Formulare zur Dokumentation einer ärztlichen Aufklärung unterliegen nicht der Kontrolle nach § 307 ff. BGB
BGH v. 2.9.2021 - III ZR 63/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Er macht gegen den beklagten Verein, einen Berufsverband für Augenärzte, einen Unterlassungsanspruch gem. § 1 UKlaG geltend. Der Beklagte empfiehlt seinen Mitgliedern, eine "Patienteninformation" zur "Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom)" zu verwenden.
Der Kläger beantragte, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, die Empfehlung der Klausel "Ich habe die Patienteninformation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde darüber aufgeklärt, dass trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten ist" und/oder dieser Klausel mit dem anzukreuzenden Zusatz "Ich wünsche zur Zeit keine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung" zu unterlassen sowie Abmahnkosten i.H.v. 260 € nebst Zinsen zu zahlen. Er ist der Auffassung, bei der Klausel handele es sich um eine nach § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchst. b BGB unzulässige Tatsachenbestätigung; zudem werde der Patient psychologisch unter Druck gesetzt, da er sich einer ärztlichen Empfehlung offen widersetzen müsse.
Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab (GesR 2020, 314). Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 1 UKlaG zu, die Empfehlung des streitigen Passus zu unterlassen.
Bei der angegriffenen Klausel handelt es sich zwar um AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel ist jedoch nicht gem. § 307 Abs. 1 und 2, § 308 oder § 309 BGB unwirksam. Sie weicht weder von Rechtsvorschriften ab noch ergänzt sie diese, so dass eine Inhaltskontrolle nach diesen Bestimmungen gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht stattfindet. Das vom Beklagten empfohlene Informationsblatt unterrichtet die Patienten über das Risiko eines symptomlosen Glaukoms und über die Möglichkeit einer (auf eigene Kosten durchzuführenden) Früherkennungsuntersuchung. Die streitige Klausel dient der Dokumentation der hierüber erfolgten Aufklärung und der Entscheidung des Patienten, ob er die angeratene Untersuchung vornehmen lassen will. Für die ärztliche Aufklärung gelten durch die Rechtsprechung des BGH entwickelte eigenständige Regeln, die auch das Beweisregime erfassen. Danach dürfen an den dem Arzt obliegenden Beweis dafür, dass er eine geschuldete Aufklärung geleistet hat, keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann.
Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen gehört etwa eine ständige oder übliche Beratungspraxis; kann der Arzt eine solche darlegen und ggf. beweisen, sollte im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist. Zudem können die Aufzeichnungen des Arztes im Krankenblatt herangezogen werden. Einen wesentlichen Anhaltspunkt für den Inhalt der dem Patienten erteilten Aufklärung stellt - in positiver wie auch in negativer Hinsicht - schließlich ein dem Patienten zur Verfügung gestelltes oder von diesem unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilligungsformular dar. Dies gilt auch im Hinblick auf die Pflicht zur therapeutischen Information i.S.d. § 630c BGB. So hat der BGH in einer Entscheidung vom 11.4.2017 (VI ZR 576/15) dem dortigen Berufungsgericht aufgegeben, das von dem Arzt vorgelegte Muster eines nach seinem Vortrag verwendeten Standardschreibens bei der Beurteilung der Frage zu verwerten, ob dieser den Patienten über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet hatte. Der BGH dabei hat auf die Vorteile vorformulierter Informationen für den Patienten hingewiesen und diesen selbst dann einen Beweiswert beigemessen, wenn sie nicht unterschrieben sind.
Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 die "bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts gesetzlich kodifiziert", was insbesondere auch das Beweisrecht einschließt. Dabei hat er ausdrücklich die Beweiswirkung der Dokumentation in der Patientenakte anerkannt sowie eine formularmäßige Bestätigung einer Aufklärung und einer Einwilligung für zulässig gehalten. Dieses Aufklärungs- und Beweisregime wird durch die angegriffene Klausel weder verändert noch ergänzt. Vielmehr fügt sie sich in dieses ein, so dass gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB eine Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB nicht stattfindet. Eine Überprüfung der Klausel nach diesen Vorschriften mit der möglichen Folge ihrer Unwirksamkeit und einem daraus folgenden Verwertungsverbot würde vielmehr zu nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen: Während dem unterschriebenen Aufklärungsbogen jegliche Beweiswirkung abgesprochen werden müsste, käme auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung und der Gesetzesbegründung dem nicht unterschriebenen Formular, der lediglich internen Dokumentation des Behandlers oder der "ständigen Aufklärungspraxis" ein Beweiswert zu, obwohl hier eine Mitwirkung des Patienten nicht sicher festgestellt werden kann, während diese im erstgenannten Fall durch die Unterschrift dokumentiert ist.
