EuGH soll die Frage der Berücksichtigung des Kindeswohls und familiärer Bindungen bei Erlass einer Rückkehrentscheidung klären
BVerwG v. 8.6.2022 - 1 C 24.21
Der Sachverhalt:
Der im Dezember 2018 geborene Kläger besitzt wie seine Eltern die nigerianische Staatsangehörigkeit. Zugunsten des Vaters und einer im Jahre 2014 geborenen Schwester des Klägers hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festgestellt. Beiden wurden in der Folge Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Der Asylantrag der Mutter und einer weiteren im Jahre 2016 geborenen Schwester des Klägers wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das insoweit bei dem VG anhängige Klageverfahren ist im Hinblick auf das streitgegenständliche Verfahren ruhend gestellt worden. Ein Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, ist ohne Erfolg geblieben. Ihr Aufenthalt wird seither geduldet.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers ab. Das VG hat die gegen den Kläger erlassene Abschiebungsandrohung und das mit dieser einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Abweisung der Klage im Übrigen aufgehoben.
Wegen des hinsichtlich des Vaters des Klägers und dessen Schwester festgestellten nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG bestehe ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, da dem Kläger eine Trennung von seinem Vater ob seines Alters nicht zuzumuten sei.
Das BVerwG hat das Revisionsverfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH über die nachstehende Vorlagefrage ausgesetzt:
Ist Art. 5 Halbs. 1 Buchst. a und b RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) dahin auszulegen, dass er der Rechtmäßigkeit einer gegen einen minderjährigen Drittstaatsangehörigen erlassenen Rückkehrentscheidung, die zusammen mit der Ablehnung von dessen Antrag auf internationalen Schutz ergeht und diesem eine Ausreisefrist von 30 Tagen ab Bestandskraft setzt, ausnahmslos entgegensteht, wenn aus rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit kein Elternteil in ein in Art. 3 Nr. 3 RL 2008/115/EG bezeichnetes Land rückgeführt werden kann und damit auch dem Minderjährigen das Verlassen des Mitgliedstaats wegen seiner schutzwürdigen familiären Bindungen (Art. 7 und 24 Abs. 2 GRC, Art. 8 EMRK) nicht zugemutet werden kann, oder genügt es, dass das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen im Sinne des Art. 5 Halbs. 1 Buchst. a und b RL 2008/115/EG auf der Grundlage einer nationalen gesetzlichen Regelung nach Erlass der Rückkehrentscheidung durch eine Aussetzung der Abschiebung zu berücksichtigen sind?
Die Gründe:
Es besteht unionsrechtlicher Klärungsbedarf, ob das nationale Recht, dem zufolge das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht, mit Art. 5 Halbs. 1 Buchst. a und b RL 2008/115/EG vereinbar ist. Danach berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in gebührender Weise das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen.
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BVerwG PM Nr. 36 vom 8.6.2022
Der im Dezember 2018 geborene Kläger besitzt wie seine Eltern die nigerianische Staatsangehörigkeit. Zugunsten des Vaters und einer im Jahre 2014 geborenen Schwester des Klägers hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festgestellt. Beiden wurden in der Folge Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Der Asylantrag der Mutter und einer weiteren im Jahre 2016 geborenen Schwester des Klägers wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das insoweit bei dem VG anhängige Klageverfahren ist im Hinblick auf das streitgegenständliche Verfahren ruhend gestellt worden. Ein Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, ist ohne Erfolg geblieben. Ihr Aufenthalt wird seither geduldet.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers ab. Das VG hat die gegen den Kläger erlassene Abschiebungsandrohung und das mit dieser einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Abweisung der Klage im Übrigen aufgehoben.
Wegen des hinsichtlich des Vaters des Klägers und dessen Schwester festgestellten nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG bestehe ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, da dem Kläger eine Trennung von seinem Vater ob seines Alters nicht zuzumuten sei.
Das BVerwG hat das Revisionsverfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH über die nachstehende Vorlagefrage ausgesetzt:
Ist Art. 5 Halbs. 1 Buchst. a und b RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) dahin auszulegen, dass er der Rechtmäßigkeit einer gegen einen minderjährigen Drittstaatsangehörigen erlassenen Rückkehrentscheidung, die zusammen mit der Ablehnung von dessen Antrag auf internationalen Schutz ergeht und diesem eine Ausreisefrist von 30 Tagen ab Bestandskraft setzt, ausnahmslos entgegensteht, wenn aus rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit kein Elternteil in ein in Art. 3 Nr. 3 RL 2008/115/EG bezeichnetes Land rückgeführt werden kann und damit auch dem Minderjährigen das Verlassen des Mitgliedstaats wegen seiner schutzwürdigen familiären Bindungen (Art. 7 und 24 Abs. 2 GRC, Art. 8 EMRK) nicht zugemutet werden kann, oder genügt es, dass das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen im Sinne des Art. 5 Halbs. 1 Buchst. a und b RL 2008/115/EG auf der Grundlage einer nationalen gesetzlichen Regelung nach Erlass der Rückkehrentscheidung durch eine Aussetzung der Abschiebung zu berücksichtigen sind?
Die Gründe:
Es besteht unionsrechtlicher Klärungsbedarf, ob das nationale Recht, dem zufolge das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht, mit Art. 5 Halbs. 1 Buchst. a und b RL 2008/115/EG vereinbar ist. Danach berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in gebührender Weise das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen.
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