Gewerberaummiete: Pandemiebedingte Betriebsbeschränkung eines Einzelhandelsgeschäfts
BGH v. 13.7.2022 - XII ZR 75/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte hat vom Kläger ein Ladenlokal mit einer Größe von 89,59 qm zur Nutzung als "Brot und Backwaren-Filiale mit Stehcafé" gemietet. Für den Cafébetrieb nutzt die Beklagte rd. 21 qm der Gesamtfläche. Die Bruttogesamtmiete beträgt rd. 3.500 € mtl. Aufgrund der COVID-19-Pandemie erteilte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) am 17.3.2020 auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG die Weisung, dass ab dem 18.3.2020 u.a. alle Cafés zu schließen sind. Durch § 9 Abs. 1 der Verordnung zum Schutz von Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 22.3.2020 mussten Cafés bis zum 19.4.2020 weiterhin geschlossen bleiben. Die Beklagte stellte den Cafébetrieb daraufhin in dem Untersagungszeitraum ein. Nach dem Zeitraum der vollständigen Untersagung des Cafébetriebs reduzierte die Beklagte die vor dem Ausbruch der Pandemie vorhandenen 16 Plätze im Cafébereich aufgrund von weiter geltenden Abstandsregelungen auf zehn Plätze.
Im Mai 2020 zahlte die Beklagte auf die vereinbarte Miete einen Betrag i.H.v. rd. 2.900 €, was einer Kürzung i.H.v. 20 % der Nettomiete, also von rd. 630 € entspricht. Mit Schreiben vom 4.5.2020 beantragte die Beklagte bei dem Kläger unter Berufung auf § 313 BGB eine befristete Anpassung des Mietvertrags aufgrund der mit Blick auf die behördlichen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie eingetretenen erheblichen Umsatzeinbußen. Eine Vertragsanpassung ließ der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 8.5.2020 zurückweisen.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger Zahlung der restlichen Miete für den Monat Mai 2020 i.H.v. rd. 630 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte, die sich im Wesentlichen damit verteidigt, dass die Miete aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in voller Höhe geschuldet gewesen sei, hat hilfsweise die Aufrechnung mit ihrer Auffassung nach aus den gleichen Gründen überzahlter Miete für März und April 2020 erklärt.
Das AG gab der Klage antragsgemäß statt. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein und erhob für den Fall des Berufungserfolgs Hilfszwischenfeststellungswiderklage, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die Miete für das streitgegenständliche Objekt mtl. um zumindest rd. 630 € gemindert ist. Das LG wies die Berufung zurück. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. § 535 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Zahlung der restlichen Miete für den Monat Mai 2020. Weder war die Miete in diesem Zeitraum nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert noch ist die Beklagte nach § 326 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit der von der Beklagten geschuldeten Leistung (§ 275 Abs. 1 BGB) teilweise von ihrer Zahlungsverpflichtung frei geworden. Ihr steht auch kein Anspruch aus § 313 Abs. 1 BGB auf eine Anpassung des Mietvertrags dahingehend zu, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Miete teilweise befreit ist. Schließlich bleibt auch die von der Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung ohne Erfolg, weil sie auch im März und April 2020 nicht berechtigt war, Teile der Miete einzubehalten bzw. zurückzufordern.
Das LG hat zu Recht angenommen, dass die Miete weder im Mai 2020 noch in dem der Hilfsaufrechnung zugrundeliegenden Zeitraum vom 18.3.2020 bis 19.4.2020 nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert war, weil die durch die Weisung des MAGS NRW vom 17.3.2020 und die nachfolgenden CoronaSchVO bewirkten Einschränkungen der Nutzbarkeit der Mietsache nicht einen Mangel des Mietgegenstands zur Folge hatten. Eine durch die COVID-19-Pandemie bedingte Betriebsbeschränkung eines Einzelhandelsgeschäfts führt eben nicht zu einem solchen Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
Ebenfalls zu Recht hat das LG angenommen, dass die Beklagte keinen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB dahingehend hat, dass die geschuldete Miete wegen der im Mai 2020 und in der Zeit vom 18.3.2020 bis 19.4.2020 geltenden Gebrauchsbeschränkungen herabgesetzt wird.
Für den Fall einer Geschäftsschließung oder -beschränkung, die auf eine hoheitliche Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, hat der Senat zwar zwischenzeitlich entschieden, dass ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht kommt (BGH v. 16.2.2022 - XII ZR 17/21). Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist allerdings grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen. Entgegen der Auffassung der Revision ist im vorliegenden Fall das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall von pandemiebedingten Betriebsschließungen oder -beschränkungen der Bäckereifiliale jedoch nicht vertraglich durch den Kläger übernommen worden.
