28.11.2019

Grundsätzlich kein Beweis des ersten Anscheins bezüglich dem Vorliegen einer Unfallmanipulation

Für das Vorliegen einer Unfallmanipulation i.S.d. § 286 ZPO, die einem möglichen Anspruch einer durch ein Fahrzeug verursachten Schaden nach § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG entgegenstünde, genügt die Annahme der erheblichen Wahrscheinlichkeit nicht. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Grundsätzlich ist zudem kein Beweis des ersten Anscheins möglich.

BGH v. 1.10.2019 - VI ZR 164/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Schaustellerin und Eigentümerin eines Autoscooters, welchen sie auf einem Schützenfest betrieb. Gegen ca. 2:00 Uhr in der Nacht fuhr der beklagte Fahrer eines Mercedes Sprinter auf einem Fahrweg um die Ecke, kam vom Fahrweg ab und fuhr in das Fahrgeschäft der Klägerin hinein, wodurch dieses erheblich beschädigt wurde. Beklagte sind zudem die Haftpflichtversicherung, bei der das Fahrzeug versichert ist, sowie der Fahrzeughalter.

Das LG wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin wies das OLG zurück. Die Revision war vor dem BGH erfolgreich, womit die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen ist.

Die Gründe:
Ein Ersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG lässt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneinen.

Der Kläger hat im Haftpflichtprozess grundsätzlich das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale zu beweisen, wie auch der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer ein etwaiges Einverständnis des Geschädigten bezüglich der Verletzung seines Rechtsguts zu beweisen hat. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, das die volle Überzeugung des Tatgerichts erfordert. Dabei bedarf es keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.

Doch liegt in dieser Aufforderung zur lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßes der vollen Überzeugung. Irrig wäre daher die Annahme, der Tatrichter dürfe sich in Fällen dieser Art mit einer bloßen, wenn auch erheblichen Wahrscheinlichkeit begnügen. Er muss sich vielmehr aufgrund der Beweisaufnahme entscheiden, ob er eine Behauptung für wahr oder für unwahr hält. Insofern kann die objektiv erhebliche Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Geschehens zwar im Einzelfall zur Begründung der persönlichen Gewissheit des Tatrichters ausreichen, wenn dieser an sich mögliche Zweifel überwindet. Von der Erlangung der persönlichen Gewissheit des Richters von der Wahrheit darf jedoch nicht abgesehen werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins. Eine solche Beweiserleichterung in ist in Fällen der Unfallmanipulation nur in Ausnahmefällen denkbar, da es gerade im Wesen der Unfallmanipulation liegt, ein echtes Unfallgeschehen zumindest als möglich erscheinen zu lassen, weshalb die Entkräftung eines etwaigen Anscheins gewissermaßen "eingebaut" ist. Liegt - wie hier - keine Ausnahmekonstellation vor, rechtfertigt allein die Häufung von Beweiszeichen nicht die Anwendung des Anscheinsbeweises.

Nach diesen Grundsätzen ist ein Anspruch der Klägerin nicht auszuschließen. Der äußere Tatbestand der Rechtsgutverletzung ist festgestellt. Damit hat die Klägerin ihrer Vortrags- und Beweislast zunächst genügt. Soweit die beklagte Haftpflichtversicherung einwendete, die Klägerin sei mit der Verletzung ihres Rechtsguts einverstanden und der Unfall manipuliert gewesen, ließ das Berufungsgericht jedoch die bloß erhebliche Wahrscheinlichkeit der Unfallmanipulation genügen. Dieser Rechtsfehler ist auch erheblich. Sowohl das Vorliegen eines manipulierten Unfallgeschehens als auch ein Anspruch der Klägerin sind weiterhin möglich.
BGH online
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