Gebühren: Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung gegen gesamtschuldnerisch haftende Eigentümer
BGH v. 22.9.2022 - V ZB 2/20
Der Sachverhalt:
Auf Antrag der anwaltlich vertretenen Beteiligten zu 1) (Gläubigerin) ordnete das AG - Vollstreckungsgericht - die Zwangsversteigerung in die hälftigen Miteigentumsanteile der Beteiligten zu 2) und 3) (Schuldner) an einer Eigentumswohnung an und ließ zwei Beitritte der Gläubigerin zu. Es setzte - soweit hier von Interesse - die von der Gläubigerin doppelt, nämlich bezogen auf jeden der Schuldner gesondert geltend gemachte 0,4 Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG (nebst Auslagen und Umsatzsteuer; insgesamt 311,30 € je Schuldner) bei den mit der Versteigerung beizutreibenden Kosten nur einmal an. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen die Absetzung der zweiten Verfahrensgebühr wies das LG zurück.
Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hatte vor dem BGH ebenfalls keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG nimmt im Ergebnis zu Recht an, dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG i.H.v. 0,4 für die Tätigkeit des Rechtsanwalts der Gläubigerin bei den nach § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit der Versteigerung zugleich beizutreibenden notwendigen Kosten nur einfach in Ansatz zu bringen ist.
Dies folgt allerdings nicht daraus, dass es sich bei der Versteigerung von Miteigentumsanteilen zweier Bruchteilseigentümer, die für die vollstreckte Forderung gesamtschuldnerisch haften, von vornherein um (nur) ein Verfahren handelt. Bei einem im Miteigentum stehenden Grundstück sind gem. § 864 Abs. 2 ZPO (nur) die Miteigentumsanteile Gegenstand der Zwangsvollstreckung. Insoweit werden sie vollstreckungsrechtlich wie mehrere Grundstücke behandelt. Grundsätzlich wird, wie sich aus §§ 18, 63 ZVG ergibt, jedes Grundstück in einem gesonderten Verfahren versteigert. Folglich handelt es sich, wenn der Gläubiger die Zwangsversteigerung zweier Miteigentumsanteile an einem Grundstück beantragt, zunächst um zwei Verfahren, auch wenn der Antrag in einem einheitlichen Schriftsatz gestellt wird. Im Ergebnis ist die Beschwerdeentscheidung aber gleichwohl richtig. Vertritt der Rechtsanwalt den Gläubiger in einem Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung, für die die Miteigentümer als Gesamtschuldner haften, dann handelt es sich um eine Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG und erhält der Anwalt für das Verfahren nur eine 0,4-Gebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG.
Anders als vereinzelt in der Literatur vertreten wird, erlaubt der Vergleich zu der gebührenrechtlichen Behandlung der Tätigkeit des Rechtsanwalts in Verfahren der Mobiliarvollstreckung oder der Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO keinen mehrfachen Ansatz der Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG für die Tätigkeit in einem Zwangsversteigerungsverfahren. Zwar begründet bei anderen Vollstreckungsarten als der Zwangsversteigerung die Tätigkeit des Rechtsanwalts bei einer gegen mehrere (Gesamt-)Schuldner gerichteten Vollstreckung trotz einheitlichen Auftrags und Verfahrens grundsätzlich mehrere besondere Angelegenheiten i.S.v. § 18 RVG. So hat der BGH etwa entschieden, dass jeder gegen einen von mehreren Schuldnern gerichtete Antrag nach § 887 Abs. 1 und 2 ZPO eine Vollstreckungsmaßnahme darstellt, die eine Vollstreckungsgebühr anfallen lässt.
