29.08.2022

Hemmung der Verjährung durch nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren auch außerhalb des Gerichtsverfahrens

Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme.

BGH v. 7.7.2022 - IX ZR 144/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Restwerklohn i.H.v. rd. 680.000 €. Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Juli 2010 mit der Durchführung von Renovierungsarbeiten für eine Kindertagesstätte mit einem Auftragsvolumen von rd. 1,1 Mio. € netto. Die Parteien vereinbarten die Geltung der VOB/B. Der Kopf des Auftragsschreibens enthielt den Hinweis, bei der Rechnungsausstellung die Auftragsnummer "09A0634" anzugeben. Im Verlauf der Baumaßnahme kam es zu insgesamt 29 Nachträgen. Nachdem die Leistungen der Klägerin im Januar 2013 unter Vorbehalt näher bezeichneter Mängel abgenommen worden waren, erstellte die Klägerin ihre Schlussrechnung unter dem 24.9.2013 über einen Gesamtbetrag von rd. 2,1 Mio. €. Die Beklagte kürzte die Rechnungssumme mit der ersten Schlussrechnungsprüfung auf rd. 1,4 Mio. €, die der Klägerin im Januar 2014 übermittelt wurde. Die Klägerin erhob gegen die Schlussrechnungsprüfung Widerspruch, den sie, nachdem die Beklagte im April 2014 die Massenermittlungen übersandt hatte, im Mai 2014 begründete. Mit der daraufhin durchgeführten zweiten Schlussrechnungsprüfung kürzte die Beklagte die Rechnung der Klägerin auf rd. 1,4 Mio. € und zahlte den nach ihren Berechnungen unter Berücksichtigung bereits geleisteter Abschläge sich ergebenden Restbetrag von rd. 4.000 € an die Klägerin.

Am 30.12.2016 beantragte die Klägerin gegen die Beklagte den Erlass eines Mahnbescheids i.H.v. rd. 680.000 €. In dem Antrag bezeichnete sie die geltend gemachte Hauptforderung mit "Werkvertrag/Werklieferungsvertrag gemäß Restforderung aus Schlussrechnung SR 7804716 vom 24.9.2013". Die Bezeichnung "SR 7804716" entspricht der Rechnungsnummer der von der Klägerin gestellten Schlussrechnung. Der am 12.1.2017 erlassene Mahnbescheid wurde der Beklagten am 14.1.2017 zugestellt. Das Amt für Bundesbau teilte der Klägerin mit Schreiben vom 16.1.2017 mit, die Forderung könne ohne Nennung der Baumaßnahme nicht zugeordnet werden. Nachdem die Klägerin mit E-Mail an die Beklagte vom 17.1.2017 ihre Angaben im Mahnbescheid ergänzt und eine Zuordnung der Forderung ermöglicht hatte, legte die Beklagte am 25.1.2017 Widerspruch gegen den Mahnbescheid ein. Die Beklagte verteidigt sich gegen die Klageforderung u.a. mit der Einrede der Verjährung. Sie ist der Auffassung, der Mahnbescheid sei nicht hinreichend konkretisiert. Aufgrund der in dem Mahnbescheid allein mitgeteilten Schlussrechnungsnummer hätte die Klageforderung einem Bauvorhaben nicht zugeordnet werden können, da die Klägerin in dem Zeitraum von 2010 bis 2013 was unstreitig ist insgesamt 16 unterschiedliche Baumaßnahmen für die Beklagte in Rheinland-Pfalz realisiert habe.

