Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit bei unabsehbar fortbestehender Suizidgefahr
BGH v. 26.10.2022 - VIII ZR 390/21Die heute 80-jährige Beklagte bewohnt seit 1977 eine im dritten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses liegende Zwei-Zimmer-Wohnung des Klägers in Köln. Seit August 2015 beträgt die monatliche Gesamtmiete rund 388 € einschließlich einer Betriebskostenvorauszahlung von 69 €. Am 3.4.2017 hatte der Kläger den Mietvertrag zum 31.12.2017 wegen Eigenbedarfs gekündigt. Diesen begründete er damit, dass er die Wohnung für sich und seinen Lebenspartner benötige, um sie mit der von ihnen bereits genutzten Wohnung zusammenzulegen. Hierdurch solle eine Wohnung mit insgesamt 190 bis 200 qm entstehen. Sein 75-jähriger Lebensgefährte habe orthopädische Probleme, weshalb ihm der Umbau zu Gute käme.
Die Beklagte widersprach der Kündigung und machte Härtegründe geltend. Sie leide u.a.an schwerer rezidivierender Depression bis hin zu Suizidideen. Daraufhin bot der Kläger der Beklagten als Alternative die Anmietung einer anderen Wohnung im Haus zu einer Kaltmiete von rund 356 € an. Dieses Angebot nahm die Beklagte nicht an.
Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit zu den im Mietvertrag vorgesehenen Bedingungen, allerdings unter Erhöhung der Nettokaltmiete, ausgesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG das erstinstanzliche Urteil insoweit abgeändert, als es die in dem auf unbestimmte Zeit fortgesetzten Mietverhältnis zu zahlende monatliche Nettokaltmiete noch weiter erhöht hat. Der BGH hat die hiergegen gerichtete Revision zurückgewiesen.
Gründe:
Ohne Rechtsfehler haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Beklagte nach §§ 574, 574a BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen kann.
Sowohl bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte i.S.v. § 574 Abs. 1 BGB als auch bei deren Gewichtung im Rahmen der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters ist im Einzelfall zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch die Unterstützung des Umfelds des Mieters bzw. durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen (Anschluss an und Fortführung von Senatsurteil vom 22.5.2019 - VIII ZR 180/18). Das LG hat in Übereinstimmung mit dem AG auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens festgestellt, dass bei der Beklagten für den Fall der Räumung die Gefahr eines Suizids besteht. Es hat weiter festgestellt, dass die Beklagte auf Grund ihrer völligen Fixierung auf ihre Wohnung krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, die ihr angebotene Ersatzwohnung anzunehmen.
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht seiner Beurteilung nicht ein unzutreffendes Rechtsverständnis zu Grunde gelegt, indem es das Vorliegen einer Härte nicht deshalb verneint hatte, weil die Beklagte eine stationäre Therapie bis heute ablehnt. Die Ablehnung einer möglichen Therapie durch den suizidgefährdeten Mieter führt nicht grundsätzlich dazu, dass das Vorliegen einer Härte abzulehnen oder bei der Interessenabwägung den Interessen des Vermieters der Vorrang einzuräumen wäre. Vielmehr ist dieser Umstand im Rahmen der umfassenden Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, bei der auch die Gründe für die Ablehnung, etwa eine krankheitsbedingt fehlende Einsichtsfähigkeit in eine Therapiebedürftigkeit, sowie die Erfolgsaussichten einer Therapie zu bewerten sind.
Das Berufungsgericht hat letztlich auch das Angebot des Klägers, der Beklagten eine Ersatzwohnung zur Verfügung zu stellen, bei seiner Entscheidung über das Vorliegen einer Härte i.S.v. § 574 Abs. 1 BGB rechtsfehlerfrei berücksichtigt und gewürdigt. Das Angebot einer Ersatzwohnung durch den Vermieter und dessen Ablehnung durch den Mieter sowie die Gründe hierfür sind ebenfalls einzelfallbezogen sowohl bei der Beurteilung, ob eine Härte vorliegt, als auch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Auch und insbesondere im Rahmen der Interessenabwägung verbietet sich eine schematische Beurteilung dahingehend, dass die Ablehnung einer Ersatzwohnung stets zu Gunsten des Vermieters zu berücksichtigen ist und dazu führt, dass der Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht verlangen kann. Somit begegnete die Würdigung der Vorinstanzen, dass das Angebot und die Ablehnung der Ersatzwohnung den Härtegrund weder entfallen lässt noch dieser dadurch im Rahmen der Interessenabwägung weniger Gewicht erhält, keinen rechtlichen Bedenken.
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