19.04.2023

Heraufsetzung des pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO bei Naturalunterhalt für minderjähriges Kind

Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO verlangen. Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrags gem. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln.

BGH v. 15.3.2023 - VII ZB 68/21
Der Sachverhalt:
Der im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens volljährig gewordene Gläubiger betreibt auf der Grundlage eines Beschlusses des OLG Bremen von April 2019 wegen Unterhaltsrückstands für die Zeit vom 1.7.2020 bis zum 18.6.2021 sowie wegen laufenden Unterhalts ab dem 1.7.2021 die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner, seinen Vater. Auf Antrag des Gläubigers wurde ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner gepfändet worden sind. Der dem Schuldner zu belassende pfandfreie Betrag wurde auf 1.100 € je Monat festgesetzt. Der Schuldner beantragte, den ihm pfandfrei zu belassenden Betrag unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflichten gegenüber seiner im Jahr 2011 geborenen Tochter M, der er Naturalunterhalt leistet, heraufzusetzen.

Das AG - Vollstreckungsgericht - setzte daraufhin den pfandfrei zu belassenden Betrag wie folgt neu fest: "Dem Schuldner dürfen von dem errechneten Nettoeinkommen bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs für seinen eigenen notwendigen Unterhalt 1.100 € mtl. verbleiben sowie zur gleichmäßigen Befriedigung der Unterhaltsansprüche der berechtigten minderjährigen Person, die dem Gläubiger gleichsteht, ½ Anteile des Nettoeinkommens, das nach Abzug des notwendigen Unterhalts des Schuldners verbleibt." Die Beschwerde des Gläubigers hatte vor dem LG keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO verlangen.

Betreibt der Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen i.S.d. § 850d ZPO, ist dem Schuldner gem. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten gegenüber erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird. Gleiches hat zu gelten, wenn der Schuldner - wie hier - dem weiteren Unterhaltsberechtigten, der dem Gläubiger im Rang gleichsteht, Naturalunterhalt gewährt.

Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind in seinem Haushalt betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Die Gewährung von Naturalunterhalt ist gegenüber der Gewährung von Barunterhalt grundsätzlich gleichwertig. Die Unterhaltspflicht wird durch die Gewährung von Naturalunterhalt vollständig erfüllt. Dem entspricht es, dass der einem minderjährigen Kind gewährte Naturalunterhalt als Einkommen bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrags gem. § 850c Abs. 6 ZPO zu berücksichtigen ist. In einem Mangelfall ist der Naturalunterhalt in einen fiktiven Barunterhalts-anspruch umzurechnen. Dabei ist es sachgerecht, den Naturalunterhalt nicht niedriger anzusetzen als einen in vergleichbaren Verhältnissen zu zahlenden Barunterhalt.

Das LG hat den dem Schuldner über den eigenen notwendigen Unterhalt hinaus pfandfrei zu belassenden Betrag i.S.d. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch fehlerhaft nach Kopfteilen der auf einer Rangstufe stehenden Unterhaltsberechtigten bemessen. Der dem Schuldner über den eigenen notwendigen Unterhalt hinaus pfandfrei zu belassende Betrag i.S.d. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der gleichmäßigen Befriedigung aller gleichstehenden Berechtigten zu dienen. Dies bedeutet, dass bei der Bemessung dieses Betrags die Berechtigten entsprechend dem Verhältnis der ihnen jeweils gegen den Schuldner zustehenden Unterhaltsansprüche zu berücksichtigen sind. Insoweit ist von den gesetzlichen Unterhaltsansprüchen auszugehen. Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrags gem. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln.

Mehr zum Thema:

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Kapitel 6 | Unterhalt
Handbuch des Fachanwalts Familienrecht

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Kapitel 18 | Zwangsvollstreckung und Insolvenz
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