Auf dieser Grundlage wies das LG die Klage wegen Verjährung ab. Die Zustellung eines Mahnbescheides gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB hemme den Lauf der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs nur, wenn der Anspruch gemäß den Anforderungen des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hinreichend individualisiert worden sei. Dies erfordere, dass die bezeichnete Forderung Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein und der Schuldner erkennen könne, welcher Anspruch durch den Mahnbescheid geltend gemacht werde, damit er beurteilen könne, ob und in welchem Umfang er sich zur Wehr setzen wolle. Die zweite Voraussetzung liege nicht vor. Aufgrund der Umstände des Falles habe die Beklagte die im Mahnbescheid bezeichnete Forderung nicht zuordnen können. Angegeben sei allein die Rechnungsnummer der Klägerin. Angesichts der insgesamt 16 verschiedenen Bauvorhaben, die die Klägerin für die Beklagte in Rheinland-Pfalz im Zeitraum von 2010 bis 2013 realisiert habe, hätte dies eine Zuordnung nicht ermöglicht.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das OLG wies darauf hin, dass es erwäge, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Nach Zustellung des Hinweisbeschlusses sind die Streithelfer der Klägerin - die Rechtsanwälte, die sie außergerichtlich und im Mahnverfahren gegenüber der Beklagten vertreten hatten - dem Rechtsstreit beigetreten und erwiderten auf den Hinweisbeschluss. In dieser Erwiderung trugen die Streithelfer der Klägerin vor, dass der Streithelfer zu 1) der beim Amt für Bundesbau zuständigen Referentin im Justiziariat, Frau L., am 29.12.2016 eine E-Mail unter dem Betreff des konkreten Bauvorhabens geschrieben habe, in der er mitgeteilt habe, dass in dieser Sache ein Mahnbescheidsantrag gestellt worden sei. Diesen Vortrag hat sich die Klägerin zu Eigen gemacht und vorgetragen, die E-Mail vom 29.12.2016 sei ihr "bisher nicht bewusst" gewesen. Das OLG wies die Berufung der Klägerin gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Auf die Beschwerde der Klägerin hob der BGH die angefochtene Entscheidung des OLG gem. § 544 Abs. 9 ZPO auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Daraufhin wies das OLG die Berufung der Klägerin durch das nunmehr angegriffene Urteil abermals wegen Verjährung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs zurück.

Auf die für die Klägerin eingelegte Revision ihrer Streithelfer hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden.

Nach den Feststellungen des OLG hat die Klägerin die Individualisierung des im Mahnverfahren geltend gemachten Anspruchs durch E-Mail an die Beklagte vom 17.1.2017 in unverjährter Zeit nachgeholt. Damit hat die Klägerin ab diesem Zeitpunkt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt. Die Klägerin hat unstreitig mit E-Mail vom 17.1.2017 an die Beklagte ergänzende Angaben zu dem mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruch gemacht und damit den Anspruch individualisiert. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch nicht verjährt, da die Verjährung des Anspruchs nach § 203 Satz 1 BGB zumindest im Zeitraum vom 29.4.2014 bis zum 27.5.2014 gehemmt war.

Schweben zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (§ 203 Satz 1 BGB). Daher durfte die Klägerin spätestens nach Zusendung der mehrfach angeforderten Massenermittlungen am 29.4.2014 davon ausgehen, die Beklagte lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des begehrten Restwerklohns ein. Die Hemmung dauerte zumindest bis zur Fertigung der Widerspruchsbegründung vom 27.5.2014, d.h. also mindestens 28 Tage. Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird nach § 209 BGB in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Restwerklohn von rd. 680.000 € verjährte dementsprechend nicht mit Ablauf des 31.12.2016 (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB), sondern zumindest nicht vor dem 29.1.2017.

Die Auffassung des OLG, die Klägerin hätte die geltend gemachten Ansprüche im Streitverfahren in nicht rechtsverjährter Zeit individualisieren müssen, ist nicht haltbar. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung hemmt die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. Es entspricht zudem der Rechtsprechung des BGH, dass die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs nachgeholt werden kann. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme. War zu diesem Zeitpunkt der mit dem Mahnbescheid geltend gemachte Anspruch noch nicht verjährt, wird mit der Nachholung der Individualisierung während des Mahnverfahrens die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist deshalb ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt.

Soweit das OLG für seine davon abweichende Rechtsauffassung auf Rechtsprechung des BGH verweist, ist das unbehelflich. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich nichts für die Meinung des OLG. In beiden in Bezug genommenen Entscheidungen (BGH v. 21.10.2008 - XI ZR 466/07; BGH v. 10.7.2008 - IX ZR 160/07) erfolgte die Nachholung der Individualisierung zwar durch Schriftsatz im Prozess. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, eine Nachholung außerhalb des Gerichtsverfahrens sei nicht möglich.

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Aufsatz:
Die neue Anwalts- und Inkassovergütung im gerichtlichen Mahnverfahren
Uwe Salten, MDR 2022, 69

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