Geschäftsunfähigkeit im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB
BGH v. 2.11.2022 - XII ZB 339/22Die 85-jährige Betroffene leidet an einer demenziellen Erkrankung, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Sie hatte ihrem Sohn und zwei Töchtern, den Beteiligten zu 3) bis 5), im Mai 2012 eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilt. Die Betroffene wurde im Haushalt ihres Sohns versorgt, bis eine weitere Tochter, die Beteiligte zu 1), sie Ende des Jahres 2021 ohne Absprache in ihren eigenen Haushalt verbrachte und bei sich aufnahm. Unter dem 17.12.2021 erteilte die Betroffene eine Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 1) und widerrief mit notarieller Urkunde vom 22.2.2022 die im Mai 2012 erteilte Vollmacht.
Das AG richtete eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Prüfung und Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber der Bevollmächtigten ein und bestimmte den Beteiligten zu 2) als Betreuer. Das LG wies die Beschwerden der Beteiligten zu 3), 4) und 5) zurück. Auf deren Rechtsbeschwerden hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Nach § 1896 Abs. 3 BGB kann ein Betreuer auch zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden. Mit dieser sog. Kontrollbetreuung kann im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen und ggf. die Vollmacht zu widerrufen. Zu Recht rügen die Rechtsbeschwerden, dass das LG die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nicht hinreichend ausermittelt habe.
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen. Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht.
Nach diesen Maßstäben hat das LG die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung i.S.v. §§ 26, 30 FamFG nicht hinreichend ausermittelt. Das eingeholte Sachverständigengutachten leidet darunter, dass der Sachverständige nicht ergänzend zur persönlichen Untersuchung der Betroffenen auch noch Erkenntnisse aus einem am 25.11.2021 erstatteten Vorgutachten des medizinischen Dienstes zur Pflegebedürftigkeit einbezogen hat. In diesem Gutachten sind unter anderem kognitive Einschränkungen beschrieben, die ggf. sachverständige Rückschlüsse auf die Geschäftsfähigkeit ermöglichen.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
§§ 104 Nr. 2, 1896 II, 1897 IV BGB: Erforderlichkeit einer Betreuung bei Vorsorgevollmacht
BGH vom 22.06.2022 - XII ZB 544/21
FamRZ 2022, 1556
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