Gewerbemiete: Anfechtung einer Willenserklärung
LG Kiel v. 28.10.2022 - 17 O 172/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte der Beklagten am 27.2.2014 eine Event-Location an einem Strandbad vermietet. Der Mietvertrag sah eine Vertragslaufzeit vom 1.3.2014 bis zum 31.1.2015 mit einer Verlängerungsoption bis zum 31.12.2016 vor und umfasste ein Cafe, eine Außenterrasse und eine Cocktailterrasse. Es folgten jährlich eine Verlängerung um jeweils ein weiteres Jahr bis zum 31.12.2019, zuletzt am 26.3.2019 bis zum 31.12.2020. Die Erklärungen seitens der Klägerin wurden jeweils von Z. unterschrieben. Am 15.5.2020 unterzeichneten Z. für die Klägerin und die Beklagte einen "Nachtrag zum Mietvertrag. Darin hieß es:
"§ 2 Abs. 2 Mietzeit
Das Mietverhältnis verlängert sich mit dem Zeitpunkt der Unterschrift, beider Vertragsparteien auf 20 Jahre, bis zum 14.5.2040 mit einer optionalen Verlängerung von 10 Jahren, die in schriftlicher Form mindestens 6 Monate vor Beendigung des Mietvertrages erfolgen muss."
Mit Schreiben vom 22.12.2020 wurde die Beklagte aufgefordert, die Räumlichkeiten bis zum 31.12.2020 herauszugeben. Die Beklagte verweigerte dies. Im Rahmen eines einsteiligen Verfügungsverfahren vor dem erkennenden Gericht schlossen die Klägerin und die Beklagte am 24.3.2021 einen Vergleich über die Nutzung der Räumlichkeiten bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Klärung der Wirksamkeit des Mietvertrages oder einer einverständlichen Aufhebung des Vertragsverhältnisses.
Es folgten mehrere fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigungen, zuletzt wegen des dringenden Verdachtes, dass ein Dokument nachträglich für diesen Prozess produziert worden sei und dies zur Aussprache einer Verdachtskündigung aus wichtigem Grund reiche. Die Klägerin behauptete, der Nachtrag befinde sich nicht in ihren Unterlagen und sei ihr nicht bekannt; er sei nachträglich durch die Beklagte für diesen Prozess erstellt worden. Zudem sei der Z. nicht berechtigt gewesen, die Vertragsverlängerung für die Klägerin zu vereinbaren. Er habe seine Vertretungsmacht missbraucht. Dies habe sich der Beklagten aufdrängen müssen
Das LG hat die Räumungsklage weitestgehend abgewiesen. Lediglich im Hinblick auf Nebenräume hat es der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Räumlichkeiten, die Gegenstand des Mietvertrages vom 27.2.2014/15.5.2020 sind. Der Mietvertrag ist nicht beendet.
Das Gericht hat den Eindruck, dass Z. durchaus mit eigenen Vorstellungen - auch undurchsichtig - agiert und - wie er selbst bekundet hat - komplett frei und eigenverantwortlich die Entscheidung getroffen hat. Seine Aussage fügt sich aber im Hinblick auf die Verlängerungsvereinbarung plausibel in die damalige Gesamtsituation ein. Bei der Würdigung der Aussagen der Zeugen war zu berücksichtigen, dass das Beweisthema ziemlich schlicht gestaltet war - der zufällige Blick auf den Vertrag und die erneute Unterzeichnung der Vereinbarung ergänzte durch die vorherigen Vereinbarungen -, so dass Begleitumstände dieser konkreten Situation zur Erhärtung der Zuverlässigkeit der Aussage nicht sehr zahlreich waren. Das bedeutete aber eben nicht, dass die Aussagen unzuverlässig waren. Der Vortrag der Klägerin, die Vereinbarung sei nachträglich aus Anlass dieses Prozesses erstellt worden, stellte einen Vortrag ins Blaue hinein dar.
Es ist zutreffend, dass das Verhalten der Beklagten nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar oder vernünftig war. Allerdings war auch das Verhalten der Klägerin nicht gerade plausibel und nachvollziehbar. Ein vernünftiges und plausibles Verhalten erleichtert die Würdigung eines solchen Sachverhaltes zweifellos. Allerdings bedeutet das nicht, dass - wenn ein Verhalten nicht stringent ist oder für außenstehende Dritte nicht plausibel ist, dass die Erklärungen solcher Personen automatisch in jeder Hinsicht unzuverlässig sind.
Der Z. hat den Vertrag als Handlungsbevollmächtigter gem. § 54 Abs. 1 HGB mit der Beklagten abgeschlossen. Der Werkleiter hat dazu bekundet, dass der Z. für die Führung des Strandbades und in dem Zuge auch für die damit verbundene Gastronomie verantwortlich gewesen sei. Die Klägerin hat nach außen kommuniziert, dass der Z. als Alleinverantwortlicher für die Gastronomie handelte. Indem die Klägerin ihn den Vertrag vom 27.2.2014 und auch die Folgeverträge mit der Beklagten hat abschließen lassen, hat sie ihn auch gegenüber der Beklagten zum Handlungsbevollmächtigten bestellt. Diese Handlungsvollmacht erstreckte sich damit auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
Wenn - wie hier - die nach außen kommunizierte Funktion die Leitung der Gastronomie ist, erfasst die Handlungsvollmacht alle Rechtsgeschäfte, die zur Aufgabenerfüllung üblich und notwendig sind. Die Verlängerung des Mietvertrages mit der Beklagten gehörte danach zum Betrieb des Gewerbes und war von der Vollmacht erfasst. Daran änderte auch die Laufzeit von 20 Jahren nichts. Diese ist im Bereich der Gewerbemiete nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlichkeit für das konkrete Unternehmen ist irrelevant. Soweit die Klägerin behauptete, dass der Z. nicht im Handelsregister eingetragen gewesen sei und sich daraus ergebe, dass er keine Vertretungsmacht habe, traf dies nicht zu. Denn die Handlungsvollmacht wird nicht im Handelsregister eingetragen.