Obwohl in den Fällen einer pandemiebedingten Betriebsschließung oder -beeinträchtigung die sog. realen und hypothetischen Elemente des § 313 Abs. 1 BGB regelmäßig erfüllt sind, kommt ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Vertragsanpassung nur in Betracht, wenn auch das sog. normative Element des § 313 Abs. 1 BGB gegeben ist. Die Vorschrift verlangt, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Zudem ist zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang der Mieter in der Zeit der Nutzungsbeschränkung Aufwendungen, etwa infolge geleisteter Kurzarbeit, erspart hat. Nach diesen Grundsätzen war die tatrichterliche Würdigung des LG aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Unzumutbarkeit der vollständigen Zahlung der geschuldeten Miete nicht ausreichend begründet.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
COVID-19-Pandemie: Gewerberaummiete und Störung der Geschäftsgrundlage im Urkundenprozess
BGH vom 16.02.2022 - XII ZR 17/21
Rainer Burbulla, MietRB 2022, 106
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Die Beklagte hat vom Kläger ein Ladenlokal mit einer Größe von 89,59 qm zur Nutzung als "Brot und Backwaren-Filiale mit Stehcafé" gemietet. Für den Cafébetrieb nutzt die Beklagte rd. 21 qm der Gesamtfläche. Die Bruttogesamtmiete beträgt rd. 3.500 € mtl. Aufgrund der COVID-19-Pandemie erteilte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) am 17.3.2020 auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG die Weisung, dass ab dem 18.3.2020 u.a. alle Cafés zu schließen sind. Durch § 9 Abs. 1 der Verordnung zum Schutz von Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 22.3.2020 mussten Cafés bis zum 19.4.2020 weiterhin geschlossen bleiben. Die Beklagte stellte den Cafébetrieb daraufhin in dem Untersagungszeitraum ein. Nach dem Zeitraum der vollständigen Untersagung des Cafébetriebs reduzierte die Beklagte die vor dem Ausbruch der Pandemie vorhandenen 16 Plätze im Cafébereich aufgrund von weiter geltenden Abstandsregelungen auf zehn Plätze.
Im Mai 2020 zahlte die Beklagte auf die vereinbarte Miete einen Betrag i.H.v. rd. 2.900 €, was einer Kürzung i.H.v. 20 % der Nettomiete, also von rd. 630 € entspricht. Mit Schreiben vom 4.5.2020 beantragte die Beklagte bei dem Kläger unter Berufung auf § 313 BGB eine befristete Anpassung des Mietvertrags aufgrund der mit Blick auf die behördlichen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie eingetretenen erheblichen Umsatzeinbußen. Eine Vertragsanpassung ließ der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 8.5.2020 zurückweisen.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger Zahlung der restlichen Miete für den Monat Mai 2020 i.H.v. rd. 630 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte, die sich im Wesentlichen damit verteidigt, dass die Miete aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in voller Höhe geschuldet gewesen sei, hat hilfsweise die Aufrechnung mit ihrer Auffassung nach aus den gleichen Gründen überzahlter Miete für März und April 2020 erklärt.
Das AG gab der Klage antragsgemäß statt. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein und erhob für den Fall des Berufungserfolgs Hilfszwischenfeststellungswiderklage, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die Miete für das streitgegenständliche Objekt mtl. um zumindest rd. 630 € gemindert ist. Das LG wies die Berufung zurück. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. § 535 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Zahlung der restlichen Miete für den Monat Mai 2020. Weder war die Miete in diesem Zeitraum nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert noch ist die Beklagte nach § 326 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit der von der Beklagten geschuldeten Leistung (§ 275 Abs. 1 BGB) teilweise von ihrer Zahlungsverpflichtung frei geworden. Ihr steht auch kein Anspruch aus § 313 Abs. 1 BGB auf eine Anpassung des Mietvertrags dahingehend zu, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Miete teilweise befreit ist. Schließlich bleibt auch die von der Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung ohne Erfolg, weil sie auch im März und April 2020 nicht berechtigt war, Teile der Miete einzubehalten bzw. zurückzufordern.
Das LG hat zu Recht angenommen, dass die Miete weder im Mai 2020 noch in dem der Hilfsaufrechnung zugrundeliegenden Zeitraum vom 18.3.2020 bis 19.4.2020 nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert war, weil die durch die Weisung des MAGS NRW vom 17.3.2020 und die nachfolgenden CoronaSchVO bewirkten Einschränkungen der Nutzbarkeit der Mietsache nicht einen Mangel des Mietgegenstands zur Folge hatten. Eine durch die COVID-19-Pandemie bedingte Betriebsbeschränkung eines Einzelhandelsgeschäfts führt eben nicht zu einem solchen Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
Ebenfalls zu Recht hat das LG angenommen, dass die Beklagte keinen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB dahingehend hat, dass die geschuldete Miete wegen der im Mai 2020 und in der Zeit vom 18.3.2020 bis 19.4.2020 geltenden Gebrauchsbeschränkungen herabgesetzt wird.
Für den Fall einer Geschäftsschließung oder -beschränkung, die auf eine hoheitliche Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, hat der Senat zwar zwischenzeitlich entschieden, dass ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht kommt (BGH v. 16.2.2022 - XII ZR 17/21). Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist allerdings grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen. Entgegen der Auffassung der Revision ist im vorliegenden Fall das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall von pandemiebedingten Betriebsschließungen oder -beschränkungen der Bäckereifiliale jedoch nicht vertraglich durch den Kläger übernommen worden.
Obwohl in den Fällen einer pandemiebedingten Betriebsschließung oder -beeinträchtigung die sog. realen und hypothetischen Elemente des § 313 Abs. 1 BGB regelmäßig erfüllt sind, kommt ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Vertragsanpassung nur in Betracht, wenn auch das sog. normative Element des § 313 Abs. 1 BGB gegeben ist. Die Vorschrift verlangt, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Zudem ist zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang der Mieter in der Zeit der Nutzungsbeschränkung Aufwendungen, etwa infolge geleisteter Kurzarbeit, erspart hat. Nach diesen Grundsätzen war die tatrichterliche Würdigung des LG aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Unzumutbarkeit der vollständigen Zahlung der geschuldeten Miete nicht ausreichend begründet.
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BGH vom 16.02.2022 - XII ZR 17/21
Rainer Burbulla, MietRB 2022, 106
Beratermodul Mietrecht und WEG-Recht
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