Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen mit dem Grundgesetz unvereinbar
BVerfG v. 1.2.2023 - 1 BvL 7/18
Der Sachverhalt:
Das Vorlageverfahren (BGH v. 14.11.2018 - XII ZB 292/16) behandelt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, der im Jahr 2017 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen eingefügt wurde. Die Vorschrift bestimmt durch unmittelbare gesetzliche Anordnung, dass unter Beteiligung nach ausländischem Recht ehemündiger Minderjähriger geschlossene Ehen nach deutschem Recht - vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB - unwirksam sind, wenn zumindest einer der Eheschließenden im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Wesentlich geht es um die Frage, welche verfassungsrechtlichen, insbesondere aus der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen bei gesetzlichen Regelungen zur inländischen Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen mit Minderjährigen zu beachten sind.
Das zugrundeliegende familiengerichtliche Ausgangsverfahren betrifft eine im Jahr 2015 vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht geschlossene Ehe zwischen einem im Januar 1994 geborenen Mann und einer im Januar 2001 geborenen Frau; beide sind syrische Staatsangehörige. Auf Grund der Kriegsereignisse in ihrem Heimatland flüchteten sie gemeinsam nach Deutschland, wo sie im August 2015 ankamen. Das örtlich zuständige Jugendamt nahm die junge Frau in Obhut und brachte sie in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter. Zudem regte es die Bestellung eines Vormunds für sie an. Das AG - Familiengericht - stellte das Ruhen der elterlichen Sorge für die junge Frau fest, ordnete Vormundschaft an und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund.
Daraufhin wandte sich der Ehemann an das AG und beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme sowie unter Hinweis auf die nach syrischem Recht wirksame Ehe die Rückführung seiner Frau zu ihm. Der im Ausgangsverfahren letztinstanzlich zuständige BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine unter Beteiligung einer nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen Person geschlossene Ehe nach deutschem Recht − vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB − ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert, wenn die minderjährige Person im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Er hält die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB angeordnete inländische Unwirksamkeit der betroffenen Auslandsehen vor allem für mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.
Die Gründe:
Der Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Der vorgelegte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, der den Schutzbereich der Ehefreiheit berührt, ist zwar mit den die Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG prägenden Strukturprinzipien vereinbar. Soweit nicht die Ausnahmen nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB greifen, schränkt er jedoch wegen fehlender Folgeregelungen, etwa zu Unterhaltsansprüchen, und unzureichender Möglichkeiten, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit inländisch wirksam fortzuführen, die Ehefreiheit unangemessen ein und ist damit nicht im engeren Sinne verhältnismäßig.
Da das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen derartige Folgeregelungen nicht enthält, war der zur Überprüfung gestellte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB als für mit der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären. Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft. Der Gesetzgeber hat bis längstens 30.6.2024 Zeit, eine in jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Der Verstoß der vorgelegten Vorschrift gegen Art. 6 Abs. 1 GG führt demnach nicht dazu, diese für nichtig zu erklären. Die Nichtigkeitserklärung, die anders als die Erklärung der Unvereinbarkeit nicht mit einer Fortgeltungsanordnung verbunden werden kann, würde einen Zustand herbeiführen, der mit ungeklärten rechtlichen Verhältnissen einherginge und noch verfassungsferner wäre als der bei vorübergehender Weitergeltung des verfassungswidrigen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Daher bedarf es neben der Weitergeltungsanordnung normvertretenden Übergangsrechts, das darauf zu beschränken ist, die zur Verfassungswidrigkeit führenden Umstände zu vermeiden oder zumindest in ihren Wirkungen abzuschwächen, um einem Zustand entgegen zu wirken, der verfassungsferner wäre als bei Nichtigkeit und Unanwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm.
Danach bedarf es einer Übergangsregelung lediglich für unterhaltsrechtliche Fragen der weiterhin inländisch unwirksamen Ehe. Um dem zu entsprechen, ist § 1318 BGB auf die hier betroffenen Ehen mit der Maßgabe anzuwenden, dass die durch die Vorschrift für anwendbar erklärten Vorschriften über die Scheidung mit der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eheleute zur Anwendung gelangen. Soweit die danach maßgeblichen Vorschriften auf die Dauer der Ehe abstellen, tritt in den Fällen der nicht nur vorübergehenden Trennung der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Eheleute die Dauer des Zusammenlebens. Während der Dauer des Zusammenlebens gelten übergangsweise die §§ 1360, 1360a BGB für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen entsprechend.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung (der zugrundeliegende Vorlagebeschluss des BGH):
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen?
