EuGH-Vorlage zur gerichtlichen Zuständigkeit im Reiserecht
AG Frankfurt a.M. v. 21.1.2022 - 30 C 208/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin machte gegen das beklagte Reiseunternehmen vor dem AG Frankfurt a.M. einen Anspruch auf Zahlung von rund 3.800 € nebst Zinsen seit dem 11.7.2020 sowie einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 413 € geltend. Sie wohnt in Frankfurt a.M.. Den Anspruch auf Zahlung leitete sie aus dem Reisevertrag her, den ihr Lebensgefährte mit der Beklagten abgeschlossen hatte. Die Buchungsbestätigung wies eine Adresse in Frankfurt a.M. aus. Wesentliche Vertragsgegenstände waren Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Kuba. Außerdem ein Transfer zum Hotel und zurück sowie All-inclusive-Unterbringung in einer Grand Suite. Die Klägerin behauptete, dass die Unterbringung nicht dem entsprach, was im Vertrag vereinbart worden war.
Die Beklagte ist eine juristische Person hat ihren Sitz in Köln. Sie war der Ansicht, dass eine örtliche Zuständigkeit des AG Frankfurt a.M. nicht gegeben sei. Für die Klage sei das AG Köln zuständig.
Das AG Frankfurt a.M. hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 AEUV zur Entscheidung vorgelegt.
Die Gründe:
Ob in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Reisende und der Reiseveranstalter ihren Sitz im Inland haben, das Reiseziel aber im Ausland liegt, Art. 18 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO anwendbar ist, ist in der deutschen Rechtsprechung umstritten. So entschied etwa das LG Nürnberg-Fürth, dass Art. 18 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO nur Anwendung findet, wenn der Reiseveranstalter und der Reisende nicht im gleichen Mitgliedsstaat ihren Sitz haben; nur dann sei der erforderliche grenzüberschreitende Bezug gegeben. Eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit innerhalb des Mitgliedsstaates sei damit nicht verbunden (Beschl. v. 30.04.2015 - Az.: 3 O 2749/15).
In der Literatur wird dagegen vertreten, dass ein grenzüberschreitender Sachverhalt nicht voraussetze, dass die Parteien ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten hätten. Eine solche Beschränkung sei der Brüssel-Ia-VO weder in der deutschen, noch in der englischen oder französischen Sprachfassung zu entnehmen. Vielmehr sei bei Einführung der Brüssel-Ia-VO die Schaffung eines Wohnsitzforums für den klagenden Verbraucher beabsichtigt gewesen. Auch setze etwa Art. 6 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO nicht voraus, dass beide Parteien ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten hätten, sondern lasse den Sitz in einem Mitgliedsstaat genügen; dabei es nicht ausgeschlossen, dass es sich auch um den gleichen Mitgliedsstaat handeln könnte.
Beide Ansichten berufen sich auf die EuGH-Rechtsprechung, namentlich die Entscheidung vom 1.3.2005 zum Aktenzeichen C-281/02 zur Vorgängervorschrift Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ.
Das Gericht hat dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist Art. 18 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift neben der Regelung der internationalen Zuständigkeit auch eine durch das entscheidende Gericht zu beachtende Regelung über die örtliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte in Reisevertragssachen trifft, wenn sowohl der Verbraucher als Reisender als auch sein Vertragspartner als Reiseveranstalter ihren Sitz im gleichen Mitgliedsstaat haben, das Reiseziel aber nicht in diesem Mitgliedsstaat, sondern im Ausland liegt mit der Folge, dass der Verbraucher vertragliche Ansprüche gegen den Reiseveranstalter in Ergänzung nationaler Vorschriften an seinem Wohnsitzgericht einklagen kann?
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Die Klägerin machte gegen das beklagte Reiseunternehmen vor dem AG Frankfurt a.M. einen Anspruch auf Zahlung von rund 3.800 € nebst Zinsen seit dem 11.7.2020 sowie einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 413 € geltend. Sie wohnt in Frankfurt a.M.. Den Anspruch auf Zahlung leitete sie aus dem Reisevertrag her, den ihr Lebensgefährte mit der Beklagten abgeschlossen hatte. Die Buchungsbestätigung wies eine Adresse in Frankfurt a.M. aus. Wesentliche Vertragsgegenstände waren Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Kuba. Außerdem ein Transfer zum Hotel und zurück sowie All-inclusive-Unterbringung in einer Grand Suite. Die Klägerin behauptete, dass die Unterbringung nicht dem entsprach, was im Vertrag vereinbart worden war.
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Die Gründe:
Ob in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Reisende und der Reiseveranstalter ihren Sitz im Inland haben, das Reiseziel aber im Ausland liegt, Art. 18 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO anwendbar ist, ist in der deutschen Rechtsprechung umstritten. So entschied etwa das LG Nürnberg-Fürth, dass Art. 18 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO nur Anwendung findet, wenn der Reiseveranstalter und der Reisende nicht im gleichen Mitgliedsstaat ihren Sitz haben; nur dann sei der erforderliche grenzüberschreitende Bezug gegeben. Eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit innerhalb des Mitgliedsstaates sei damit nicht verbunden (Beschl. v. 30.04.2015 - Az.: 3 O 2749/15).
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