Gefahr durch rückwärts ausparkendes Auto: Hupen allein genügt nicht
LG Saarbrücken v. 20.1.2023 - 13 S 60/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt Schadenersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich in einer verkehrsberuhigten Straße ereignet hat. Zu dem Unfall kam es, als der Kläger mit seinem Auto aus der Garageneinfahrt seines Wohnhauses rückwärts ausfuhr und mit dem dort vorbeifahrenden Beklagtenfahrzeug zusammenstieß. Der Kläger beziffert seinen Sachschaden mit rd. 4.200 € (Nettoreparaturkosten, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfall, Kostenpauschale), den er nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten mit der Behauptung geltend macht, der Beklagte sei mit überhöhter Geschwindigkeit in sein bereits stehendes Kfz hineingefahren.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat vorgetragen, er habe zunächst auf der Straße gestanden und kurz gehupt, weil er gemerkt hatte, dass in dem bereits sichtbaren Fahrzeug jemand sitze, der beabsichtige rückwärts aus dem Grundstück herauszufahren. Anschließend sei er mit geringer Geschwindigkeit losgefahren, als das Klägerfahrzeug - ohne dass der Erstbeklagte dies noch sah - rückwärts aus der Einfahrt in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren sei. Der Beklagte habe bis zum Anstoß etwa 10-15 m in sehr langsamer Fahrt zurückgelegt. Nutzungsausfallentschädigung sei, so der Beklagte, bei fiktiver Abrechnung nicht geschuldet und überdies, da es sich um ein gewerbliches Fahrzeug handele, nicht ersatzfähig.
Das AG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers gab das LG der Klage teilweise statt und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von rd. 910 € an den Kläger.
Die Gründe:
Die Berufung hat in der Sache nur einen geringen Teilerfolg.
Soweit das AG einen Verstoß des Klägers gegen das Sorgfaltsgebot beim Rückwärtsfahren in die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile eingestellt hat, begegnet dies im Ergebnis keinen Bedenken. Soweit das AG darüber hinaus angenommen hat, dem Beklagten sei allenfalls ein geringfügiger unfallursächlicher Verkehrsverstoß nachzuweisen, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
Die beweissicher nachvollziehbare Kollisionsgeschwindigkeit bewegt sich jedenfalls in einem Bereich, der ein Überschreiten der im verkehrsberuhigten Bereich geltenden Schrittgeschwindigkeit, deren Obergrenze teils bis 7 km/h, teils darüber hinaus bis 10 bzw. 15 km/h gezogen wird, nicht, allenfalls geringfügig überschreitet. Soweit die Berufung meint, der Beklagte habe das ausfahrende Fahrzeug frühzeitig erkennen und durch frühzeitiges Abbremsen den Unfall verhindern können, ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige ausgeführt hat, bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit (gemeint ist 4-7 km/h) sei der Unfall bei Zugrundelegung einer bestimmten Annäherung des Beklagtenfahrzeuges für den Beklagten vermeidbar gewesen.
Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass das Beklagtenfahrzeug sich erst beschleunigend bis zur Höhe der Kollisionsgeschwindigkeit dem späteren Kollisionsort genähert hat, was einem Vermeidbarkeitsnachweis entgegenstünde. Jedoch ist hier zu berücksichtigen, dass der Beklagte nach eigener Darstellung bereits die Gefahr erkannt hatte, dass das mit Person(en) besetzte Klägerfahrzeug - über kurz oder lang - rückwärts ausfahren würde, weshalb er vorsorglich gehupt hatte. Angesichts der so erkannten Gefahr hätte es nahegelegen, beim Losfahren das Klägerfahrzeug weiter zu beobachten, um bei dessen Zurücksetzen notfalls sofort anhalten zu können. Dies hat der Erstbeklagte nach eigener Darstellung verabsäumt, denn er ist losgefahren, ohne das Klägerfahrzeug weiter zu beobachten und vorkollisionär zum Stehen zu kommen.
Dies führt hier insoweit zu einer abweichenden Haftungsverteilung, als die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs nicht zurücktritt. Dabei kann dahinstehen, ob im verkehrsberuhigten Bereich - ähnlich wie auf einem Parkplatz - die Betriebsgefahr regelmäßig nicht zurücktritt, weil auch hier die Sorgfaltspflichten stärker einander angenähert sind, indem Kraftfahrer jederzeit auf den bevorrechtigten Fußgängerverkehr Rücksicht zu nehmen haben, was nur mit der Einhaltung von Schrittgeschwindigkeit und stetiger Bremsbereitschaft vereinbar ist. Jedenfalls führt der leichte Sorgfaltsverstoß auf Beklagtenseite zu einer unfallursächlichen Erhöhung der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges, die jedenfalls angesichts der einander angenäherten Sorgfaltspflichten im verkehrsberuhigten Bereich nicht zurücktritt und eine Mithaftung der Beklagten i.H.v. 20% rechtfertigt.
