Flug storniert: Wie ist das Schweigen des Kunden zu werten?
AG Köln v. 15.3.2022 - 120 C 71/21Der Kläger und seine Ehefrau hatten bei der Beklagten zwei Flüge (am 1.6.2021 und am 18.6.2021) gebucht. Planmäßige Abflugzeit am 1.6.2021 war 10:20 Uhr. Der Kläger und seine Frau zahlten für die Flüge rund 2.213 €. Es handelte sich um einen Tarif, der bei Stornierung die Erstattung von Steuern und Gebühren vorsah. Außerdem verfügten der Kläger und seine Frau über Buchungen für zwei Flüge am 20.8.2021 und am 8.9.2021. Dieser Tarif sah bei Stornierung eine Erstattung von 250 € pro Person vor.
Am 26.2.2021 teilte die Beklagte dem Kläger per E-Mail mit, dass die Abflugzeit des Fluges am 1.6.2021 auf 10:35 Uhr geändert worden war. Sie bot ihm drei Optionen an:
- die geänderte Buchung zu akzeptieren,
- das Ticket zu einem späteren Zeitpunkt zu nutzen oder
- "Ich möchte mein Ticket erstatten".
Vor dem Button der dritten Option stand der Hinweis, dass der Kunde Anspruch auf Rückerstattung des Ticktes habe, wenn sein Flug annulliert wurde er von einer Flugplanäderung oder Verschiebung der Abflug- und/oder Ankunftszeit von mehr als zwei Stunden betroffen ist. In diesen Fällen könne er sein Ticket über diese Option zur Rückerstattung einreichen. Alle nach der Flugplanänderung verbleibenden Flüge würden storniert. Hinter dem Button wurde der Kläger gebeten, eine der oben genannten Optionen zu wählen oder bei Änderungswünschen oder weiteren Fragen das Service Center bis zum 15.3.2021 zu kontaktieren. Anderenfalls behielt sich die Beklagte vor, die geänderte Buchung zu streichen.
Der Kläger befand sich im Krankenhaus und rief seine E-Mails nicht ab. Die Beklagte stornierte die Flüge. Am 25.4.2021 zahlte die Beklagte an den Kläger die Steuern und Gebühren der Flüge i.H.v. 121 € und sowie einen Betrag von 1.537 €. Am 1.6.2021 führte die Beklagte den Flug um 10:35 Uhr durch. Der Kläger war der Ansicht, die E-Mail vom 26.2.2021 sei verwirrend gewesen. Dem Empfänger werde nicht klargemacht, dass er innerhalb einer Frist reagieren müsse. Es sei unklar, was mit "streichen" gemeint sei.
Das AG gab der auf Zahlung von weiteren 2.470 € gerichteten Klage statt.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gem. §§ 631, 280, 281, 398 BGB ein Anspruch auf Zahlung von 2.470 € gegen die Beklagte zu.
Die Parteien hatten einen Werkvertrag miteinander geschlossen. Ein auf die entgeltliche Luftbeförderung von Personen gerichteter Vertrag ist als Werkvertrag i.S.v. § 631 BGB zu qualifizieren. Die Beklagte hat ihre Leistungspflicht aus dem Vertrag verletzt, den Kläger und seine Frau zu befördern. Pflichtverletzung ist auch die Nichtleistung. Die Leistungspflicht muss grundsätzlich fällig i.S.d. § 271 BGB sein, also der Zeitpunkt muss eingetreten sein, von dem an der Gläubiger die Leistung verlangen kann. Fälligkeit ist jedoch entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung vor Fälligkeit ernsthaft und endgültig verweigert. Und so lag der Fall hier. Die Beklagte hatte die Flüge im März storniert und mit Schreiben vom 25.4.2021 abgerechnet, wodurch sie dem Kläger gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie sich nicht mehr als zur Leistung verpflichtet ansah.
Die Stornierung bzw. "Streichung" der Flüge war unberechtigt. Es ist von Seiten der darlegungsbelasteten Beklagten nicht vorgetragen worden, dass sie nach dem Vertrag zur Stornierung berechtigt war. Diese Frage konnte allerdings dahinstehen, denn selbst wenn es nach dem Vertrag ein freies Kündigungsrecht des Luftfahrtunternehmens gab, hätte dies nicht zur Folge, dass die Beklagte Stornierungsgebühren verlangen konnte. Ihrem Vortrag nach sah der Tarif der Buchung zwar vor, dass bei einer Stornierung Steuern und Gebühren erstattet werden und bei dem Tarif mit der anderen Buchung 250 € pro Person erstattet werden. Dieser Vortrag war jedoch in der Weise auszulegen, dass dies nur dann gelten konnte, wenn der Kunde storniert, nicht aber die Fluggesellschaft.
Eine Klausel, die bei Stornierung durch das Luftfahrtunternehmen Stornogebühren vorsähe, wäre ohnehin nicht wirksam und verstieße sowohl gegen nationales AGB-Recht als auch gegen die EG VO 261/2004 (Fluggastrechteverordnung). Entgegen der Annahme der Beklagten lag hier keine Stornierung des Klägers vor. Diesbezüglich hätte es einer Willenserklärung des Klägers bedurft, die der Beklagten auch zugegangen sein müsste.
Der Kläger musste zwar mit einer Flugzeitenänderung rechnen, wie dies häufig geschieht, aber nicht damit, dass seinem Schweigen der Regelungsgehalt einer Willenserklärung zukommt. Das konnte die Beklagte schon deshalb nach § 242 BGB nicht annehmen, weil dies dem Schweigenden in der E-Mail gar nicht deutlich gemacht wurde. Denn nach dem Wortlaut der E-Mail sollte dem Schweigen des Kunden gar nicht der Erklärungsinhalt einer Stornierung zukommen. Die Beklagte behielt sich vielmehr vor, nach Ablauf der Frist selbst die "geänderte Buchung zu streichen". Das Schweigen innerhalb der Frist sollte nach dem eindeutigen Wortlaut nicht als Stornierung des Kunden gelten, sondern der Beklagten ein Recht zum "Streichen der Buchung" geben.
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