BGH vom 14.11.2018 - XII ZB 292/16
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BVerfG PM Nr. 36 vom 29.3.2023
Das Vorlageverfahren (BGH v. 14.11.2018 - XII ZB 292/16) behandelt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, der im Jahr 2017 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen eingefügt wurde. Die Vorschrift bestimmt durch unmittelbare gesetzliche Anordnung, dass unter Beteiligung nach ausländischem Recht ehemündiger Minderjähriger geschlossene Ehen nach deutschem Recht - vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB - unwirksam sind, wenn zumindest einer der Eheschließenden im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Wesentlich geht es um die Frage, welche verfassungsrechtlichen, insbesondere aus der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen bei gesetzlichen Regelungen zur inländischen Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen mit Minderjährigen zu beachten sind.
Das zugrundeliegende familiengerichtliche Ausgangsverfahren betrifft eine im Jahr 2015 vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht geschlossene Ehe zwischen einem im Januar 1994 geborenen Mann und einer im Januar 2001 geborenen Frau; beide sind syrische Staatsangehörige. Auf Grund der Kriegsereignisse in ihrem Heimatland flüchteten sie gemeinsam nach Deutschland, wo sie im August 2015 ankamen. Das örtlich zuständige Jugendamt nahm die junge Frau in Obhut und brachte sie in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter. Zudem regte es die Bestellung eines Vormunds für sie an. Das AG - Familiengericht - stellte das Ruhen der elterlichen Sorge für die junge Frau fest, ordnete Vormundschaft an und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund.
Daraufhin wandte sich der Ehemann an das AG und beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme sowie unter Hinweis auf die nach syrischem Recht wirksame Ehe die Rückführung seiner Frau zu ihm. Der im Ausgangsverfahren letztinstanzlich zuständige BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine unter Beteiligung einer nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen Person geschlossene Ehe nach deutschem Recht − vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB − ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert, wenn die minderjährige Person im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Er hält die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB angeordnete inländische Unwirksamkeit der betroffenen Auslandsehen vor allem für mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.
Die Gründe:
Der Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Der vorgelegte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, der den Schutzbereich der Ehefreiheit berührt, ist zwar mit den die Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG prägenden Strukturprinzipien vereinbar. Soweit nicht die Ausnahmen nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB greifen, schränkt er jedoch wegen fehlender Folgeregelungen, etwa zu Unterhaltsansprüchen, und unzureichender Möglichkeiten, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit inländisch wirksam fortzuführen, die Ehefreiheit unangemessen ein und ist damit nicht im engeren Sinne verhältnismäßig.
Da das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen derartige Folgeregelungen nicht enthält, war der zur Überprüfung gestellte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB als für mit der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären. Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft. Der Gesetzgeber hat bis längstens 30.6.2024 Zeit, eine in jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Der Verstoß der vorgelegten Vorschrift gegen Art. 6 Abs. 1 GG führt demnach nicht dazu, diese für nichtig zu erklären. Die Nichtigkeitserklärung, die anders als die Erklärung der Unvereinbarkeit nicht mit einer Fortgeltungsanordnung verbunden werden kann, würde einen Zustand herbeiführen, der mit ungeklärten rechtlichen Verhältnissen einherginge und noch verfassungsferner wäre als der bei vorübergehender Weitergeltung des verfassungswidrigen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Daher bedarf es neben der Weitergeltungsanordnung normvertretenden Übergangsrechts, das darauf zu beschränken ist, die zur Verfassungswidrigkeit führenden Umstände zu vermeiden oder zumindest in ihren Wirkungen abzuschwächen, um einem Zustand entgegen zu wirken, der verfassungsferner wäre als bei Nichtigkeit und Unanwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm.
Danach bedarf es einer Übergangsregelung lediglich für unterhaltsrechtliche Fragen der weiterhin inländisch unwirksamen Ehe. Um dem zu entsprechen, ist § 1318 BGB auf die hier betroffenen Ehen mit der Maßgabe anzuwenden, dass die durch die Vorschrift für anwendbar erklärten Vorschriften über die Scheidung mit der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eheleute zur Anwendung gelangen. Soweit die danach maßgeblichen Vorschriften auf die Dauer der Ehe abstellen, tritt in den Fällen der nicht nur vorübergehenden Trennung der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Eheleute die Dauer des Zusammenlebens. Während der Dauer des Zusammenlebens gelten übergangsweise die §§ 1360, 1360a BGB für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen entsprechend.
Rechtsprechung (der zugrundeliegende Vorlagebeschluss des BGH):
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen?
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