07.03.2024

Erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB? Zur Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegt, sind individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden zu berücksichtigen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund der außergewöhnlichen Umstände im Sinne der genannten Vorschrift Bedeutung gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben. Dies gilt nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie zum Beispiel das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann.

BGH v. 23.1.2024 - X ZR 4/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger beansprucht die Rückzahlung des für eine Pauschalreise gezahlten Preises. Er buchte im November 2019 bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und zwei Kinder eine Flugreise mit Hotelaufenthalt in Rhodos, die vom 5. bis 9.8.2020 stattfinden sollte. Den Reisepreis von 3.028 € hat er vollständig bezahlt.

Mit Schreiben vom 29.6.2020 stornierte der Kläger die Reise unter Bezugnahme auf die pandemiebedingten Gesundheitsrisiken und Einschränkungen am Urlaubsort. Die Beklagte bestätigte die Stornierung und behielt eine Stornierungsgebühr von 757 €, entsprechend 25% des Reisepreises, ein.

AG und LG wiesen die auf Zahlung von 757 € und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das LG den Vortrag des Klägers zu einer internistischen Vorerkrankung seiner Ehefrau und daraus resultierenden besonderen Risiken als nicht entscheidungserheblich angesehen.

Wie der Senat bereits entschieden hat, sind bei der Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegt, individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden zu berücksichtigen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund der außergewöhnlichen Umstände im Sinne der genannten Vorschrift Bedeutung gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben.

Entgegen der Auffassung des LG gilt dies nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie zum Beispiel das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann. Wie das LG im Ansatz zu Recht ausgeführt hat, liegt es grundsätzlich allerdings im Risikobereich des Reisenden, ob er aufgrund seiner persönlichen Umstände in der Lage ist, die Mühen und Risiken, die mit der Reise verbunden sind, zu meistern. Dem Reisenden ist es grundsätzlich möglich und zumutbar, selbst einzuschätzen, ob er die individuellen Anforderungen erfüllt, um die Reise absolvieren zu können. Deshalb hat er grundsätzlich das Risiko einer diesbezüglichen Fehleinschätzung zu tragen.

Etwas anderes gilt indes für Besonderheiten, die erst aufgrund von nachträglich aufgetretenen außergewöhnlichen Umständen Bedeutung für die Durchführbarkeit der Reise erlangt haben. In einer solchen Konstellation beruht eine auftretende Beeinträchtigung nicht auf einer Fehleinschätzung des Reisenden, sondern auf objektiven Umständen. Daraus resultierende Risiken hat der Reiseveranstalter nach Maßgabe von § 651h Abs. 3 BGB zu tragen. Hierbei ist unerheblich, ob diese Umstände dem Reiseveranstalter bei Vertragsschluss bekannt waren.

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Durchführung der Reise für die Ehefrau des Klägers und für die übrigen Reisenden mit einer erheblichen Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB verbunden gewesen wäre. Das LG hat offengelassen, ob die Ehefrau des Klägers aufgrund der - als solche nicht bestrittenen - internistischen Vorerkrankungen und der eingesetzten biologischen Herzklappe in der Pandemie besonderen Risiken ausgesetzt war, die die Durchführung der Reise unzumutbar machen.

Das LG wird deshalb nach der Zurückverweisung zu beurteilen haben, ob Risiken der genannten Art durch das vom Kläger vorgelegte Attest oder sonstige Umstände bewiesen sind und ob sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen. Hierbei wird es zu berücksichtigen haben, dass bei der gemeinsamen Buchung einer Reise für eine Familie eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für ein Familienmitglied in der Regel auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung für die anderen Familienmitglieder führt.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Pauschalreise-Rücktritt wegen außergewöhnlicher Umstände
BGH vom 19.09.2023 - X ZR 103/22
MDR 2023, 1506
MDR0061589

Kommentierung | BGB
§ 651h Rücktritt vor Reisebeginn
Blankenburg in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

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