06.01.2025

Erhöhte Betriebsgefahr durch Vorfahrtberechtigten? Kein starres Rechtsfahrgebot

Nach § 2 Abs. 2 StVO ist "möglichst weit rechts" zu fahren. Das Rechtsfahrgebot bedeutet allerdings nicht, äußerst rechts oder soweit technisch möglich rechts zu fahren. Es gilt vielmehr, wie schon der Wortlaut erkennen lässt, nicht starr, sondern gewährt je nach den Umständen im Rahmen des Vernünftigen einen gewissen Beurteilungsfreiraum.

OLG Saarbrücken v. 13.12.2024, 3 U 23/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger war am 10.10.2022 mit seinem Transporter VW T4 auf der A-Straße unterwegs. Der Beklagte zu 2) befuhr mit seinem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeug die B-Straße und wollte nach rechts in die A-Straße einbiegen. Dabei stieß er mit dem von rechts kommenden Fahrzeug des Klägers zusammen. Später nahm der Kläger die Beklagten auf Zahlung von insgesamt 5.351 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten 325 € nebst Zinsen in Anspruch. Er behauptete, er sei vor der Kollision an einem am rechten Fahrbahnrand geparkten Pkw vorbeigefahren und gerade wieder am Einscheren gewesen, als der Beklagte zu 2), ohne auf den von rechts kommenden Verkehr zu achten, in die A-Straße eingefahren sei.

Das LG hat der Klage auf der Grundlage einer Haftungsverteilung von 75% zu 25% zulasten der Beklagten stattgegeben. Die Beklagten hafteten für den Unfall, weil der Beklagte zu 2) die Vorfahrt des Klägers verletzt habe. Allerdings habe auch der Kläger für die Unfallfolgen einzustehen, weil die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs erhöht gewesen sei. Den Kläger treffe zwar kein Verschulden. Die Situation sei aber mit einem Unfall vergleichbar, bei dem das Rechtsfahrgebot missachtet worden sei. Schon das Befahren der linken Fahrbahnhälfte führe zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers war vor dem OLG in vollem Umfang erfolgreich.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des LG war die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht aufgrund des Befahrens der linken Fahrbahnhälfte durch den Kläger erhöht.

Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Befahren der linken Fahrbahnhälfte durch den Vorfahrtsberechtigten zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges führen und eine Mithaftung gegenüber dem Wartepflichtigen begründen kann. Dies setzt indes nach allgemeiner Auffassung einen unfallursächlichen Verstoß des Vorfahrtsberechtigten gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO voraus, von dem im Streitfall nicht ausgegangen werden konnte.

Nach § 2 Abs. 2 StVO ist "möglichst weit rechts" zu fahren. Das Rechtsfahrgebot bedeutet allerdings nicht, äußerst rechts oder soweit technisch möglich rechts zu fahren (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.5.2011 - I-1 U 232/07; OLG Zweibrücken, Urt. v. 24.4.1987 - 10 U 81/85). Es gilt vielmehr, wie schon der Wortlaut erkennen lässt, nicht starr, sondern gewährt je nach den Umständen im Rahmen des Vernünftigen einen gewissen Beurteilungsfreiraum. Welche Anforderungen das Rechtsfahrgebot im konkreten Fall stellt, ist daher unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Örtlichkeit, der Fahrbahnbreite und -beschaffenheit, der Fahrzeugart, eines vorhandenen Gegenverkehrs, der erlaubten und der gefahrenen Geschwindigkeit sowie der jeweiligen Sichtverhältnisse zu bestimmen.

Nach diesen Grundsätzen konnte ein unfallursächlicher Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot schon deshalb nicht angenommen werden, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des LG die rechte Seite der unmarkierten Fahrbahn des Klägers durch ein in der Nähe der Einmündung parkendes Fahrzeug blockiert war. Dem Kläger war es deshalb erlaubt, nach Maßgabe des § 6 StVO an diesem Fahrzeug vorbeizufahren und hierzu die linke Fahrbahnseite zu benutzen, während der Beklagte zu 2) als Wartepflichtiger ohne weiteres mit Gegenverkehr auf der eigenen Fahrbahnhälfte zu rechnen hatte, dem auch durch möglichst weites Rechtsfahren beim Einbiegen nicht sicher ausgewichen werden konnte.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Nachweis eines versicherten Unfalls in der Kfz-Kaskoversicherung
OLG Karlsruhe vom 15.10.2024 - 12 U 12/24

Aufsatz:
Aktuelle Entwicklungen im zivilprozessualen Beweisrecht
Holger Jäckel, MDR 2024, 688

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