03.05.2021

Familiengerichte sind für Anträge wegen behaupteter Kindeswohlbeeinträchtigungen aufgrund von Corona-Maßnahmen nicht zuständig

Anträge und Anregungen von Sorgeberechtigten auf Tätigkeitwerden des Gerichts gem. § 1666 Abs. 4 BGB gegen schulische Anordnungen zur Verpflichtung von Schülern zum Tragen von Mund- Nasenschutz, Abstandsgeboten und Testanordnungen in der Schule wegen behaupteter Kindeswohlbeeinträchtigungen stellen keine Kindschaftssachen i.S.d. FamFG dar (Abgrenzung zu Beschluss des AG Weimar vom 8.4.2021, Az.: 9 F 148/21).

AG Waldshut-Tiengen v. 13.4.2021 - 306 AR 6/21
Der Sachverhalt:
Die Anhörung der sorgeberechtigten Mutter als Antragstellerin erfolgte durch das Anschreiben des Gerichts im vorangegangenen AR-Verfahren 304 AR 4/21 vom 23.3.2021. Die Mutter hielt in Anknüpfung an dieses Verfahren unter Bezugnahme auf den Beschluss des AG Weimar vom 8.4.2021 im Verfahren 9F 148/21 an ihren Einwänden gegen die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes für ihr Kind sowie aller weiteren Schulkinder der Grundschule fest. Sie beantragte, von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten und die Rechtmäßigkeit der Corona- Schutzverordnung des Landes Baden-Württemberg zu überprüfen.

Das AG hat den Antrag an das VG Freiburg im Breisgau verwiesen.

Die Gründe:
Im vorliegenden Fall handelt es sich (in Abgrenzung der Auffassung des AG Weimar - s.o.) nicht um Kindschaftssachen i.S.d. §§ 23a GVG, 111 Nr. 2, 151 FamFG.

Die Mutter verkennt - wie auch das AG Weimar - dass es sich nicht um eine Angelegenheit der elterlichen Sorge handelt, für die das Familiengericht materiell- rechtlich nach § 1666 Abs. 4 BGB gegebenenfalls Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls auch mit Wirkung gegen einen Dritten treffen könnte. Mit einer solchen Auslegung des § 1666 BGB werden der Tatbestand des § 1666 Abs. 1 BGB (Kindeswohlgefährdung, Subsidiaritätsklausel) und eine der möglichen Rechtsfolgen gem. § 1666 Abs. 4 BGB (Maßnahmen auch mit Wirkung gegen einen Dritten) vermischt.

Die Vorschrift des § 1666 BGB enthält tatbestandlich begrenzte Ermächtigungen für Eingriffe des Staates in die Personen- und Vermögenssorge der Eltern im Rahmen des staatlichen Wächteramts nach Art. 6 GG zum Schutz des Kindes. Gerichtliche Maßnahmen können wegen der nur subsidiären Zuständigkeit des Staates als weitere Tatbestandsvoraussetzung nur ergriffen werden, wenn die Eltern zur Gefahrenabwendung nicht bereit oder fähig sind. Dies ergibt sich einfachgesetzlich schon aus dem Wortlaut des § 1666 Abs. 1 BGB.

Die Ausführungen des Amtsgerichts Weimar, es sei wegen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 GG verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur für solche Kinder, deren Eltern bereit und in der Lage wären, gebotene gerichtliche Anträge zu stellen ein Schutz bestehe, können nicht nachvollzogen werden. Denklogische Konsequenz dieser Argumentation wäre, dass (sämtliche) deutschen Familiengerichte für alle Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland von Amts wegen Kinderschutzverfahren im Rahmen der staatlichen Fürsorgepflicht einleiten müssten. Dies wäre jedoch ein Verstoß der Familiengerichte gegen den Erziehungsvorrang der Eltern, wie er in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als natürliches Recht der Eltern verankert ist.

Das Kind verfügt zwar über einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können. Dieses Wächteramt des Staates nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ist jedoch nur subsidiär. Voraussetzung für die staatliche Intervention ist eine auf elterlichem Fehlverhalten beruhende schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls. Die Mutter als Sorgeberechtigte zeigte aber hier durch ihr Verhalten, dass sie zur Abwehr der (behaupteten) Gefahr gewillt ist, indem sie den Rechtsweg beschreitet. Ein Anlass, in ihre elterliche Sorge einzugreifen, besteht somit nicht.

Vielmehr handelt es sich um die Überprüfung von Maßnahmen der Schule, also der öffentlichen Hand, die nach der Behauptung der Antragstellerin in Grund- bzw. Menschenrechte des Kindes bzw. der Kinder an der Schule unverhältnismäßig eingreifen. Solche öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art sind nach § 40 VwGO dem Verwaltungsrechtsweg zugewiesen, da sie nicht durch Bundesgesetz (hier: FamFG) einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
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