Haftungsverteilung bei einer Kollision mit einer geöffneten und in die Gegenfahrbahn ragenden Fahrzeugtür bei Dunkelheit
LG Saarbrücken v. 11.11.2022, 13 S 23/22
Der Sachverhalt:
Die Ehefrau des Klägers fuhr am 1.9.2019 gegen 22 Uhr mit dem Pkw Opel Astra des Klägers die gleiche Straße wie der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw der Marke BMW. In entgegengesetzter Fahrtrichtung hielt der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug an einem Anwesen an und stieg aus. Dabei ließ er das Standlicht sowie die Innenbeleuchtung eingeschaltet und die Fahrertür geöffnet. In der Folge kollidierte die Ehefrau des Klägers mit der geöffneten Fahrertür des Beklagtenfahrzeugs, wodurch das klägerische Fahrzeug im Bereich der Anstoßstelle vorne links beschädigt wurde.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz für die Beschädigung des Fahrzeugs i.H.v. 1.903 € sowie auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 255 € in Anspruch genommen. Hierzu hat er geltend gemacht, seine Ehefrau habe die Straße mit der zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h befahren. Die Fahrertür des Beklagtenfahrzeugs sei vollkommen geöffnet gewesen und habe bis etwa in die Mitte der klägerischen Fahrspur hineingeragt. Der Unfall sei für sie unvermeidbar gewesen, da die geöffnete Fahrertür aufgrund einer Straßenkuppe erst bei Erreichen des Beklagtenfahrzeugs zu erkennen gewesen sei.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben geltend gemacht, die Ehefrau des Klägers sei mit weit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Die allenfalls 80 cm geöffnete Fahrertür sei für sie bereits von weitem erkennbar gewesen. Da sie hierauf nicht reagiert habe, habe sie den Unfall alleine verursacht. Für den Beklagten zu 1) sei das Unfallereignis hingegen unvermeidbar gewesen.
Das AG hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Schadensersatzsumme reduziert.
Die Gründe:
Ohne Beanstandung hat das AG festgestellt, dass ein Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten gegen § 14 Abs. 1 StVO in die Haftungsabwägung einzustellen war. Die Sorgfaltspflicht beschränkt sich danach nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht insoweit schon der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden.
Allerdings war auch dem Kläger ein Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten. Denn zu Lasten des Klägers war zu berücksichtigen, dass seine Ehefrau entweder gegen § 3 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 StVO (Verstoß gegen das Sichtfahrgebot) oder aufgrund Unaufmerksamkeit gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Nach der auf den hiesigen Sachverhalt zu übertragenden BGH-Rechtsprechung erlaubt das Auffahren auf ein die Fahrbahn versperrendes Kfz grundsätzlich eine alternative Schuldfeststellung dahin, dass entweder der Bremsweg des Auffahrenden länger als die Sichtweite oder seine Reaktion auf die rechtzeitig erkennbare Gefahr unzureichend gewesen sein muss. Abweichendes kann für Fallgestaltungen gelten, in denen der Anhalteweg aufgrund besonderer Umstände ohne Verschulden des Auffahrenden verkürzt worden ist, etwa durch ein von der Seite her in den Anhalteweg geratendes Hindernis, mit dem der Auffahrende nicht rechnen konnte. Derartige besondere Umstände lagen hier allerdings nicht vor.
Dass die Fahrertür des Beklagtenfahrzeugs erst im oder unmittelbar vor dem Moment der Vorbeifahrt der Ehefrau des Klägers geöffnet worden war, war weder ersichtlich noch vorgetragen. In solchen Fallgestaltungen ist die Wahlfeststellung nach der BGH-Rechtsprechung zwingend. Denn der Kraftfahrer darf auch bei Dunkelheit nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig vor einem Hindernis, das sich auf seiner Fahrbahn befindet, anhalten kann. Dabei hat der Kraftfahrer bei Dunkelheit seine Geschwindigkeit auch auf unbeleuchtete Hindernisse, insbesondere unbeleuchtet auf der Fahrbahn befindliche Fahrzeuge einzurichten.
Infolgedessen konnte die vom Erstgericht festgestellte Haftungsquote nicht aufrecht erhalten bleiben. Denn anders als das AG meinte, trat der dem Kläger anzulastende Sorgfaltspflichtverstoß gegen § 3 Abs. 1 oder § 1 Abs. 2 StVO nicht hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten gegen § 14 Abs. 1 StVO zurück. Die gem. § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmende Abwägung führte dazu, dass der Kläger ein Drittel seines Schadens selbst tragen muss. Die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges war dabei höher als die des klägerischen Fahrzeuges zu bewerten, da der Beklagte zu 1) durch eine zu weite Öffnung der Fahrertür eine erhebliche Gefahr geschaffen hatte.
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Die Ehefrau des Klägers fuhr am 1.9.2019 gegen 22 Uhr mit dem Pkw Opel Astra des Klägers die gleiche Straße wie der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw der Marke BMW. In entgegengesetzter Fahrtrichtung hielt der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug an einem Anwesen an und stieg aus. Dabei ließ er das Standlicht sowie die Innenbeleuchtung eingeschaltet und die Fahrertür geöffnet. In der Folge kollidierte die Ehefrau des Klägers mit der geöffneten Fahrertür des Beklagtenfahrzeugs, wodurch das klägerische Fahrzeug im Bereich der Anstoßstelle vorne links beschädigt wurde.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz für die Beschädigung des Fahrzeugs i.H.v. 1.903 € sowie auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 255 € in Anspruch genommen. Hierzu hat er geltend gemacht, seine Ehefrau habe die Straße mit der zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h befahren. Die Fahrertür des Beklagtenfahrzeugs sei vollkommen geöffnet gewesen und habe bis etwa in die Mitte der klägerischen Fahrspur hineingeragt. Der Unfall sei für sie unvermeidbar gewesen, da die geöffnete Fahrertür aufgrund einer Straßenkuppe erst bei Erreichen des Beklagtenfahrzeugs zu erkennen gewesen sei.
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Allerdings war auch dem Kläger ein Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten. Denn zu Lasten des Klägers war zu berücksichtigen, dass seine Ehefrau entweder gegen § 3 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 StVO (Verstoß gegen das Sichtfahrgebot) oder aufgrund Unaufmerksamkeit gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Nach der auf den hiesigen Sachverhalt zu übertragenden BGH-Rechtsprechung erlaubt das Auffahren auf ein die Fahrbahn versperrendes Kfz grundsätzlich eine alternative Schuldfeststellung dahin, dass entweder der Bremsweg des Auffahrenden länger als die Sichtweite oder seine Reaktion auf die rechtzeitig erkennbare Gefahr unzureichend gewesen sein muss. Abweichendes kann für Fallgestaltungen gelten, in denen der Anhalteweg aufgrund besonderer Umstände ohne Verschulden des Auffahrenden verkürzt worden ist, etwa durch ein von der Seite her in den Anhalteweg geratendes Hindernis, mit dem der Auffahrende nicht rechnen konnte. Derartige besondere Umstände lagen hier allerdings nicht vor.
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