Dies gilt indes für das Zwangsversteigerungsverfahren nicht gleichermaßen. Denn der Gesetzgeber hat die Gebühren für die Vertretung in der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung im RVG bewusst gesondert und abweichend von den Gebühren für die Vertretung in anderen Zwangsvollstreckungsverfahren geregelt. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG, der bestimmt, dass jede Vollstreckungsmaßnahme eine besondere Angelegenheit ist, regelt nicht die Entstehung der Gebühren für die Vertretung im Bereich der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung; diese ergeben sich ausschließlich aus Nr. 3311 und Nr. 3312 VV RVG unter Berücksichtigung der allgemeineren Vorschrift des § 15 RVG. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG (vormals § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG in der bis zum 31. August 2009 gültigen Fassung) ersetzt ohne Änderung in der Sache § 58 Abs. 1 BRAGO a.F., während Nr. 3311 Nr. 1 VV RVG der Regelung des § 68 Abs. 1 Nr.1 BRAGO a.F. entspricht.
Somit ist im Zwangsversteigerungsverfahren eigenständig nach den allgemeinen zu § 15 Abs. 2 RVG entwickelten Kriterien zu bestimmen, ob es sich bei einem gegen mehrere Schuldner gerichteten Antrag um mehrere Angelegenheiten oder um eine einheitliche Angelegenheit handelt. Zwar ist auch im Zwangsversteigerungsverfahren grundsätzlich von verschiedenen Angelegenheiten auszugehen, wenn der Rechtsanwalt in mehreren Verfahren tätig wird. Es entspricht aber nahezu einhelliger Meinung, dass etwas Anderes dann gilt, wenn der Rechtsanwalt mehrere Verfahren einleitet, deren Verbindung nach § 18 Alt. 3 ZVG möglich und geboten ist, weil sich der Antrag - wie hier - gegen die Miteigentümer eines Grundstücks richtet und die Vollstreckung wegen einer Forderung betrieben wird, für die diese als Gesamtschuldner haften; dann handelt es sich um eine Angelegenheit und entsteht die 0,4-Gebühr nach Nr. 3311 VV RVG nur einmal. Diese Auffassung trifft zu.
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Aufsatz:
Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Prozesskosten-, Verfahrenskosten- und Beratungshilfe im Jahre 2020
Oliver Seggewiße, MDR 2021, 397
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Auf Antrag der anwaltlich vertretenen Beteiligten zu 1) (Gläubigerin) ordnete das AG - Vollstreckungsgericht - die Zwangsversteigerung in die hälftigen Miteigentumsanteile der Beteiligten zu 2) und 3) (Schuldner) an einer Eigentumswohnung an und ließ zwei Beitritte der Gläubigerin zu. Es setzte - soweit hier von Interesse - die von der Gläubigerin doppelt, nämlich bezogen auf jeden der Schuldner gesondert geltend gemachte 0,4 Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG (nebst Auslagen und Umsatzsteuer; insgesamt 311,30 € je Schuldner) bei den mit der Versteigerung beizutreibenden Kosten nur einmal an. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen die Absetzung der zweiten Verfahrensgebühr wies das LG zurück.
Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hatte vor dem BGH ebenfalls keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG nimmt im Ergebnis zu Recht an, dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG i.H.v. 0,4 für die Tätigkeit des Rechtsanwalts der Gläubigerin bei den nach § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit der Versteigerung zugleich beizutreibenden notwendigen Kosten nur einfach in Ansatz zu bringen ist.
Dies folgt allerdings nicht daraus, dass es sich bei der Versteigerung von Miteigentumsanteilen zweier Bruchteilseigentümer, die für die vollstreckte Forderung gesamtschuldnerisch haften, von vornherein um (nur) ein Verfahren handelt. Bei einem im Miteigentum stehenden Grundstück sind gem. § 864 Abs. 2 ZPO (nur) die Miteigentumsanteile Gegenstand der Zwangsvollstreckung. Insoweit werden sie vollstreckungsrechtlich wie mehrere Grundstücke behandelt. Grundsätzlich wird, wie sich aus §§ 18, 63 ZVG ergibt, jedes Grundstück in einem gesonderten Verfahren versteigert. Folglich handelt es sich, wenn der Gläubiger die Zwangsversteigerung zweier Miteigentumsanteile an einem Grundstück beantragt, zunächst um zwei Verfahren, auch wenn der Antrag in einem einheitlichen Schriftsatz gestellt wird. Im Ergebnis ist die Beschwerdeentscheidung aber gleichwohl richtig. Vertritt der Rechtsanwalt den Gläubiger in einem Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung, für die die Miteigentümer als Gesamtschuldner haften, dann handelt es sich um eine Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG und erhält der Anwalt für das Verfahren nur eine 0,4-Gebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG.
