14.06.2022

Gewährung von Restschadensersatz im sog. Dieselskandal auch bei EU-Reimporten

Die Grundsätze der BGH-Entscheidung vom 21.3.2022 (VIa ZR 275/21) zur Gewährung von Restschadensersatz im sog. Dieselskandal gelten auch für den Erwerb im Wege des EU-Reimports. Die Beteiligung eines weiteren, im EU-Ausland ansässigen Zwischenhändlers neben dem inländischen Händler und Verkäufer schließt eine Vermögensverschiebung vom geschädigten Erwerber zum Hersteller eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs i.S.v. §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht aus.

BGH v. 13.6.2022 - VIa ZR 680/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte am 13.8.2014 bei einem deutschen Händler als EU-Reimport einen Neuwagen des Typs VW Tiguan zum Preis von 30.000 € bestellt. Das Fahrzeug wurde ihm am 25.10.2014 mit einer EG-Übereinstimmungsbescheinigung und einer Laufleistung von 0 km übergeben. Der deutsche Händler hatte das Fahrzeug zuvor von einem Händler in einem anderen EU-Mitgliedstaat erhalten, der es von der Beklagten erworben hatte.

Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und des darin verbauten Dieselmotors der Baureihe EA 189. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die hinsichtlich der Abgasrückführung zwischen Prüfstand und gewöhnlichem Fahrbetrieb unterschied, sodass die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandete die Software im Jahr 2015. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, das vom KBA zugelassen wurde.

Die Beklagte informierte den Kläger im Februar 2016 über die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal. Im November 2016 ließ der Kläger das Software-Update aufspielen. Später nahm er die Beklagte auf Zahlung von 30.000 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Anspruch und beantragte, den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers, mit der er die Höhe der anzurechnenden Nutzungsentschädigung etwas reduziert und hilfsweise beantragt hat, die Beklagte zur Zahlung von 7.500 € ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt zu verurteilen, hat das OLG die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels gem. dem Hilfsantrag ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt verurteilt, 2.250 € an den Kläger zu zahlen. Dabei hat es angenommen, die Beklagte sei dem Grunde nach gem. §§ 826, 31 BGB zum Schadensersatz in Form der Rückgängigmachung des Kaufvertrags über das Fahrzeug verpflichtet. Dieser Anspruch sei jedoch verjährt. Die Beklagte habe allerdings gem. §§ 826, 852 Satz 1 BGB den auf Kosten des Klägers erlangten Kaufpreis herauszugeben, soweit er ihr nach Abzug der Herstellungskosten und der Händlermarge verblieben sei.

Auf die Revisionen beider Parteien hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben das Verfahren zur weiteren Verhandlung und erneuter Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Zwar hielt die Annahme des Berufungsgerichts, der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei verjährt, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die vom OLG getroffenen Feststellungen reichten aber nicht aus, um einen Anspruch des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu bejahen.

Wie der BGH nach Erlass des Berufungsurteils am 21.3.2022 (VIa ZR 275/21) für den Erwerb von Neuwagen über einen Händler ohne Bezug zum EU-Ausland bereits entschieden hat, hängt die Frage, ob der Erwerber nach Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB geltend machen kann, von den vom Tatrichter festzustellenden Umständen des Einzelfalls ab. Liegt danach dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Fahrzeughersteller zugrunde und schließen der Fahrzeughersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Fahrzeughersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben.

Schließlich beruhen der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Fahrzeughersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung. Hat der Händler dagegen das streitgegenständliche Fahrzeug unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Nach Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB besteht dann auch kein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB.

Damit steht fest, dass die Grundsätze auch für den Erwerb im Wege des EU-Reimports gelten. Die Beteiligung eines weiteren, im EU-Ausland ansässigen Zwischenhändlers neben dem inländischen Händler und Verkäufer schließt eine Vermögensverschiebung vom geschädigten Erwerber zum Hersteller eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs i.S.v. §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht aus. Erforderlich ist jedoch auch hier, dass der Fahrzeugerwerb durch den geschädigten Erwerber zu einem korrespondierenden Vermögenszuwachs beim Hersteller geführt hat. Das ist nur dann der Fall, wenn weder der inländische Händler noch der ausländische Zwischenhändler das Fahrzeug zuvor unabhängig von der Bestellung des Geschädigten auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben haben.

Das Berufungsgericht wird im weiteren Verfahren Gelegenheit haben, zu dieser entscheidungsrelevanten Frage weitere Feststellungen zu treffen. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dem Kläger stehe dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu, wird es bei der Bemessung der Höhe des Anspruchs die Entscheidungen des BGH vom 21.2.2022 (VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21) zu beachten haben.

Mehr zum Thema:

AUFSATZ
Der Dieselskandal in der Rechtsprechung 2021
Wolf Müller / Robert Schneider, MDR 2022, 601

Kurzbeitrag: BGH - Anspruch des Dieselkäufers nach seiner Wahl auf "kleinen" oder "großen" Schadensersatz (ZIP 2022, R4)

Rechtsprechung: BGH vom 05.10.2021, VI ZR 136/20 - Zum Feststellungsinteresse für Schadensersatzpflicht in Dieselfall (ZIP 2021, 2553)

Beratermodul ZIP - Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Das Beratermodul ZIP bündelt die Inhalte einer der führenden Zeitschrift zum Wirtschaftsrecht mit Volltexten zu Gesetzen und Entscheidungen sowie den Kurzkommentaren der EWiR.
4 Wochen gratis nutzen!

BGH PM Nr. 92 v. 13.6.2022
Zurück