26.05.2021

Erwerb von ehemals volkseigenem Grundstück: Außenwirkung der erlassenen Privatisierungsgrundsätze der BVVG

Die zur Umsetzung von § 1 Abs. 6 TreuhG erlassenen Privatisierungsgrundsätze 2010 erlangen nicht schon durch ihre Veröffentlichung, sondern nur durch eine entsprechende ständige Praxis der BVVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und nur in deren Rahmen ggü. Erwerbern Außenwirkung. Deshalb kann die BVVG ggü. einem Erwerber nur bei einer entsprechenden Praxis verpflichtet sein, auf dessen Verlangen ein Verkehrswertgutachten für die anzukaufenden Flächen einzuholen und ihm die Flächen zu dem in dem eingeholten Gutachten ermittelten Wert zu verkaufen.

BGH v. 23.4.2021 - V ZR 147/19
Der Sachverhalt:
Die Kläger führten Anfang August 2012 mit der beklagten BVVG (Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH des Bundes) ein Gespräch über den Erwerb der von ihnen bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen nach den "Grundsätze(n) für die weitere Privatisierung der Flächen der BVVG", auf die sich der Bund und die Bundesländer im Beitrittsgebiet, ausgenommen Berlin, im Frühjahr 2010 verständigt hatten, (fortan: Privatisierungsgrundsätze 2010 oder PG 2010) und kauften die Flächen mit notariellem Vertrag vom 11.10.2012 für ca. 5,6 Mio €. Der Kaufvertrag wurde erfüllt.

Im Jahr 2016 vertraten die Kläger ggü. der Beklagten die Auffassung, der Kaufpreis sei um ca. 2,4 Mio € überhöht gewesen und forderten die Beklagte erfolglos zur anteiligen Rückzahlung des Kaufpreises auf.

Die Kläger behaupten, der Niederlassungsleiter der Beklagten habe ihnen bei dem Gespräch erklärt, der Kaufpreis sei nicht verhandelbar, es bestehe nur die Möglichkeit, den verlangten Preis zu zahlen oder das Erwerbsrecht bereits am 30.9.2012 zu verlieren. Jeglicher Versuch, den Kaufpreis durch ein Gutachten überprüfen zu lassen, sei erfolglos geblieben. Sie hätten nur die Wahl gehabt, die für ihren Milchviehbetrieb unverzichtbaren Flächen und damit ihre Existenzgrundlage zu verlieren oder den überhöhten Kaufpreis zu zahlen. Sie meinen, die Beklagte habe damit gegen die Regeln der PG 2010 verstoßen und hafte ihnen deshalb auf Schadensersatz. Die erwähnte Regelung der Grundsätze lautet:

"Die BVVG ermittelt den Kaufpreis entsprechend § 5 Abs. 1 FlErwV unter Berücksichtigung von Ausschreibungsergebnissen. Kommt eine Einigung über den Preis nicht zustande, kann ein Gutachten in Auftrag gegeben werden...."

Das LG hatte der Klage noch teilweise stattgegeben, das KG jedoch alle Klageanträge abgewiesen. Der BGH hat nun auch die Revision der Kläger zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rückzahlung der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem von ihnen behaupteten Verkehrswert der erworbenen Flächen.

Ein Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB besteht nicht: Der Kaufvertrag der Parteien ist weder insgesamt noch in Bezug auf die Kaufpreisabrede wegen eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB oder eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) oder Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig.

Die Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Kaufvertrages wegen eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB scheidet aus. Die Privatisierungsgrundsätze 2010 sind kein Gesetz (vgl. Art. 2 EGBGB).

Eine Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Kaufvertrages als sog. wucherähnliches Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB liegt nicht vor, weil zwischen dem von den Klägern behaupteten Wert der Grundstücke und dem vereinbarten Kaufpreis kein besonders grobes Missverhältnis besteht. Das setzte eine Überschreitung des Verkehrswerts um mehr als 90 % voraus. Hier sind es aber nach dem Vortrag der Kläger "nur" rund 74 %. Weil eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten in einem solchen Fall nicht vermutet wird, käme eine Nichtigkeit nach § 138 BGB nur in Betracht, wenn eine verwerfliche Gesinnung der BVVG hervorgetreten wäre oder ähnlich gewichtige Umstände vorlägen. Daran fehlt es hier aber schon wegen der Möglichkeit der Kläger, die Flächen statt im Wege des Direkterwerbs im Wege der Ausschreibung zu erwerben. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte für das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Wuchertatbestands (§ 138 Abs. 2 BGB).

Zu Recht verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch der Kläger auf Schadensersatz wegen Verletzung einer vorvertraglichen Verpflichtung gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Entgegen der Ansicht der Kläger war die BVVG nach den Privatisierungsgrundsätzen 2010 nicht verpflichtet, auf Verlangen der Kläger ein Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks einzuholen und ihnen die verkauften Flächen zu dem in dem Gutachten ermittelten Preis zu verkaufen.

Denn die zur Umsetzung von § 1 Abs. 6 TreuhG erlassenen Privatisierungsgrundsätze 2010 erlangen nicht schon durch ihre Veröffentlichung, sondern nur durch eine entsprechende ständige Praxis der BVVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und nur in deren Rahmen ggü. Erwerbern Außenwirkung. Deshalb kann die BVVG ggü. einem Erwerber nur bei einer entsprechenden Praxis verpflichtet sein, auf dessen Verlangen ein Verkehrswertgutachten für die anzukaufenden Flächen einzuholen und ihm die Flächen zu dem in dem eingeholten Gutachten ermittelten Wert zu verkaufen.

So liegt es hier jedoch nicht. Die BVVG hat jedenfalls seit 2011 durchgängig abgelehnt, ein Gutachten einholen zu lassen. Von dem in den Privatisierungsgrundsätzen 2010 als Anlage 2 beigefügten Muster für eine Gutachterbeauftragung ist seit 2011 in keinem Fall Gebrauch gemacht worden. Etwas anderes ergibt auch nicht der Vortrag der BVVG, sie habe bis zum Jahr 2011 bei mehr als 1.000 Vertragsschlüssen nur 27 Gutachten in Auftrag gegeben. Danach bestand in dem maßgeblichen Zeitraum Oktober 2012 gerade keine ständige Praxis der BVVG, auf Verlangen des Erwerbers ein Gutachten einzuholen und die Flächen zu einem Kaufpreis in Höhe des in dem Gutachten festgestellten Werts zu verkaufen.

Im Übrigen wäre ein Anspruch der Kläger verjährt. Er unterliegt als Schadensersatzanspruch, anders als der von dem LG angenommene, aber nicht gegebene Bereicherungsanspruch, nicht einer Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 196 BGB, sondern der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren nach § 195 BGB.
BGH online
Zurück