Grober Behandlungsfehler bei unterlassener Schnittentbindung trotz auffälliger Herzfrequenzwerte des Kindes
OLG Hamm 16.5.2014, 26 U 178/12Der klagende Landschaftsverband ist Kostenträger des im November 2002 mit gravierenden Geburtsschäden geborenen Jungen. Er hatte aus übergangenem Recht das beklagte Krankenhaus und die dort tätige beklagte Ärztin wegen geburtshilflicher Behandlungsfehler auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der infolge mangelnder Sauerstoffversorgung bei der Geburt schwer hirngeschädigte Junge kam im beklagten Krankenhaus zur Welt. Während des von der Beklagten betreuten Geburtsvorganges sanken die Herzfrequenzwerte des Kindes zeitweise lebensgefährlich ab. Eine Blutgasuntersuchung unterblieb. Anstelle einer Schnittentbindung wurde die Mutter zunächst ca. 15 Minuten und ohne Beschleunigung des Geburtsvorgangs auf einen Geburtshocker gesetzt, bevor es unter Einsatz von Kristallerhilfe schließlich zu einer - im Vergleich zu einer Schnittentbindung - um ca. 23 Minuten verzögerten, spontanen Geburt kam.
Das LG hatte nur auf eine eingeschränkte Feststellung dahingehend erkannt, dass diejenigen Aufwendungen zu ersetzen seien, die aus der fehlerhaft unterlassenen Entscheidung zu einer alsbaldigen Geburtsbeendigung und der daraus resultierenden um ca. 23 Minuten verspäteten Geburt herrührten. Insoweit sei eine Haftung gegeben, weil sich feststellen lasse, dass der Zustand des Klägers bei frühzeitiger Geburt deutlich besser gewesen wäre. Die hiergegen gerichteten Berufungen blieben vor dem OLG erfolglos. Das Berufungsurteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Es ist beim BGH unter dem Az. VI ZR 272/14 anhängig.
Die Gründe:
Die vom klagenden Landschaftsverband beantragte Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten war erfolgreich. Nach eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten konnten die Maßnahmen der Beklagten bei der Geburtshilfe in ihrer Gesamtheit als grob fehlerhaft bewertet werden.
Nach den festgestellten Auffälligkeiten bei den Herzfrequenzwerten des Kindes war der ca. 30-minütige Versuch, die Geburt unter Anwendung des Geburtshockers zu fördern, fehlerhaft gewesen. Wegen der Gefahr einer Kindesschädigung hätte man sich für eine sofortige Beendigung der Geburt durch eine Schnittentbindung entscheiden müssen. Die stattdessen in den letzten ca. 45 Minuten vor der Geburt durchgeführten Maßnahmen waren medizinisch nicht mehr nachvollziehbar und deswegen grob fehlerhaft.
Infolgedessen trat eine Beweislastumkehr ein. Somit hafteten die Beklagten für den Schaden des Kindes, auch wenn nicht sicher feststand, ob dieser erst infolge der ca. 23-minütigen Verzögerung vor der Geburt oder bereits zuvor eingetreten war.
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