Garagenzufahrt: Zu den Voraussetzungen für ein Notwegrecht
BGH v. 19.11.2021 - V ZR 262/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke, die durch Grundstücksteilung entstanden sind. Das Grundstück der Klägerin verfügt über ein zu Wohnzwecken genutztes Haupthaus und einen genehmigten Garagenbau bestehend aus zwei Garagen. Zur Sicherung der Zufahrt zu den Garagen hatte der ursprüngliche, das Grundstück teilende Eigentümer das Grundstück der Beklagten mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des klägerischen Grundstücks belastet.
Die Grunddienstbarkeit wurde als nicht in das geringste Gebot fallend gelöscht, als das Grundstück zwangsversteigert und den Beklagten zugeschlagen wurde. Auf dem Grundstück der Beklagten ruht eine Baulast zur Gewährung des Zugangs zum Grundstück der Klägerin dahingehend, dass der von den hierauf befindlichen Garagen ausgehende Zu- und Abgangsverkehr und der für den Brandschutz erforderliche Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten jederzeit ungehindert möglich ist.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, die Benutzung der auf deren Grundstück gelegenen Zufahrt zum Erreichen des Garagenbaus auf ihrem Grundstück mit Kfz zu dulden. Ferner begehrt sie von den Beklagten die Beseitigung eines Betonpodestes, welches nach ihrer Darstellung die Ausübung des beanspruchten Notwegrechts und die Ausübung der durch die Baulast bewirkten Gestattung beeinträchtigt.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG verneint rechtsfehlerfrei einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Einräumung eines Notwegrechts. Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg, so kann der Eigentümer nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Frei von Rechtsfehlern nimmt das OLG an, dass die bestehende Verbindung mit dem öffentlichen Weg für die ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks der Klägerin ausreichend ist und es daher an einer Notlage des Grundstücks mangelt.
Das OLG verneint zutreffend eine Notsituation des zu Wohnzwecken genutzten und mit einem öffentlichen Weg verbundenen Grundstücks der Klägerin. Etwas Anderes folgt nicht aus der Entscheidung des Senats vom 24.1.2020 (V ZR 155/18), die dem OLG Anlass zur Zulassung der Revision gegeben hat. Soweit der Senat für den dort zu entscheidenden Fall ausgeführt hat, dass sich die Nutzung der Garagen zum Abstellen von Kfz nicht als ordnungsmäßige Benutzung i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle, weil die Garagen baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung auch nicht genehmigungsfähig seien, ist dem nicht im Umkehrschluss zu entnehmen, dass die Nutzung nach öffentlichem Recht zulässiger Bauten ohne weitere Voraussetzungen eine ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ist. Dass die auf dem Grundstück genutzten Bauten baurechtlich genehmigt sind, stellt nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für ein Notwegrecht dar.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Garagenbau auf einem verbindungslosen Teil des Grundstücks befindet, die Garagen ohne Zubilligung eines Notwegrechts also nicht mehr zum Einstellen von Kfz genutzt werden können. Richtig ist, dass die Verbindung eines Grundstücks mit einem öffentlichen Weg ein Notwegrecht nicht von vornherein ausschließt. Der vorhandene Zugang zu einem öffentlichen Weg muss eine ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks ermöglichen. Daher kann auch dann, wenn nur ein Teil des Grundstücks von dem öffentlichen Weg aus zu benutzen ist, den restlichen Grundstücksteilen die notwendige Verbindung fehlen. Bei einem Wohngrundstück gehört das Abstellen von Kfz aber nicht zu einer ordnungsmäßigen Nutzung i.S.d. § 917 BGB. Folglich kommt bei einem solchen Grundstück ein Notweg nicht in Betracht, um eine Zufahrt zu einer Garage zu schaffen, die über die bestehende Verbindung zu einem öffentlichen Weg nicht erreichbar ist. Die gesonderte Betrachtung eines Grundstückteils im Rahmen des § 917 BGB wird im Regelfall nur bei Gewerbegrundstücken in Frage kommen, deren ordnungsmäßige Benutzung es nach den Umständen des Einzelfalls erfordert, dass auf dem verbindungslosen Grundstücksteil Kfz be- und entladen sowie ggf. auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt notwendig ist.
Demzufolge scheidet ein Notwegrecht der Klägerin ebenfalls aus. Die ordnungsmäßige Benutzung des ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks der Klägerin erfordert es zu dessen wirtschaftlicher Ausnutzung gerade nicht, dass Personenkraftwagen dort abgestellt werden können. Daher ist der mit den Garagen bebaute Teil des Grundstücks nicht als selbstständiger Grundstücksteil anzusehen, dem die notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Dieser Annahme steht die auf dem Grundstück der Beklagten lastende Baulast zur Gewährung des Zu- und Abgangsverkehrs zu den Garagen der Klägerin nicht entgegen. Die i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßige Benutzung eines zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks, welches eine Verbindung mit einem öffentlichen Weg aufweist, erfordert es im Allgemeinen auch dann nicht, dass auf einem verbindungslosen Grundstücksteil mit baurechtlicher Genehmigung errichtete Garagen zum Abstellen von Kfz genutzt werden können, wenn deren Zufahrt mittels Baulast gesichert ist. Die Baulast als öffentlich-rechtliche Baubeschränkung (vgl. § 85 HBO) gewährt privatrechtlich weder dem dadurch Begünstigten einen Nutzungsanspruch noch verpflichtet sie den Eigentümer, die Nutzung zu dulden.