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Die Klägerin hatte der Beklagten am 27.2.2014 eine Event-Location an einem Strandbad vermietet. Der Mietvertrag sah eine Vertragslaufzeit vom 1.3.2014 bis zum 31.1.2015 mit einer Verlängerungsoption bis zum 31.12.2016 vor und umfasste ein Cafe, eine Außenterrasse und eine Cocktailterrasse. Es folgten jährlich eine Verlängerung um jeweils ein weiteres Jahr bis zum 31.12.2019, zuletzt am 26.3.2019 bis zum 31.12.2020. Die Erklärungen seitens der Klägerin wurden jeweils von Z. unterschrieben. Am 15.5.2020 unterzeichneten Z. für die Klägerin und die Beklagte einen "Nachtrag zum Mietvertrag. Darin hieß es:
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Mit Schreiben vom 22.12.2020 wurde die Beklagte aufgefordert, die Räumlichkeiten bis zum 31.12.2020 herauszugeben. Die Beklagte verweigerte dies. Im Rahmen eines einsteiligen Verfügungsverfahren vor dem erkennenden Gericht schlossen die Klägerin und die Beklagte am 24.3.2021 einen Vergleich über die Nutzung der Räumlichkeiten bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Klärung der Wirksamkeit des Mietvertrages oder einer einverständlichen Aufhebung des Vertragsverhältnisses.
Es folgten mehrere fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigungen, zuletzt wegen des dringenden Verdachtes, dass ein Dokument nachträglich für diesen Prozess produziert worden sei und dies zur Aussprache einer Verdachtskündigung aus wichtigem Grund reiche. Die Klägerin behauptete, der Nachtrag befinde sich nicht in ihren Unterlagen und sei ihr nicht bekannt; er sei nachträglich durch die Beklagte für diesen Prozess erstellt worden. Zudem sei der Z. nicht berechtigt gewesen, die Vertragsverlängerung für die Klägerin zu vereinbaren. Er habe seine Vertretungsmacht missbraucht. Dies habe sich der Beklagten aufdrängen müssen
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Das Gericht hat den Eindruck, dass Z. durchaus mit eigenen Vorstellungen - auch undurchsichtig - agiert und - wie er selbst bekundet hat - komplett frei und eigenverantwortlich die Entscheidung getroffen hat. Seine Aussage fügt sich aber im Hinblick auf die Verlängerungsvereinbarung plausibel in die damalige Gesamtsituation ein. Bei der Würdigung der Aussagen der Zeugen war zu berücksichtigen, dass das Beweisthema ziemlich schlicht gestaltet war - der zufällige Blick auf den Vertrag und die erneute Unterzeichnung der Vereinbarung ergänzte durch die vorherigen Vereinbarungen -, so dass Begleitumstände dieser konkreten Situation zur Erhärtung der Zuverlässigkeit der Aussage nicht sehr zahlreich waren. Das bedeutete aber eben nicht, dass die Aussagen unzuverlässig waren. Der Vortrag der Klägerin, die Vereinbarung sei nachträglich aus Anlass dieses Prozesses erstellt worden, stellte einen Vortrag ins Blaue hinein dar.
Es ist zutreffend, dass das Verhalten der Beklagten nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar oder vernünftig war. Allerdings war auch das Verhalten der Klägerin nicht gerade plausibel und nachvollziehbar. Ein vernünftiges und plausibles Verhalten erleichtert die Würdigung eines solchen Sachverhaltes zweifellos. Allerdings bedeutet das nicht, dass - wenn ein Verhalten nicht stringent ist oder für außenstehende Dritte nicht plausibel ist, dass die Erklärungen solcher Personen automatisch in jeder Hinsicht unzuverlässig sind.
Der Z. hat den Vertrag als Handlungsbevollmächtigter gem. § 54 Abs. 1 HGB mit der Beklagten abgeschlossen. Der Werkleiter hat dazu bekundet, dass der Z. für die Führung des Strandbades und in dem Zuge auch für die damit verbundene Gastronomie verantwortlich gewesen sei. Die Klägerin hat nach außen kommuniziert, dass der Z. als Alleinverantwortlicher für die Gastronomie handelte. Indem die Klägerin ihn den Vertrag vom 27.2.2014 und auch die Folgeverträge mit der Beklagten hat abschließen lassen, hat sie ihn auch gegenüber der Beklagten zum Handlungsbevollmächtigten bestellt. Diese Handlungsvollmacht erstreckte sich damit auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
Wenn - wie hier - die nach außen kommunizierte Funktion die Leitung der Gastronomie ist, erfasst die Handlungsvollmacht alle Rechtsgeschäfte, die zur Aufgabenerfüllung üblich und notwendig sind. Die Verlängerung des Mietvertrages mit der Beklagten gehörte danach zum Betrieb des Gewerbes und war von der Vollmacht erfasst. Daran änderte auch die Laufzeit von 20 Jahren nichts. Diese ist im Bereich der Gewerbemiete nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlichkeit für das konkrete Unternehmen ist irrelevant. Soweit die Klägerin behauptete, dass der Z. nicht im Handelsregister eingetragen gewesen sei und sich daraus ergebe, dass er keine Vertretungsmacht habe, traf dies nicht zu. Denn die Handlungsvollmacht wird nicht im Handelsregister eingetragen.
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