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Kurzbeitrag:
Kfz-Recht
MDR 2022, R167
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Der Kläger begehrt Schadenersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich in einer verkehrsberuhigten Straße ereignet hat. Zu dem Unfall kam es, als der Kläger mit seinem Auto aus der Garageneinfahrt seines Wohnhauses rückwärts ausfuhr und mit dem dort vorbeifahrenden Beklagtenfahrzeug zusammenstieß. Der Kläger beziffert seinen Sachschaden mit rd. 4.200 € (Nettoreparaturkosten, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfall, Kostenpauschale), den er nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten mit der Behauptung geltend macht, der Beklagte sei mit überhöhter Geschwindigkeit in sein bereits stehendes Kfz hineingefahren.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat vorgetragen, er habe zunächst auf der Straße gestanden und kurz gehupt, weil er gemerkt hatte, dass in dem bereits sichtbaren Fahrzeug jemand sitze, der beabsichtige rückwärts aus dem Grundstück herauszufahren. Anschließend sei er mit geringer Geschwindigkeit losgefahren, als das Klägerfahrzeug - ohne dass der Erstbeklagte dies noch sah - rückwärts aus der Einfahrt in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren sei. Der Beklagte habe bis zum Anstoß etwa 10-15 m in sehr langsamer Fahrt zurückgelegt. Nutzungsausfallentschädigung sei, so der Beklagte, bei fiktiver Abrechnung nicht geschuldet und überdies, da es sich um ein gewerbliches Fahrzeug handele, nicht ersatzfähig.
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Die Berufung hat in der Sache nur einen geringen Teilerfolg.
Soweit das AG einen Verstoß des Klägers gegen das Sorgfaltsgebot beim Rückwärtsfahren in die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile eingestellt hat, begegnet dies im Ergebnis keinen Bedenken. Soweit das AG darüber hinaus angenommen hat, dem Beklagten sei allenfalls ein geringfügiger unfallursächlicher Verkehrsverstoß nachzuweisen, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
Die beweissicher nachvollziehbare Kollisionsgeschwindigkeit bewegt sich jedenfalls in einem Bereich, der ein Überschreiten der im verkehrsberuhigten Bereich geltenden Schrittgeschwindigkeit, deren Obergrenze teils bis 7 km/h, teils darüber hinaus bis 10 bzw. 15 km/h gezogen wird, nicht, allenfalls geringfügig überschreitet. Soweit die Berufung meint, der Beklagte habe das ausfahrende Fahrzeug frühzeitig erkennen und durch frühzeitiges Abbremsen den Unfall verhindern können, ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige ausgeführt hat, bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit (gemeint ist 4-7 km/h) sei der Unfall bei Zugrundelegung einer bestimmten Annäherung des Beklagtenfahrzeuges für den Beklagten vermeidbar gewesen.
Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass das Beklagtenfahrzeug sich erst beschleunigend bis zur Höhe der Kollisionsgeschwindigkeit dem späteren Kollisionsort genähert hat, was einem Vermeidbarkeitsnachweis entgegenstünde. Jedoch ist hier zu berücksichtigen, dass der Beklagte nach eigener Darstellung bereits die Gefahr erkannt hatte, dass das mit Person(en) besetzte Klägerfahrzeug - über kurz oder lang - rückwärts ausfahren würde, weshalb er vorsorglich gehupt hatte. Angesichts der so erkannten Gefahr hätte es nahegelegen, beim Losfahren das Klägerfahrzeug weiter zu beobachten, um bei dessen Zurücksetzen notfalls sofort anhalten zu können. Dies hat der Erstbeklagte nach eigener Darstellung verabsäumt, denn er ist losgefahren, ohne das Klägerfahrzeug weiter zu beobachten und vorkollisionär zum Stehen zu kommen.
Dies führt hier insoweit zu einer abweichenden Haftungsverteilung, als die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs nicht zurücktritt. Dabei kann dahinstehen, ob im verkehrsberuhigten Bereich - ähnlich wie auf einem Parkplatz - die Betriebsgefahr regelmäßig nicht zurücktritt, weil auch hier die Sorgfaltspflichten stärker einander angenähert sind, indem Kraftfahrer jederzeit auf den bevorrechtigten Fußgängerverkehr Rücksicht zu nehmen haben, was nur mit der Einhaltung von Schrittgeschwindigkeit und stetiger Bremsbereitschaft vereinbar ist. Jedenfalls führt der leichte Sorgfaltsverstoß auf Beklagtenseite zu einer unfallursächlichen Erhöhung der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges, die jedenfalls angesichts der einander angenäherten Sorgfaltspflichten im verkehrsberuhigten Bereich nicht zurücktritt und eine Mithaftung der Beklagten i.H.v. 20% rechtfertigt.
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