27.08.2024

Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags wegen Formmangels einer Vorauszahlungsabrede? Zur Widerlegung der Vermutung des § 139 BGB

Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist bereits dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag. Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

BGH v. 14.6.2024 - V ZR 8/23
Der Sachverhalt:
Der - während des Berufungsverfahrens verstorbene - Vater der Beklagten (Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag (UR-Nr. 975) vom 23.3.2017 einen hälftigen Miteigentumsanteil an seinem Grundstück an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war, zu einem Kaufpreis von 40.000 €. Am 6.4.2017 zahlte der Kläger an den Erblasser 70.000 € per Überweisung unter Angabe des Verwendungszwecks "975/23.3.2017" sowie am 15.5.2017 weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck "Restzahlung 975/23.3.2017". Der Kaufvertrag wurde vollzogen.

Am 8.11.2018 schlossen der Erblasser und der Kläger einen notariellen Kaufvertrag über die - weitere - Miteigentumshälfte des Erblassers an dem Grundstück zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Anschließend übertrug die GmbH ihren von dem Erblasser erworbenen Miteigentumsanteil auf den Kläger.

Das LG gab der auf Übertragung des verbliebenen (zweiten) Miteigentumsanteils gerichteten Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der von dem OLG gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils gem. § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht verneint werden. Ein solcher Anspruch kann sich aus dem zwischen dem Kläger und dem Erblasser geschlossenen Kaufvertrag vom 8.11.2018 über den zweiten Miteigentumsanteil ergeben; dass dieser Vertrag insgesamt unwirksam ist, ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings, dass die von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil gem. § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 125 Satz 1 BGB nichtig wäre, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung ist beurkundungsbedürftig. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung dem Beurkundungszwang nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB unterliegt, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung hat. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zeitpunkt der Vorauszahlung die Kaufpreisforderung noch nicht besteht und die Vorauszahlung daher - ohne eine dahingehende Vereinbarung - nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Danach wäre die Vorauszahlungsvereinbarung beurkundungsbedürftig und - mangels Beurkundung - nichtig.

Damit steht aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 8.11.2018 gem. § 139 BGB insgesamt nichtig ist. Zwar ist dies nach der Auslegungsregel des § 139 BGB zu vermuten; doch kann diese Vermutung gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein. Das kommt, anders als das OLG meint, auch hier in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag. Denn dann kann es für ihn von untergeordneter Bedeutung sein, ob seine Kaufpreisschuld schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch von weiteren Rechtshandlungen abhängt.

Entscheidend ist danach der Nachweis der Zahlung auf die noch nicht bestehende Schuld; dagegen kann nicht verlangt werden, dass der Käufer den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages beweist. Weist der Käufer seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung nach, ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt hat. Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

Dagegen steht der von dem Berufungsgericht herangezogene Umstand, dass in dem Kaufvertrag kein Hinweis auf die Vorauszahlungsvereinbarung enthalten ist, der Widerlegung der Vermutung nicht entgegen. Denn die Nichtigkeit des Kaufvertrages folgt gerade daraus, dass die Vorauszahlungsabrede nicht beurkundet wurde. Wäre die Vorauszahlungsabrede in dem Kaufvertrag enthalten gewesen, so bedürfte es keines Beweises zur Widerlegung der Vermutung nach § 139 BGB. Das Fehlen der Beurkundung der Vorauszahlungsabrede kann daher denklogisch nicht dazu führen, dass der Käufer seine Leistung nicht zu beweisen vermag. Daran gemessen ist es möglich, dass der Kläger die Vermutung der Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages vom 8.11.2018 durch einen entsprechenden Zahlungsnachweis widerlegen kann. Die als "Immobilien-Übergabeprotokoll" bezeichnete Erklärung der Parteien vom 15.5.2017 kann aus Sicht des Klägers geeignet, die Vorauszahlung auf den Kaufpreis für den zweiten Miteigentumsanteil nachzuweisen. Das OLG hat den klägerischen Vortrag zu dem "Immobilien-Übergabeprotokoll" in verfahrensfehlerhafter Weise nicht berücksichtigt. Die auf die Verletzung von § 139 Abs. 2 Satz 1 und § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gestützte Verfahrensrüge hat Erfolg.

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