Hospiz als gewöhnlicher oder lediglich "schlichter" Aufenthalt?
OLG Schleswig-Holstein v. 17.3.2025 - 3x W 65/24
Der Sachverhalt:
Der ledige und kinderlose Erblasser wohnte seit 2012 in Y. Die Wohnung wurde erst nach seinem Tod aufgelöst. Seine Eltern (die Beteiligten zu 7) und 8) leben in X. Als er schwer erkrankt war, wurde er zunächst im Krankenhaus in Y. behandelt und dann am 20.4.2022 in ein Hospiz in X. verlegt, wo er am 22.6.2022 verstarb. Die Verlegung erfolgte laut "Erstantrag Hospizpflegebedürftigkeit" auf Wunsch des Erblassers, da "sowohl seine Eltern auch seine Lebensgefährtin" in X. lebten. In dem Fragebogen zur stationären Hospizpflegebedürftigkeit hieß es unter dem Punkt "Psychosoziale Betreuung": Vater [..]. Sodann weiter unter: "familiäre Situation": Eltern unterstützen, leben in X. und schließlich "dringend psychosoziale Begleitung erforderlich".
Der Erblasser hatte am 6.5.2022 in X. ein notarielles Testament errichtet, in dem er die Beteiligten zu 1) bis 6) als Erben zu gleichen Teilen einsetzte. Am 6.2.2024 beantragte die Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1) bis 6) als Miterben zu je 1/6 auswies. Die Notarin reichte den Antrag beim AG - Nachlassgericht - Y. ein, das den Erbscheinsantrag mit formloser Verfügung an das AG - Nachlassgericht - X. mit der Bitte um Übernahme abgab. Das Erbscheinsverfahren wurde am 5.3.2024 vom Nachlassgericht X. übernommen. Daraufhin stritten sich die Beteiligten darüber, welches der beiden Nachlassgerichte für die Erteilung des Erbscheins zuständig ist.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 13.8.2024 die zur Begründung des Antrags vom 6.2.2024 auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Zugleich hat es die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 6) hat es nicht abgeholfen. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Zu Recht hat das Nachlassgericht X. seine örtliche Zuständigkeit angenommen.
Dies ergab sich nicht bereits aus der Abgabe des Erbscheinsverfahrens an das Nachlassgericht X., welches das Verfahren übernommen hatte. Der formlosen Abgabe/Übernahme kam - anders als der Verweisung gem. § 3 FamFG - keine Bindungswirkung zu (vgl. Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 4 FamFG Rn. 7). Nach § 343 Abs. 1 FamFG ist das Gericht (für die Erteilung eines Erbscheins) zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Eine Definition des Begriffs bzw. Kriterien für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts enthält die Vorschrift nicht. Der gewöhnliche Aufenthalt ist von einem "schlichten" Aufenthalt abzugrenzen, der jegliche tatsächliche Anwesenheit an einem Ort umfasst. Ein solcher "schlichter" Aufenthalt reicht nicht aus, das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts zu erfüllen.
Insofern ist allein der Wechsel in ein Hospiz nicht geeignet, dort den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen zu begründen, da der Aufenthalt dort - auch wenn er willentlich geschieht und mit einer Rückkehr nicht gerechnet werden kann - in der Regel auf der (palliativ)medizinischen Notwendigkeit beruht, durchschnittlich nur für einen kurzen Zeitraum erfolgt und damit nicht geeignet ist, die erforderliche soziale Einbindung in das Umfeld zu begründen. Wann ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Hospiz begründet wird, ist immer einer Frage des Einzelfalls.
Der Erblasser hatte sich ausweislich des vorgelegten Antrages zur stationären Hospizaufnahme bewusst für die Aufnahme in einem Hospiz in X. entschieden, da sowohl "seine Eltern als auch seine Lebenspartnerin in X. leben" und die dringend erforderliche psychosoziale Begleitung durch den Vater (bzw. die Eltern) erfolgen sollte. Daraus konnte - unabhängig von der Frage, ob es diese Lebenspartnerin überhaupt gab - abgeleitet werden, dass der Wechsel nicht nur den äußeren Zwängen der Krankheit geschuldet war, sondern der Erblasser den Ortswechsel nach X. gerade auch im Hinblick auf die sozialen Bindungen (zumindest) zu seinen Eltern wünschte. Insoweit war auch zu berücksichtigen, dass es sich bei X. für den Erblasser nicht um eine gänzlich fremde Stadt, sondern um seinen Geburtsort und den Wohnort seiner Eltern handelte.