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Die Parteien sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke, die durch Grundstücksteilung entstanden sind. Das Grundstück der Klägerin verfügt über ein zu Wohnzwecken genutztes Haupthaus und einen genehmigten Garagenbau bestehend aus zwei Garagen. Zur Sicherung der Zufahrt zu den Garagen hatte der ursprüngliche, das Grundstück teilende Eigentümer das Grundstück der Beklagten mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des klägerischen Grundstücks belastet.
Die Grunddienstbarkeit wurde als nicht in das geringste Gebot fallend gelöscht, als das Grundstück zwangsversteigert und den Beklagten zugeschlagen wurde. Auf dem Grundstück der Beklagten ruht eine Baulast zur Gewährung des Zugangs zum Grundstück der Klägerin dahingehend, dass der von den hierauf befindlichen Garagen ausgehende Zu- und Abgangsverkehr und der für den Brandschutz erforderliche Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten jederzeit ungehindert möglich ist.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, die Benutzung der auf deren Grundstück gelegenen Zufahrt zum Erreichen des Garagenbaus auf ihrem Grundstück mit Kfz zu dulden. Ferner begehrt sie von den Beklagten die Beseitigung eines Betonpodestes, welches nach ihrer Darstellung die Ausübung des beanspruchten Notwegrechts und die Ausübung der durch die Baulast bewirkten Gestattung beeinträchtigt.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG verneint rechtsfehlerfrei einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Einräumung eines Notwegrechts. Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg, so kann der Eigentümer nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Frei von Rechtsfehlern nimmt das OLG an, dass die bestehende Verbindung mit dem öffentlichen Weg für die ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks der Klägerin ausreichend ist und es daher an einer Notlage des Grundstücks mangelt.
Das OLG verneint zutreffend eine Notsituation des zu Wohnzwecken genutzten und mit einem öffentlichen Weg verbundenen Grundstücks der Klägerin. Etwas Anderes folgt nicht aus der Entscheidung des Senats vom 24.1.2020 (V ZR 155/18), die dem OLG Anlass zur Zulassung der Revision gegeben hat. Soweit der Senat für den dort zu entscheidenden Fall ausgeführt hat, dass sich die Nutzung der Garagen zum Abstellen von Kfz nicht als ordnungsmäßige Benutzung i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle, weil die Garagen baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung auch nicht genehmigungsfähig seien, ist dem nicht im Umkehrschluss zu entnehmen, dass die Nutzung nach öffentlichem Recht zulässiger Bauten ohne weitere Voraussetzungen eine ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ist. Dass die auf dem Grundstück genutzten Bauten baurechtlich genehmigt sind, stellt nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für ein Notwegrecht dar.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Garagenbau auf einem verbindungslosen Teil des Grundstücks befindet, die Garagen ohne Zubilligung eines Notwegrechts also nicht mehr zum Einstellen von Kfz genutzt werden können. Richtig ist, dass die Verbindung eines Grundstücks mit einem öffentlichen Weg ein Notwegrecht nicht von vornherein ausschließt. Der vorhandene Zugang zu einem öffentlichen Weg muss eine ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks ermöglichen. Daher kann auch dann, wenn nur ein Teil des Grundstücks von dem öffentlichen Weg aus zu benutzen ist, den restlichen Grundstücksteilen die notwendige Verbindung fehlen. Bei einem Wohngrundstück gehört das Abstellen von Kfz aber nicht zu einer ordnungsmäßigen Nutzung i.S.d. § 917 BGB. Folglich kommt bei einem solchen Grundstück ein Notweg nicht in Betracht, um eine Zufahrt zu einer Garage zu schaffen, die über die bestehende Verbindung zu einem öffentlichen Weg nicht erreichbar ist. Die gesonderte Betrachtung eines Grundstückteils im Rahmen des § 917 BGB wird im Regelfall nur bei Gewerbegrundstücken in Frage kommen, deren ordnungsmäßige Benutzung es nach den Umständen des Einzelfalls erfordert, dass auf dem verbindungslosen Grundstücksteil Kfz be- und entladen sowie ggf. auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt notwendig ist.
Demzufolge scheidet ein Notwegrecht der Klägerin ebenfalls aus. Die ordnungsmäßige Benutzung des ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks der Klägerin erfordert es zu dessen wirtschaftlicher Ausnutzung gerade nicht, dass Personenkraftwagen dort abgestellt werden können. Daher ist der mit den Garagen bebaute Teil des Grundstücks nicht als selbstständiger Grundstücksteil anzusehen, dem die notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Dieser Annahme steht die auf dem Grundstück der Beklagten lastende Baulast zur Gewährung des Zu- und Abgangsverkehrs zu den Garagen der Klägerin nicht entgegen. Die i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßige Benutzung eines zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks, welches eine Verbindung mit einem öffentlichen Weg aufweist, erfordert es im Allgemeinen auch dann nicht, dass auf einem verbindungslosen Grundstücksteil mit baurechtlicher Genehmigung errichtete Garagen zum Abstellen von Kfz genutzt werden können, wenn deren Zufahrt mittels Baulast gesichert ist. Die Baulast als öffentlich-rechtliche Baubeschränkung (vgl. § 85 HBO) gewährt privatrechtlich weder dem dadurch Begünstigten einen Nutzungsanspruch noch verpflichtet sie den Eigentümer, die Nutzung zu dulden.
- Rechtsprechung: BGH vom 16.4.2021, V ZR 85/20 - Voraussetzungen für Notwegerecht bei verbindungslosem Grundstück (MDR 2021, 1000)
- Rechtsprechung: OLG Frankfurt vom 23.11.2021, 6 U 117/20 - Anforderungen an die abstandsrechtliche Privilegierung als Grenzgarage (MDR 2021, 157)
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