Anders als vereinzelt in der Literatur vertreten wird, erlaubt der Vergleich zu der gebührenrechtlichen Behandlung der Tätigkeit des Rechtsanwalts in Verfahren der Mobiliarvollstreckung oder der Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO keinen mehrfachen Ansatz der Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Ziff. 1 VV RVG für die Tätigkeit in einem Zwangsversteigerungsverfahren. Zwar begründet bei anderen Vollstreckungsarten als der Zwangsversteigerung die Tätigkeit des Rechtsanwalts bei einer gegen mehrere (Gesamt-)Schuldner gerichteten Vollstreckung trotz einheitlichen Auftrags und Verfahrens grundsätzlich mehrere besondere Angelegenheiten i.S.v. § 18 RVG. So hat der BGH etwa entschieden, dass jeder gegen einen von mehreren Schuldnern gerichtete Antrag nach § 887 Abs. 1 und 2 ZPO eine Vollstreckungsmaßnahme darstellt, die eine Vollstreckungsgebühr anfallen lässt.
Dies gilt indes für das Zwangsversteigerungsverfahren nicht gleichermaßen. Denn der Gesetzgeber hat die Gebühren für die Vertretung in der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung im RVG bewusst gesondert und abweichend von den Gebühren für die Vertretung in anderen Zwangsvollstreckungsverfahren geregelt. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG, der bestimmt, dass jede Vollstreckungsmaßnahme eine besondere Angelegenheit ist, regelt nicht die Entstehung der Gebühren für die Vertretung im Bereich der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung; diese ergeben sich ausschließlich aus Nr. 3311 und Nr. 3312 VV RVG unter Berücksichtigung der allgemeineren Vorschrift des § 15 RVG. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG (vormals § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG in der bis zum 31. August 2009 gültigen Fassung) ersetzt ohne Änderung in der Sache § 58 Abs. 1 BRAGO a.F., während Nr. 3311 Nr. 1 VV RVG der Regelung des § 68 Abs. 1 Nr.1 BRAGO a.F. entspricht.
Somit ist im Zwangsversteigerungsverfahren eigenständig nach den allgemeinen zu § 15 Abs. 2 RVG entwickelten Kriterien zu bestimmen, ob es sich bei einem gegen mehrere Schuldner gerichteten Antrag um mehrere Angelegenheiten oder um eine einheitliche Angelegenheit handelt. Zwar ist auch im Zwangsversteigerungsverfahren grundsätzlich von verschiedenen Angelegenheiten auszugehen, wenn der Rechtsanwalt in mehreren Verfahren tätig wird. Es entspricht aber nahezu einhelliger Meinung, dass etwas Anderes dann gilt, wenn der Rechtsanwalt mehrere Verfahren einleitet, deren Verbindung nach § 18 Alt. 3 ZVG möglich und geboten ist, weil sich der Antrag - wie hier - gegen die Miteigentümer eines Grundstücks richtet und die Vollstreckung wegen einer Forderung betrieben wird, für die diese als Gesamtschuldner haften; dann handelt es sich um eine Angelegenheit und entsteht die 0,4-Gebühr nach Nr. 3311 VV RVG nur einmal. Diese Auffassung trifft zu.
Aufsatz:
Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Prozesskosten-, Verfahrenskosten- und Beratungshilfe im Jahre 2020
Oliver Seggewiße, MDR 2021, 397
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