23.07.2020

Haftung des gerichtlichen Sachverständigen wegen eines unrichtigen Gutachtens bei Vergleichsabschluss

Auf die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen wegen eines unrichtigen Gutachtens findet § 839a BGB analog Anwendung, wenn das Gerichtsverfahren durch einen Vergleich erledigt wurde, dessen Abschluss von dem Gutachten beeinflusst worden ist.

BGH v. 25.6.2020 - III ZR 119/19
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt eine Druckerei und nimmt den Beklagten, einen Sachverständigen für Druckmaschinen, unter dem Vorwurf der Erstellung eines unrichtigen Gerichtsgutachtens auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin erwarb im Jahre 2006 eine Bogenoffsetdruckmaschine, die ihr im Rahmen eines Finanzierungsleasingvertrags überlassen und im Februar 2007 in Betrieb genommen wurde. Nachdem es in der Folge mit der Verkäuferin zu einer Auseinandersetzung wegen der Druckgeschwindigkeit der gelieferten Maschine gekommen war, beauftragte die Klägerin noch im Jahre 2007 den Sachverständigen Dipl.-Ing. B. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Druckmaschine in keiner der durchgeführten Testreihen in der Lage gewesen sei, die geforderten Leistungsparameter (Durchsatzleistung) bei gleichmäßiger Ausbildung einer Schnittkante zu erbringen. Im anschließenden, auf Antrag der Klägerin durchgeführten selbständigen Beweisverfahren vor dem LG Würzburg stellte der dort beauftragte Sachverständige M fest, dass eine Unterschreitung der angesetzten Sollwerte der Druckgeschwindigkeit um mindestens 21-33% vorliege.

Die Klägerin erhob daraufhin gegen die Verkäuferin bei dem LG Würzburg Klage auf Zahlung von Schadensersatz, u.a. wegen entgangenen Gewinns. In diesem Prozess wurde der hiesige Beklagte zum Gerichtssachverständigen bestellt. In seinem Gutachten (nebst schriftlichen Ergänzungen und mündlicher Erläuterung) gelangte er zu dem Ergebnis, dass keine verminderte Druckgeschwindigkeit vorliege. Gestützt auf dieses Gutachten wies das LG die Klage ab. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung zum OLG Bamberg ein. Dieses wies mit Beschluss vom 23.9.2016 auf Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens des hiesigen Beklagten sowie darauf hin, dass ggf. weitere Beweiserhebungen erforderlich seien, wobei zunächst die rechtliche Bestimmung des Vertragssolls vorgenommen werden müsse. In der mündlichen Verhandlung vor dem OLG schlossen die Klägerin und die dort beklagte Verkäuferin auf Vorschlag des Gerichts einen Vergleich, wonach das Eigentum an der Druckmaschine auf die Klägerin übergeht und darüber hinaus sämtliche Ansprüche zwischen den Parteien sowie der Leasinggeberin für endgültig abgegolten und erledigt erklärt werden.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte habe vorsätzlich bzw. leichtfertig gewissenlos ein falsches Gutachten erstellt, auf welches sich das OLG Bamberg in seinem Hinweisbeschluss und in seinem Vergleichsvorschlag gestützt habe. Den dadurch entstandenen Schaden habe der Beklagte nach § 839a BGB bzw. nach § 826 BGB zu ersetzen. Der Beklagte hat gemeint, die Regelungen der §§ 839a, 826 BGB seien vorliegend nicht anwendbar, und ist dem Vorbringen der Klägerin auch im Übrigen entgegengetreten.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG kommt eine Haftung des Beklagten in Betracht, und zwar in analoger Anwendung von § 839a BGB.

Nach § 839a Abs. 1 BGB ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger, der vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Die Haftung nach dieser Vorschrift erfordert somit einen zweiaktigen Geschehensablauf, nämlich zum einen ein unrichtiges Gutachten, das Eingang in eine unrichtige gerichtliche Entscheidung gefunden hat, und zum anderen, dass diese ihrerseits den Schaden herbeigeführt hat. Hiernach ist das OLG zutreffend davon ausgegangen, dass § 839a BGB innerhalb seines Anwendungsbereichs eine abschließende Regelung der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen enthält und dessen deliktsrechtliche Haftung nach §§ 823 ff BGB verdrängt, mit der Folge, dass auch § 826 BGB neben § 839a BGB keine Anwendung findet.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG angenommen, dass § 839a BGB unmittelbar keine Anwendung findet, wenn das Gerichtsverfahren, in dem das Sachverständigengutachten erstattet worden ist, durch Vergleich beendet wird. Ein Vergleich stellt nämlich keine "gerichtliche Entscheidung" im Sinne dieser Vorschrift dar, und zwar auch dann nicht, wenn das Zustandekommen des Vergleichs auf einen Vorschlag des Gerichts zurückgeht oder durch Gerichtsbeschluss festgestellt wird; denn Letzteres ändert nichts daran, dass der Prozessausgang nicht durch das Gericht, sondern durch ein privatautonomes Rechtsgeschäft der Parteien bestimmt wird. Entgegen der Meinung des OLG ist jedoch eine Haftung des Beklagten im Wege einer analogen Anwendung von § 839a BGB möglich. Wird ein Gerichtsverfahren nach Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht durch eine hierauf beruhende gerichtliche Entscheidung, sondern einen durch das Gutachten beeinflussten Prozessvergleich beendet, so ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, die Haftung des Sachverständigen unterschiedlich zu behandeln, sondern eine analoge Anwendung von § 839a BGB geboten.

Ob ein Gerichtsverfahren, in dem ein Sachverständigengutachten eingeholt worden ist, von diesem beeinflusst durch eine Gerichtsentscheidung oder einen Vergleich erledigt wird, hängt oftmals von zufälligen Umständen ab, die es nicht angezeigt erscheinen lassen, für die Haftung des Sachverständigen divergierende Maßstäbe anzulegen. Der Sachverständige hat auf die Art der Erledigung des Prozesses nach Erstattung seines Gutachtens - Gerichtsentscheidung oder Vergleich - typischerweise keinen Einfluss. Überzeugende Alternativen zu einer analogen Anwendung von § 839a BGB bestehen nicht. Nach alldem war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Da weitere tatrichterliche Feststellungen zu treffen sind, kam eine eigene Sachentscheidung des Senats nach § 563 Abs. 3 ZPO nicht in Betracht. Das OLG hat ausdrücklich offengelassen, ob das Gutachten des Beklagten (mindestens grob fahrlässig) unrichtig und für den Vergleichsabschluss ursächlich war.
BGH online
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