Erhaltungssatzung bzw. -verordnung: Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum trotz vorläufiger Untersagung?
BGH v. 20.12.2024 - V ZR 277/23Der Beklagte ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks im klagenden Land Berlin. Am 4.2.2020 machte der Senat von Berlin von der in § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB enthaltenen Ermächtigung Gebrauch und erließ eine Verordnung, wonach die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum in Gebieten einer Erhaltungsverordnung der Genehmigung bedarf. Im September 2020 wurde die Aufstellung der Erhaltungsverordnung "Alt-Lietzow/Karl-August-Platz" nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB beschlossen, in deren Gebiet das Grundstück des Beklagten liegt.
Mit Blick auf diese im Aufstellungsverfahren befindliche Verordnung untersagte das zuständige Bezirksamt dem Beklagten unter dem 3.12.2020 vorläufig die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum bis zum Ablauf des 2.12.2021. Mit Schreiben vom 21.5.2021 beantragte der Beklagte bei dem Grundbuchamt den Vollzug der am Tag zuvor erklärten Teilung des Grundstücks in 14 Wohnungs- und zwei Teileigentumseinheiten. Am 22.6.2021 wurde die vorbezeichnete Erhaltungsverordnung im Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin veröffentlicht. Mit Bescheid vom 23.6.2021 widerrief das Bezirksamt die vorläufige Untersagungsverfügung mit der Begründung, dass mit dem Inkrafttreten der Erhaltungsverordnung die Grundlage für die vorläufige Untersagung entfallen sei. Am 7.10.2021 trat auf der Grundlage von § 250 Abs. 1 Satz 3 BauGB die Berliner Umwandlungsverordnung vom 21.9.2021 in Kraft. Am 14.10.2021 legte das Grundbuchamt die Wohnungs- und Teileigentumsgrundbücher an. Im Dezember 2021 ließ der Beklagte die Teilungserklärung nebst Eintragungsbewilligung und -antrag erneut beurkunden und beantragte den Vollzug im Grundbuch.
LG und KG gaben der auf das Begehren gerichteten Klage, gegenüber dem Grundbuchamt eine auf Schließung der Wohnungs- und Teileigentumsgrundbücher gerichtete Erklärung in der Form des § 29 GBO abzugeben, statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Zutreffend geht das KG davon aus, dass der Kläger von dem Beklagten die Abgabe der für die Schließung der Wohnungsgrundbücher nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 WEG erforderlichen Erklärung gem. §§ 888, 883 Abs. 2 BGB verlangen kann.
Dem Kläger gegenüber ist die trotz der vorläufigen Untersagung erfolgte Begründung von Wohnungs- und Teileigentum relativ unwirksam und bleibt dies auch nach dem Widerruf der Untersagungsverfügung im Anschluss an das Inkrafttreten der Erhaltungsverordnung. Bestimmt eine Rechtsverordnung gem. § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB, dass die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum in Gebieten einer Erhaltungssatzung (in Berlin: Erhaltungsverordnung, § 30 Abs. 1 Satz 1 AGBauGB) für die Dauer von höchstens fünf Jahren nicht ohne Genehmigung erfolgen darf, kann gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 172 Abs. 2 BauGB die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum vorläufig untersagt werden, wenn ein Beschluss über die Aufstellung einer Erhaltungssatzung bzw. -verordnung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gefasst und ortsüblich bekannt gemacht ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt: Gem. § 1 der Verordnung vom 4.2.2020 bedarf die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum in Gebieten einer Erhaltungsverordnung der Genehmigung. Das bebaute Grundstück des Beklagten liegt im Gebiet der eingangs näher bezeichneten Erhaltungsverordnung, deren Aufstellung auf einem im September 2020 gefassten und ortsüblich bekannt gemachten Beschluss beruht. Auf dieser Grundlage ist am 3.12.2020 die vorläufige Untersagung erfolgt.
