Fiktive Schadensabrechnung: Der zur Herstellung erforderliche Betrag ist ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln
BGH v. 28.1.2025 - VI ZR 300/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Meinerzhagen in Anspruch. Bei einem Verkehrsunfall im März 2022 wurde das in Deutschland zugelassene Fahrzeug des in Deutschland wohnenden Klägers beschädigt. Das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage er seinen Schaden gegenüber der Beklagten abrechnete, wies Reparaturkosten i.H.v. rd. 3.100 € netto aus.
Während eines Urlaubs in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig sach- und fachgerecht reparieren. Zu den Kosten dieser Reparatur macht er keine Angaben. Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz i.H.v. rd. 4.200 € (rd. 3.100 € Reparaturkosten, merkantiler Minderwert, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung, Unkostenpauschale) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen.
Das AG wies die Klage ab; der Kläger könne nur die im Ausland tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen, zu denen er aber nicht vorgetragen habe. Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte auf Grundlage einer Haftungsquote von 40 % zu ihren Lasten zur Zahlung von Schadensersatz i.H.v. rd. 1.600 € (davon rd. 1.100 € Reparaturkosten) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG hat aufgrund der vom Kläger gewählten fiktiven Schadensabrechnung die Reparaturkosten rechtsfehlerfrei zuerkannt. Entgegen der Ansicht der Revision war der Kläger nicht verpflichtet, zu den tatsächlichen Kosten der sach- und fachgerecht durchgeführten Reparatur in der Türkei vorzutragen.
Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufrieden gibt.
Der Senat hat entschieden, dass auf der Grundlage einer preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen ist, wenn ein Verweis der Schädigerseite darauf nicht einmal erforderlich ist, weil der Geschädigte die Möglichkeit einer vollständigen und fachgerechten, aber preiswerteren Reparatur selbst darlegt und sogar wahrgenommen hat (BGH v. 3.12.2013 - VI ZR 24/13, VersR 2014, 214). Mit Verweis auf dieses Senatsurteil vertreten nicht nur die Revision und das AG im Streitfall, sondern auch Teile der Rechtsprechung und Literatur die Ansicht, wenn eine sach- und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs in dem Umfang erfolgt sei, den der Sachverständige für notwendig gehalten habe, dann sei der Schadensersatz auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten begrenzt. Andernfalls bestehe die Gefahr einer unzulässigen Bereicherung durch den Unfall. Die Forderung weiterer fiktiver Reparaturkosten sei dann unschlüssig. Auf dieser Grundlage wird eine Verpflichtung zur Darlegung der tatsächlichen Reparaturkosten angenommen.
Die Gegenmeinung verweist darauf, wenn der Geschädigte bei erfolgter sach- und fachgerechter Reparatur den tatsächlichen Aufwand darlegen müsse, bedeute dies die Aufgabe der Rechtsprechung zur fiktiven Abrechnung. Dies sei dem oben zitierten Senatsurteil nicht zu entnehmen und führe zu zufälligen Ergebnissen, je nachdem, ob der Geschädigte die Reparatur vor oder nach Abschluss der Schadensregulierung durchführen lasse. Die zuerst genannte Ansicht wie auch die Revision, die der Meinung ist, der Kläger müsse im Streitfall zu den Reparaturkosten in der Türkei vortragen, verkennen die Tragweite der Ersetzungsbefugnis und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Bei der fiktiven Abrechnung hat der Geschädigte weder darzulegen, dass er seinen Unfallwagen hat reparieren lassen, noch auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden ist.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung
Keine Obliegenheit des Geschädigten zur Einholung eines Sachverständigengutachtens vor Beauftragung der Werkstatt
BGH vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23
VersR 2024, 448
VERSR0065305
Rechtsprechung (siehe Gründe)
Keine fiktive Abrechnung in Höhe der vom Sachverständigen ermittelten Kosten bei durchgeführter sach- und fachgerechter Reparatur zu niedrigeren Bruttokosten
BGH vom 03.12.2013 - VI ZR 24/13
k.A., VersR 2014, 214
Beratermodul VersR - Zeitschrift für Versicherungsrecht
Otto Schmidt Assist optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Assist-Lizenz gilt für alle Assist-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Mit dem Beratermodul VersR haben Sie Zugriff auf das Archiv der Zeitschrift VersR seit 1970 mit jeweils 24 Ausgaben pro Jahr. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Meinerzhagen in Anspruch. Bei einem Verkehrsunfall im März 2022 wurde das in Deutschland zugelassene Fahrzeug des in Deutschland wohnenden Klägers beschädigt. Das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage er seinen Schaden gegenüber der Beklagten abrechnete, wies Reparaturkosten i.H.v. rd. 3.100 € netto aus.
