EuGH-Vorlage zu den Folgen eines pandemiebedingten Reiserücktritts
BGH v. 2.8.2022 - X ZR 53/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger buchte bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12.4.2020 zu einem Gesamtpreis von rd. 6.000 €. In Japan waren Anfang Februar Schutzmasken im gesamten Land ausverkauft. Ende Februar schlossen die großen Vergnügungsparks, sportliche Großveranstaltungen fanden nicht mehr oder nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am 26.2.2020 beschloss die japanische Regierung, für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen komplett abzusagen. Einen Tag später wurde beschlossen, sämtliche Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen.
Der Kläger trat am 1.3.2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten i.H.v. insgesamt rd. 1.500 € (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26.3.2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags.
Das AG gab der Klage antragsgemäß statt; das LG wies sie ganz überwiegend ab. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Rückzahlungsanspruch in voller Höhe weiter. Nach Auffassung des BGH hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) Nr. 2015/2302 (Pauschalreise-Richtlinie) ab. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die relevante Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Die Gründe:
Die Begründetheit der Klage hängt davon ab, ob die beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
In Instanzrechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob Umstände dieser Art bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen, oder ob der Entschädigungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn solche Umstände erst nach der Rücktrittserklärung aufgetreten sind.
Vorliegend hat das LG auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts am 1.3.2020 noch nicht hinreichend wahrscheinlich war. Der BGH hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das LG sich nicht mit der Frage befasst hat, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl der bis zum 1.3.2020 in Japan getroffenen Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Infektionsgefahr begründete. Zur abschließenden Klärung dieser Frage müsste der BGH die Sache an das LG zurückverweisen.
Eine Zurückverweisung der Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschädigungsanspruch schon wegen des nach dem Rücktritt am 26.3.2020 angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre. Der BGH neigt der Auffassung zu, dass (auch) nach dem Rücktritt aufgetretene Umstände dieser Art zu berücksichtigen sind. Die Frage war dem EuGH vorzulegen, weil aufgrund einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 25.1.2022 (8Ob130/21g) nicht hinreichend klar ist, ob Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie, deren Umsetzung § 651h BGB dient, in diesem Sinne auszulegen ist.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Reiseveranstalter-Entschädigung bei Reiserücktritt (BGB a.F.); Darlegungs- und Beweislast
BGH vom 18.01.2022 - X ZR 125/20
MDR 2022, 551
Aufsatz:
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts im Jahr 2020
Ernst Führich, MDR 2021, 777
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH PM Nr. 118 vom 2.8.2022
Der Kläger buchte bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12.4.2020 zu einem Gesamtpreis von rd. 6.000 €. In Japan waren Anfang Februar Schutzmasken im gesamten Land ausverkauft. Ende Februar schlossen die großen Vergnügungsparks, sportliche Großveranstaltungen fanden nicht mehr oder nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am 26.2.2020 beschloss die japanische Regierung, für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen komplett abzusagen. Einen Tag später wurde beschlossen, sämtliche Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen.
Der Kläger trat am 1.3.2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten i.H.v. insgesamt rd. 1.500 € (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26.3.2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags.
Das AG gab der Klage antragsgemäß statt; das LG wies sie ganz überwiegend ab. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Rückzahlungsanspruch in voller Höhe weiter. Nach Auffassung des BGH hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) Nr. 2015/2302 (Pauschalreise-Richtlinie) ab. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die relevante Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Die Gründe:
Die Begründetheit der Klage hängt davon ab, ob die beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
In Instanzrechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob Umstände dieser Art bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen, oder ob der Entschädigungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn solche Umstände erst nach der Rücktrittserklärung aufgetreten sind.
Vorliegend hat das LG auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts am 1.3.2020 noch nicht hinreichend wahrscheinlich war. Der BGH hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das LG sich nicht mit der Frage befasst hat, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl der bis zum 1.3.2020 in Japan getroffenen Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Infektionsgefahr begründete. Zur abschließenden Klärung dieser Frage müsste der BGH die Sache an das LG zurückverweisen.
Eine Zurückverweisung der Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschädigungsanspruch schon wegen des nach dem Rücktritt am 26.3.2020 angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre. Der BGH neigt der Auffassung zu, dass (auch) nach dem Rücktritt aufgetretene Umstände dieser Art zu berücksichtigen sind. Die Frage war dem EuGH vorzulegen, weil aufgrund einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 25.1.2022 (8Ob130/21g) nicht hinreichend klar ist, ob Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie, deren Umsetzung § 651h BGB dient, in diesem Sinne auszulegen ist.
Rechtsprechung:
Reiseveranstalter-Entschädigung bei Reiserücktritt (BGB a.F.); Darlegungs- und Beweislast
BGH vom 18.01.2022 - X ZR 125/20
MDR 2022, 551
Aufsatz:
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts im Jahr 2020
Ernst Führich, MDR 2021, 777
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!