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Landesregierung Schleswig-Holstein
Der ledige und kinderlose Erblasser wohnte seit 2012 in Y. Die Wohnung wurde erst nach seinem Tod aufgelöst. Seine Eltern (die Beteiligten zu 7) und 8) leben in X. Als er schwer erkrankt war, wurde er zunächst im Krankenhaus in Y. behandelt und dann am 20.4.2022 in ein Hospiz in X. verlegt, wo er am 22.6.2022 verstarb. Die Verlegung erfolgte laut "Erstantrag Hospizpflegebedürftigkeit" auf Wunsch des Erblassers, da "sowohl seine Eltern auch seine Lebensgefährtin" in X. lebten. In dem Fragebogen zur stationären Hospizpflegebedürftigkeit hieß es unter dem Punkt "Psychosoziale Betreuung": Vater [..]. Sodann weiter unter: "familiäre Situation": Eltern unterstützen, leben in X. und schließlich "dringend psychosoziale Begleitung erforderlich".
Der Erblasser hatte am 6.5.2022 in X. ein notarielles Testament errichtet, in dem er die Beteiligten zu 1) bis 6) als Erben zu gleichen Teilen einsetzte. Am 6.2.2024 beantragte die Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1) bis 6) als Miterben zu je 1/6 auswies. Die Notarin reichte den Antrag beim AG - Nachlassgericht - Y. ein, das den Erbscheinsantrag mit formloser Verfügung an das AG - Nachlassgericht - X. mit der Bitte um Übernahme abgab. Das Erbscheinsverfahren wurde am 5.3.2024 vom Nachlassgericht X. übernommen. Daraufhin stritten sich die Beteiligten darüber, welches der beiden Nachlassgerichte für die Erteilung des Erbscheins zuständig ist.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 13.8.2024 die zur Begründung des Antrags vom 6.2.2024 auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Zugleich hat es die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 6) hat es nicht abgeholfen. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Zu Recht hat das Nachlassgericht X. seine örtliche Zuständigkeit angenommen.
Dies ergab sich nicht bereits aus der Abgabe des Erbscheinsverfahrens an das Nachlassgericht X., welches das Verfahren übernommen hatte. Der formlosen Abgabe/Übernahme kam - anders als der Verweisung gem. § 3 FamFG - keine Bindungswirkung zu (vgl. Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 4 FamFG Rn. 7). Nach § 343 Abs. 1 FamFG ist das Gericht (für die Erteilung eines Erbscheins) zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Eine Definition des Begriffs bzw. Kriterien für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts enthält die Vorschrift nicht. Der gewöhnliche Aufenthalt ist von einem "schlichten" Aufenthalt abzugrenzen, der jegliche tatsächliche Anwesenheit an einem Ort umfasst. Ein solcher "schlichter" Aufenthalt reicht nicht aus, das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts zu erfüllen.
Insofern ist allein der Wechsel in ein Hospiz nicht geeignet, dort den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen zu begründen, da der Aufenthalt dort - auch wenn er willentlich geschieht und mit einer Rückkehr nicht gerechnet werden kann - in der Regel auf der (palliativ)medizinischen Notwendigkeit beruht, durchschnittlich nur für einen kurzen Zeitraum erfolgt und damit nicht geeignet ist, die erforderliche soziale Einbindung in das Umfeld zu begründen. Wann ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Hospiz begründet wird, ist immer einer Frage des Einzelfalls.
Der Erblasser hatte sich ausweislich des vorgelegten Antrages zur stationären Hospizaufnahme bewusst für die Aufnahme in einem Hospiz in X. entschieden, da sowohl "seine Eltern als auch seine Lebenspartnerin in X. leben" und die dringend erforderliche psychosoziale Begleitung durch den Vater (bzw. die Eltern) erfolgen sollte. Daraus konnte - unabhängig von der Frage, ob es diese Lebenspartnerin überhaupt gab - abgeleitet werden, dass der Wechsel nicht nur den äußeren Zwängen der Krankheit geschuldet war, sondern der Erblasser den Ortswechsel nach X. gerade auch im Hinblick auf die sozialen Bindungen (zumindest) zu seinen Eltern wünschte. Insoweit war auch zu berücksichtigen, dass es sich bei X. für den Erblasser nicht um eine gänzlich fremde Stadt, sondern um seinen Geburtsort und den Wohnort seiner Eltern handelte.
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