Während eines Urlaubs in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig sach- und fachgerecht reparieren. Zu den Kosten dieser Reparatur macht er keine Angaben. Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz i.H.v. rd. 4.200 € (rd. 3.100 € Reparaturkosten, merkantiler Minderwert, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung, Unkostenpauschale) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen.
Das AG wies die Klage ab; der Kläger könne nur die im Ausland tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen, zu denen er aber nicht vorgetragen habe. Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte auf Grundlage einer Haftungsquote von 40 % zu ihren Lasten zur Zahlung von Schadensersatz i.H.v. rd. 1.600 € (davon rd. 1.100 € Reparaturkosten) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG hat aufgrund der vom Kläger gewählten fiktiven Schadensabrechnung die Reparaturkosten rechtsfehlerfrei zuerkannt. Entgegen der Ansicht der Revision war der Kläger nicht verpflichtet, zu den tatsächlichen Kosten der sach- und fachgerecht durchgeführten Reparatur in der Türkei vorzutragen.
Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufrieden gibt.
Der Senat hat entschieden, dass auf der Grundlage einer preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen ist, wenn ein Verweis der Schädigerseite darauf nicht einmal erforderlich ist, weil der Geschädigte die Möglichkeit einer vollständigen und fachgerechten, aber preiswerteren Reparatur selbst darlegt und sogar wahrgenommen hat (BGH v. 3.12.2013 - VI ZR 24/13, VersR 2014, 214). Mit Verweis auf dieses Senatsurteil vertreten nicht nur die Revision und das AG im Streitfall, sondern auch Teile der Rechtsprechung und Literatur die Ansicht, wenn eine sach- und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs in dem Umfang erfolgt sei, den der Sachverständige für notwendig gehalten habe, dann sei der Schadensersatz auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten begrenzt. Andernfalls bestehe die Gefahr einer unzulässigen Bereicherung durch den Unfall. Die Forderung weiterer fiktiver Reparaturkosten sei dann unschlüssig. Auf dieser Grundlage wird eine Verpflichtung zur Darlegung der tatsächlichen Reparaturkosten angenommen.
Die Gegenmeinung verweist darauf, wenn der Geschädigte bei erfolgter sach- und fachgerechter Reparatur den tatsächlichen Aufwand darlegen müsse, bedeute dies die Aufgabe der Rechtsprechung zur fiktiven Abrechnung. Dies sei dem oben zitierten Senatsurteil nicht zu entnehmen und führe zu zufälligen Ergebnissen, je nachdem, ob der Geschädigte die Reparatur vor oder nach Abschluss der Schadensregulierung durchführen lasse. Die zuerst genannte Ansicht wie auch die Revision, die der Meinung ist, der Kläger müsse im Streitfall zu den Reparaturkosten in der Türkei vortragen, verkennen die Tragweite der Ersetzungsbefugnis und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Bei der fiktiven Abrechnung hat der Geschädigte weder darzulegen, dass er seinen Unfallwagen hat reparieren lassen, noch auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden ist.
Rechtsprechung
Keine Obliegenheit des Geschädigten zur Einholung eines Sachverständigengutachtens vor Beauftragung der Werkstatt
BGH vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23
VersR 2024, 448
VERSR0065305
Rechtsprechung (siehe Gründe)
Keine fiktive Abrechnung in Höhe der vom Sachverständigen ermittelten Kosten bei durchgeführter sach- und fachgerechter Reparatur zu niedrigeren Bruttokosten
BGH vom 03.12.2013 - VI ZR 24/13
k.A., VersR 2014, 214
Beratermodul VersR - Zeitschrift für Versicherungsrecht
Otto Schmidt Assist optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Assist-Lizenz gilt für alle Assist-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Mit dem Beratermodul VersR haben Sie Zugriff auf das Archiv der Zeitschrift VersR seit 1970 mit jeweils 24 Ausgaben pro Jahr. 4 Wochen gratis nutzen!