Die vorläufige Untersagung der Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 172 Abs. 2 BauGB ist zivilrechtlich als behördliches Veräußerungsverbot i.S.v. § 136 BGB anzusehen und steht einem gesetzlichen Veräußerungsverbot i.S.v. § 135 Abs. 1 Satz 1 BGB gleich. Sie bewirkt zwar keine Grundbuchsperre, und ein von dem relativen Verbot betroffener Grundstückseigentümer verliert seine Verfügungsbefugnis nicht; vielmehr ist eine verbotswidrige Verfügung in das Grundbuch einzutragen. Teilt aber - wie hier - ein Grundstückseigentümer, dem die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum mit Blick auf eine im Aufstellungsverfahren befindliche Erhaltungssatzung bzw. -verordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 172 Abs. 2 BauGB vorläufig untersagt ist, sein Grundstück in Wohnungs- oder Teileigentum und beantragt den Vollzug der Teilung, ist die in das Grundbuch eingetragene Teilung gegenüber dem Verbotsgeschützten relativ unwirksam. Der Verbotsgeschützte kann sich gem. §§ 888, 883 Abs. 2 BGB auf die relative Unwirksamkeit berufen und die Löschung der Rechte verlangen.
Der Widerruf der vorläufigen Untersagung lässt die Teilung nicht wirksam werden, wenn er zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Erhaltungssatzung bzw. -verordnung i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB bereits in Kraft getreten ist. Eine gegen ein relatives Verfügungsverbot i.S.v. § 135 BGB verstoßende Verfügung wird allerdings grundsätzlich in vollem Umfang wirksam, wenn das Verbot aufgehoben wird. Gleiches gilt, wenn der von dem Verbot Geschützte die Verfügung genehmigt oder das durch das Verbot geschützte Recht entfällt. Hintergrund ist, dass in diesen Fällen das geschützte Interesse nicht mehr besteht. Hier ist aber weder das Verbot der Teilung in Wohnungs- oder Teileigentum aufgehoben worden noch hat der Verbotsgeschützte - hier: das Bezirksamt - die erfolgte Teilung genehmigt. Auch das geschützte Recht bzw. Interesse ist nicht entfallen. Dass ein aus der Erhaltungssatzung bzw. -verordnung folgendes Genehmigungserfordernis gem. § 878 BGB analog unbeachtlich ist, ändert an der relativen Unwirksamkeit der Teilung ebenfalls nichts.
Eine relativ unwirksame Teilung in Wohnungs- oder Teileigentum, die trotz Widerrufs der die relative Unwirksamkeit begründenden vorläufigen Untersagung gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 172 Abs. 2 BauGB dem Verbotsgeschützten gegenüber unwirksam bleibt, weil vor dem Widerruf die Erhaltungssatzung bzw. -verordnung nach § 172 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB in Kraft getreten ist, wird nicht mit dem Inkrafttreten einer gem. § 250 Abs. 7 Satz 1 BauGB grundsätzlich vorrangigen Umwandlungsverordnung i.S.v. § 250 Abs. 1 BauGB wirksam. Die Eintragung der Teilung führt auch nicht zu einer die relative Unwirksamkeit der Teilung beseitigenden Genehmigungsfiktion nach § 250 Abs. 5 Satz 2 BauGB.
Kommentierung | BGB
§ 878 Nachträgliche Verfügungsbeschränkungen
Artz in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 883 Voraussetzungen und Wirkung der Vormerkung https://online.otto-schmidt.de/db/dokument?id=erman.bgb.k0883&utm_source=news&utm_medium=homepage&utm_campaign=read_more
Artz in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 888 Anspruch des Vormerkungsberechtigten auf Zustimmung
Artz in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Rechtsprechung
Vorläufige Untersagung der Begründung von Teileigentum durch das Grundbuchamt
BGH vom 19.12.2019 - V ZB 145/18
MDR 2020, 478
Beratermodul Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht
Die perfekte Basisausstattung zum Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht finden Praktiker in diesem Beratermodul. Jetzt neu und zusätzlich mit der GVRZ - Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht! 4 Wochen gratis nutzen!