Gefangenes Wohngrundstück: Notwegrecht umfasst auch Zufahrt zum Zwecke des Parkens
BGH v. 14.3.2025 - V ZR 79/24Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die Grundstücke sind durch Teilung eines ursprünglich einheitlichen Grundstücks entstanden. Die Kläger sind Eigentümer des vorderen, an der Straße gelegenen Grundstücks. Das in der zweiten Baureihe liegende Grundstück, das keine Anbindung an eine öffentliche Straße hat, ist mit einem Doppelhaus bebaut und nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt. Die Beklagte ist Sondereigentümerin einer der Doppelhaushälften und hat diese vermietet. Die Kläger akzeptieren ein Notwegrecht und dulden die Nutzung ihres Grundstücks als Zufahrt zu dem Grundstück der Beklagten, dies jedoch nicht zum Zwecke des Parkens.
Mit der Klage verlangen die Kläger die Zahlung einer Notwegrente i.H.v. 267 € Zug um Zug gegen Duldung eines Notwegrechts, das das Überfahren mit Kfz zum Zwecke des Parkens nicht umfasst, hilfsweise für den Fall, dass das Notwegrecht auch das Befahren zum Zwecke des Parkens umfasst, die Zahlung einer Notwegrente von 313 €. Sie verlangen ferner die Feststellung, dass sie das Notwegrecht mit dem näher beschriebenen Inhalt anerkannt haben. Darüber hinaus soll die Beklagte es unterlassen, nutzungsberechtigten Dritten die Fahrt mit Kfz über das Grundstück zum Zwecke des Parkens zu erlauben.
Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung einer Notwegrente i.H.v. 313 € Zug um Zug gegen Duldung eines uneingeschränkten Notwegrechts. Das OLG verurteilte die Beklagte zur Zahlung einer Notwegrente von 267 € Zug um Zug gegen Duldung eines Notwegrechts, das nicht das Befahren mit Kfz zu Parkzwecken erfasst, es sei denn, dass dies im Einzelfall aus wichtigem Grund zwingend notwendig ist. Es verurteilte die Beklagte zudem, es zu unterlassen, Nutzungsberechtigten und Dritten die Fahrt mit Kfz über das Grundstück der Kläger zum Zwecke des Parkens auch insoweit zu erlauben, als dies nicht im Einzelfall aus wichtigem Grund zwingend notwendig ist. Ferner stellte das OLG fest, dass die Kläger das Notwegrecht der Beklagten anerkannt haben und die Ausübung dieses Rechts ermöglichen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung gegen das Urteil des LG zurück.
Die Gründe:
Ausgangspunkt ist, dass ein Notwegrecht der Beklagten gem. § 917 Abs. 1 BGB besteht. Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg, kann der Eigentümer nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB von den Nachbarn verlangen, bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung zu dulden. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das zu Wohnzwecken genutzte Grundstück der Beklagten ist nicht mit einem öffentlichen Weg verbunden, es ist "gefangen". Dementsprechend gewähren die Kläger der Beklagten das Recht, einen bestimmten Bereich ihres Grundstücks als Zufahrt zur Herstellung der erforderlichen Verbindung zu nutzen. Soweit die Kläger die Zufahrt über ihr Grundstück zu dulden haben, müssen sie auch Nutzungsberechtigten des Grundstücks der Beklagten wie insbesondere Mietern die Zufahrt gewähren. Diese sind zwar nicht selbst notwegberechtigt, können das Notwegrecht aber entsprechend § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB den Klägern entgegenhalten. Die Kläger haben im Gegenzug einen Anspruch auf eine Notwegrente (§ 917 Abs. 2 BGB).
Damit stellt sich die Frage, ob das zugunsten der Beklagten bestehende Notwegrecht gem. § 917 BGB auch die Zufahrt zum Zwecke des Parkens auf dem eigenen Grundstück umfasst. Vorliegend geht es nicht lediglich um die Erreichbarkeit eines verbindungslosen Grundstücksteils. Vielmehr hat das Grundstück der Beklagten keinerlei Anbindung an eine öffentliche Straße; es ist insgesamt "gefangen" und kann mit Kfz nur über das Grundstück der Kläger angefahren werden. Mit der Frage, ob der Eigentümer eines "gefangenen" Wohngrundstücks, für den ein Notwegrecht gem. § 917 Abs. 1 BGB besteht, das Nachbargrundstück für die Zufahrt mit Kfz zum Zwecke des Parkens auf seinem eigenen Grundstück benutzen darf, hat sich der Senat noch nicht befasst. Sie wird unterschiedlich beurteilt.
Das 11. Zivilsenat des OLG Schleswig (s.u. "Mehr zum Thema") hat entschieden, dass der Eigentümer des mit dem Notwegrecht belasteten Grundstücks Überfahrten zum Zwecke des Parkens auf dem begünstigten Grundstück nicht dulden müsse (OLG Schleswig v. 28.1.2021 - 11 U 91/20). Demgegenüber vertritt der 1. Zivilsenat des OLG Schleswig die Ansicht, dass ein Notwegrecht für eine Zufahrt mit Kfz auch zum Parken auf dem gefangenen Grundstück berechtigt. Ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Fahrzeuge nicht auf dem gefangenen Grundstück abgestellt werden, sei nicht erkennbar. Die zuletzt genannte Ansicht ist vorzugswürdig. Das Notwegrecht des Eigentümers eines verbindungslosen ("gefangenen") Wohngrundstücks umfasst grundsätzlich auch die Zufahrt mit Kfz zum Zwecke des Parkens auf dem verbindungslosen Wohngrundstück.
Wären Zufahrten des Notwegberechtigten zu Parkzwecken von dem Notwegrecht ausgenommen, würde dies zudem zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit führen. So dürfte der Notwegberechtigte sein Kfz abstellen, wenn die Zufahrt nicht zu Parkzwecken, sondern zum Be- und Entladen erfolgte, nicht aber, wenn das Abstellen alleiniger Zweck der Zufahrt wäre. Der Fahrt mit dem Kfz kann man aber nicht ohne weiteres ansehen, zu welchem Zweck sie erfolgt.
Kommentierung | BGB
§ 917 Notweg
Elzer in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Rechtsprechung
Überfahrtbaulast zur Gewährung der Zufahrt zum Grundstück
BGH vom 24.01.2025 - V ZR 51/24
MDR 2025, 444
MDR0076622
Rechtsprechung (Parallelverfahren betr. die andere Doppelhaushälfte)
Notwegerecht zum Zwecke des Parkens
OLG Schleswig vom 28.01.2021 - 11 U 91/20
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