BGH online
Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Er macht gegen den beklagten Verein, einen Berufsverband für Augenärzte, einen Unterlassungsanspruch gem. § 1 UKlaG geltend. Der Beklagte empfiehlt seinen Mitgliedern, eine "Patienteninformation" zur "Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom)" zu verwenden.
Der Kläger beantragte, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, die Empfehlung der Klausel "Ich habe die Patienteninformation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde darüber aufgeklärt, dass trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten ist" und/oder dieser Klausel mit dem anzukreuzenden Zusatz "Ich wünsche zur Zeit keine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung" zu unterlassen sowie Abmahnkosten i.H.v. 260 € nebst Zinsen zu zahlen. Er ist der Auffassung, bei der Klausel handele es sich um eine nach § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchst. b BGB unzulässige Tatsachenbestätigung; zudem werde der Patient psychologisch unter Druck gesetzt, da er sich einer ärztlichen Empfehlung offen widersetzen müsse.
Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab (GesR 2020, 314). Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 1 UKlaG zu, die Empfehlung des streitigen Passus zu unterlassen.
Bei der angegriffenen Klausel handelt es sich zwar um AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel ist jedoch nicht gem. § 307 Abs. 1 und 2, § 308 oder § 309 BGB unwirksam. Sie weicht weder von Rechtsvorschriften ab noch ergänzt sie diese, so dass eine Inhaltskontrolle nach diesen Bestimmungen gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht stattfindet. Das vom Beklagten empfohlene Informationsblatt unterrichtet die Patienten über das Risiko eines symptomlosen Glaukoms und über die Möglichkeit einer (auf eigene Kosten durchzuführenden) Früherkennungsuntersuchung. Die streitige Klausel dient der Dokumentation der hierüber erfolgten Aufklärung und der Entscheidung des Patienten, ob er die angeratene Untersuchung vornehmen lassen will. Für die ärztliche Aufklärung gelten durch die Rechtsprechung des BGH entwickelte eigenständige Regeln, die auch das Beweisregime erfassen. Danach dürfen an den dem Arzt obliegenden Beweis dafür, dass er eine geschuldete Aufklärung geleistet hat, keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann.
Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen gehört etwa eine ständige oder übliche Beratungspraxis; kann der Arzt eine solche darlegen und ggf. beweisen, sollte im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist. Zudem können die Aufzeichnungen des Arztes im Krankenblatt herangezogen werden. Einen wesentlichen Anhaltspunkt für den Inhalt der dem Patienten erteilten Aufklärung stellt - in positiver wie auch in negativer Hinsicht - schließlich ein dem Patienten zur Verfügung gestelltes oder von diesem unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilligungsformular dar. Dies gilt auch im Hinblick auf die Pflicht zur therapeutischen Information i.S.d. § 630c BGB. So hat der BGH in einer Entscheidung vom 11.4.2017 (VI ZR 576/15) dem dortigen Berufungsgericht aufgegeben, das von dem Arzt vorgelegte Muster eines nach seinem Vortrag verwendeten Standardschreibens bei der Beurteilung der Frage zu verwerten, ob dieser den Patienten über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet hatte. Der BGH dabei hat auf die Vorteile vorformulierter Informationen für den Patienten hingewiesen und diesen selbst dann einen Beweiswert beigemessen, wenn sie nicht unterschrieben sind.
Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 die "bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts gesetzlich kodifiziert", was insbesondere auch das Beweisrecht einschließt. Dabei hat er ausdrücklich die Beweiswirkung der Dokumentation in der Patientenakte anerkannt sowie eine formularmäßige Bestätigung einer Aufklärung und einer Einwilligung für zulässig gehalten. Dieses Aufklärungs- und Beweisregime wird durch die angegriffene Klausel weder verändert noch ergänzt. Vielmehr fügt sie sich in dieses ein, so dass gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB eine Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB nicht stattfindet. Eine Überprüfung der Klausel nach diesen Vorschriften mit der möglichen Folge ihrer Unwirksamkeit und einem daraus folgenden Verwertungsverbot würde vielmehr zu nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen: Während dem unterschriebenen Aufklärungsbogen jegliche Beweiswirkung abgesprochen werden müsste, käme auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung und der Gesetzesbegründung dem nicht unterschriebenen Formular, der lediglich internen Dokumentation des Behandlers oder der "ständigen Aufklärungspraxis" ein Beweiswert zu, obwohl hier eine Mitwirkung des Patienten nicht sicher festgestellt werden kann, während diese im erstgenannten Fall durch die Unterschrift dokumentiert ist.