Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten bei anwaltlicher Tätigkeit in Unkenntnis einer zwischenzeitlich erfolgten Berufungsrücknahme
BGH 10.4.2018, VI ZB 70/16Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 16.6.2016 Berufung gegen das klageabweisende Urteil des LG vom 27.5.2016 ein. Der Schriftsatz wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 28.6.2016 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 24.6.2016, den Beklagtenvertretern zugestellt am 5.7.2016, nahm der Kläger die Berufung zurück. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten allerdings mit Schriftsatz vom 1.7.2016 bereits, eingegangen beim OLG am 6.7.2016, die Zurückweisung der Berufung. Mit Beschluss vom 28.6.2016 erlegte das OLG dem Kläger nach § 516 Abs. 3 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens auf und setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 70.000 € fest.
Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten sodann die Festsetzung von Rechtsanwaltskosten für das Berufungsverfahren i.H.v. insgesamt 1.768,70 € (1,1-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV-RVG aus einem Gebührenwert von 70.000 € sowie Pauschale gem. Nr. 7002 VV-RVG, zzgl. USt). Sie erklärten dazu, dass die am 28.6.2016 zugestellte Berufungsschrift ein bis zwei Arbeitstage später zur Bearbeitung vorgelegen habe und im Auftrag der Beklagten der Bestellungsschriftsatz diktiert worden sei. Dieser datiere auf den 1.7.2016, so dass eine Befassung vor Zustellung und Kenntnis der Berufungsrücknahme vorliege.
Die Rechtspflegerin wies den Festsetzungsantrag zurück. Die gegen eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten hatte vor dem OLG Erfolg und führte zur Aufhebung des Beschlusses des LG. Die zu erstattenden Rechtsanwaltskosten wurden wie von der Beklagten beantragt festgesetzt. Die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde der Kläger hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Trotz der erfolgten Rücknahme der Berufung des Klägers sind die zu erstattenden Rechtsanwaltskosten der Beklagten für das Berufungsverfahren in Höhe einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV-RVG aus dem Gebührenwert von 70.000 € festzusetzen.
Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei und im Falle des § 516 Abs. 3 ZPO der Berufungskläger die dem Gegner erwachsenen Kosten zu tragen, soweit diese zu zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Maßstab für die Notwendigkeit von Kosten ist dabei, ob eine verständige und wirtschaftlich denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte. Die Notwendigkeit bestimmt sich daher aus einer verobjektivierten ex-ante Sicht der jeweiligen Prozesspartei und nicht allein nach einem objektiven Maßstab.
Da die anwaltliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Streitfall in Unkenntnis der Berufungsrücknahme erfolgte, war diese Tätigkeit zum damaligen Zeitpunkt aus der Sicht einer verständigen und wirtschaftlich denkenden Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Darauf, dass es aufgrund der Rücknahme objektiv keiner Tätigkeit mehr bedurfte, kommt es nicht an. Anders verhält sich die Situation in dem Fall, in dem die Beklagte durch Zugang eines Hinweises Kenntnis von der Absicht des Berufungsgerichts erlangt, die Berufung zurückzuweisen (BGH 25.2.2016, III ZB 66/15). Denn hier besteht aus Sicht einer verständig und wirtschaftlich denkenden Partei kein Anlass mehr noch einen Berufungsantrag zu stellen.
Die Kostentragung durch den Berufungskläger ist zudem sachgerecht, denn die mit dem Rechtsmittel überzogene Partei kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Verteidigung zu veranlassen ist. Es liegt zudem an dem Berufungskläger, die Gegenseite über eine Rücknahme frühzeitig zu informieren.
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