über die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit als einen beachtlichen Inhaltsirrtum an. Eine andere Auffassung geht in diesen Fällen hingegen nur von einem Irrtum über die mittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit von einem unbeachtlichen Motivirrtum aus. Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Dafür sprechen Systematik und Wortlaut des § 1953 BGB.
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BGH online
Der am 3.7.2018 verstorbene Erblasser hatte lein Testament hinterlassen. Die Beteiligte zu 1) ist die Witwe, der Beteiligte zu 2) ein gemeinsames Kind. Sämtliche Abkömmlinge des Erblassers schlugen durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1) zunächst einen Erbschein, durch den sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Nachdem das Nachlassgericht die Beteiligte zu 1) darauf hingewiesen hatte, dass sie gem. § 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei, soweit weder Erben der ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden seien, focht der Beteiligte zu 2) seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtums an.
Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1) einen gemeinschaftlichen Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 1/2. Sodann wies das Nachlassgericht darauf hin, dass es die Anfechtungserklärung nicht als wirksam erachte, da es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handele. Die Beteiligten erklärten mit anwaltlichem Schreiben, dass der Beteiligte zu 2) im Zeitpunkt der Ausschlagung der Auffassung gewesen sei, dass durch seine Ausschlagung und diejenige seiner Geschwister die Erbanteile der Beteiligten zu 1) übertragen würden. Er sei also der Auffassung gewesen, dass diese Erbteile ihr anwachsen würden.
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. OLG und BGH haben die Entscheidung bestätigt.
Gründe:
Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligte zu 1) und den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 1/2 war unbegründet ist, da der Beteiligte zu 2) infolge der Ausschlagung der Erbschaft nicht zur Erbfolge gelangt war. Die Wirkung der Ausschlagung war nicht durch die Anfechtung der Ausschlagungserklärung beseitigt worden.
Die form- (§ 1955 Abs. 1 Satz 2, § 1945 Abs. 1, § 129 Abs. 1 BGB) und fristgerecht (§ 1954 Abs. 1, Abs. 2 BGB) gegenüber dem Nachlassgericht (§ 1955 Satz 1 BGB) erklärte Anfechtung war unwirksam, da sich anhand des Vorbringens des Beteiligten zu 2) kein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund feststellen ließ. Der Beteiligte zu 2) befand sich bei Abgabe der Ausschlagungserklärung nicht in einem allein in Betracht kommenden Irrtum i.S.v. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, stellen keinen Irrtum über den Inhalt der Erklärung dar, sondern einen unbeachtlichen Motivirrtum.
Infolgedessen war der Beteiligte zu 2) keinem Irrtum über die unmittelbaren Rechtswirkungen der Ausschlagung erlegen, soweit er geltend gemacht hatte, er sei bei Abgabe der Ausschlagungserklärung davon ausgegangen, dass somit seine Mutter Alleinerbin sei. Dass er sich über die konkrete Person des Nächstberufenen geirrt hatte, begründete unabhängig davon, welche rechtlichen oder tatsächlichen Fehlvorstellungen dem zugrunde lagen, z.B. irrige Annahme einer Anwachsung beim verbleibenden Miterben oder Irrtum über Inhalt der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Erbrecht, lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum.
Die hier maßgebliche Frage, ob im Falle einer sog. "lenkenden Ausschlagung", bei der es dem Ausschlagenden gerade um den Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankommt, ein Irrtum darüber, wem der Erbteil infolge der Ausschlagung anfällt, einen Irrtum über die mittelbaren oder unmittelbaren Rechtsfolgen darstellt, ist umstritten. Eine Auffassung sieht den Irrtum über die nächstberufene Person stets als einen Irrtum über die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit als einen beachtlichen Inhaltsirrtum an. Eine andere Auffassung geht in diesen Fällen hingegen nur von einem Irrtum über die mittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit von einem unbeachtlichen Motivirrtum aus. Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Dafür sprechen Systematik und Wortlaut des § 1953 BGB.
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