15.05.2018

Innenausgleich zwischen Haftpflichtversicherern bei Mehrfachversicherung aufgrund Teilidentität von Interesse und Gefahr

Ist das identische Interesse gegen die identische Gefahr mehrfach haftpflichtversichert, liegt ein Fall des § 78 Abs. 1 Alt. 2 VVG vor, der zu einem Innenausgleich zwischen den Haftpflichtversicherern führt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Mehrfachversicherung nur für einen Teil bestimmter Tätigkeiten (hier: ambulante Vorbereitungsmaßnahmen eines Arztes in niedergelassener Tätigkeit für eine stationäre OP-Behandlung als Honorararzt) ergibt. Der Innenausgleich hat Vorrang vor einem Regress gegen den Versicherten nach § 86 Abs. 1 VVG.

BGH 13.3.2018, VI ZR 151/17
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Neurochirurg und praktiziert sowohl als niedergelassener Facharzt in eigener Praxis als auch als Honorararzt in dem Krankenhaus G. Das Krankenhaus ist bei der Klägerin haftpflichtversichert. Nach dem zwischen dem Beklagten und dem Krankenhaus geschlossenen Honorararztvertrag und einer entsprechenden Deckungsvereinbarung zwischen dem Krankenhaus und der Klägerin erstreckt sich die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses auch auf die Honorararztleistungen des Beklagten. Für seine Tätigkeit als niedergelassener Arzt unterhält der Beklagte eine eigene Haftpflichtversicherung bei der H. Versicherung AG.

Im Oktober 2009 kam der Patient S wegen seit Jahren andauernder Rückenschmerzen in die Praxis des Beklagten. Es wurde ein MRT veranlasst. Der Beklagte erläuterte dem Patienten sodann die weitere Behandlung inklusive einer möglichen OP. Der Patient entschloss sich zur OP. Der Beklagte führte dazu zunächst ein Aufklärungsgespräch in seiner Praxis durch und unternahm schließlich in seiner Funktion als Honorararzt die OP im Krankenhaus. Aufgrund von Komplikationen mussten zwei Revisionseingriffe unternommen werden, ohne dass ein beschwerdefreier Zustand erreicht wurde. Die Landesärztekammer stellte fest, dass die OP nicht oder nur relativ indiziert gewesen sei. Zudem seien die beiden ersten Operationen nicht fachgerecht durchgeführt worden. Der Beklagte habe einen Dauerschaden des Patienten verursacht. Schadensersatzansprüche seien gegeben.

Die Klägerin schloss daraufhin mit dem Patienten eine Abfindungsvereinbarung und zahlte ihm gegen den Verzicht aller Ansprüche gegen das Krankenhaus 170.000 €. Zudem zahlte sie 24.500 € an die gesetzliche Krankenkasse wegen von dieser geltend gemachten Behandlungskostenregresses. Die Klägerin forderte diese Beträge zzgl. Zinsen zur Hälfte von dem Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs zurück. Die darauf gerichtete Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Die Gründe:
Die Klägerin kann von dem Beklagten keine hälftige Erstattung der von ihr geleisteten Schadensersatzzahlungen aus dem bestehenden Gesamtschuldverhältnis zwischen Beklagten und dem Krankenhaus verlangen. Das Krankenhaus und der Beklagte sind dem Geschädigten als Gesamtschuldner zum Schadensersatz verpflichtet. Zwischen dem Krankenhaus und dem Beklagten liegt ein einheitliches Gesamtschuldinnenverhältnis vor. Es besteht keine gesonderte Gesamtschuld i.S.d. § 421 BGB insoweit, als der Beklagte zusätzlich womöglich wegen eines Behandlungsverschuldens im Rahmen seiner Praxistätigkeit haftet.

Soweit das Behandlungsverschulden des Beklagten im Rahmen seiner honorarärztlichen Tätigkeit für das Krankenhaus erfolgt ist, steht dem Krankenhaus als Versicherungsnehmer kein Ersatzanspruch gegen den Beklagten zu, der gem. § 86 Abs. 1 VVG auf die Klägerin als Versicherer übergegangen sein könnte. Dem Beklagten wird durch den Honorararztvertrag ein Haftpflichtschutz zugesagt, ohne dass ein Rückgriff vorbehalten ist. Der Beklagte ist insoweit auch kein Dritter i.S.d. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG, denn Dritter kann nur sein, wer nicht Versicherungsnehmer oder - wie der Beklagte durch die Erstreckung des Versicherungsschutzes - versicherte Person ist.

Soweit das Behandlungs- und Aufklärungsverschulden abtrennbar der niedergelassenen Tätigkeit des Beklagten zuzuordnen sein könnte, ist der Beklagte jedenfalls nicht passivlegitimiert. Es liegt ein Fall der Mehrfachversicherung vor. Das Haftungsrisiko für ein Fehlverhalten im Rahmen der Praxistätigkeit, welches später mitursächlich für die fehlerhafte OP geworden sein könnte, ist bei der H. Versicherung AG versichert. Dieser Versicherungsschutz träte damit neben den Versicherungsschutz, den der Beklagte der Erstreckung der Haftpflichtversicherung des Krankenhauses bei der Klägerin verdankt.

Im Streitfall ist daher das identische versicherte Interesse des Beklagten gegen die identische Gefahr mehrfach haftpflichtversichert. Dies führt zu einem Fall des Innenausgleichs zwischen den Haftpflichtversicherern gem. § 78 Abs. 1 Alt. 2 VVG. Eine Mehrfachversicherung liegt auch dann vor, wenn - wie hier - nur ein Teil bestimmter Tätigkeiten betroffen ist (sog. Teilidentität von Interesse und Gefahr). Der Innenausgleich hat Vorrang vor einem Regress nach § 86 Abs. 1 VVG. Passivlegitimiert für den Gesamtschuldnerausgleich ist damit allein die H. Versicherung AG.

Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des BGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

BGH online
Zurück