Jahrhunderthochwasser: Recht zur fristlosen Kündigung durch Mieter einer Gewerbefläche
LG Hagen v. 8.2.2023 - 23 O 36/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin als Mieterin hatte mit der Beklagten als Vermieterin Ende 2012 einen schriftlichen Gewerbemietvertrag abgeschlossen. Mietgegenstand war eine Ladenfläche im Erdgeschoss eines Einkaufszentrums mit einer Mietfläche von ca. 103,29 qm. Der Vertrag enthielt eine Klausel, wonach das Mietverhältnis in Fällen höherer Gewalt nicht erlischt, sondern lediglich die Pflicht des Mieters zur Zahlung der Miete endet und im Falle des Wiederaufbaus die Regelungen des Mietvertrages hinsichtlich der Erstellung des Gesamtobjektes und des Mietgegenstandes sowie der Übergabe und des Mietzahlungsbeginns entsprechend gelten. Im Übrigen war eine Kündigungsmöglichkeit nur dem Vermieter vorbehalten.
Die Klägerin erklärte am 10.6.2022 die außerordentliche fristlose Kündigung wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses, weil seit dem Hochwasser vom 14.7.2021 die gemieteten Räumlichkeiten fast 11 Monate nicht zur Verfügung gestanden hätten, ohne dass eine Wiedereröffnung absehbar sei. Hintergrund der Kündigung war, dass seit dem sog. Jahrhunderthochwasser nicht mehr wiedereröffnet werden konnte, weil die Sanierung bisher noch nicht beendet worden war. Die Beklagte wies die Kündigung zurück. Sie hatte keinen konkreten Fertigstellungstermin benannt.
Die Klägerin erklärte, es sei ihr unzumutbar, das Mietverhältnis fortzusetzen, allein die Aussetzung der Miete bis zur erneuten Wiedereröffnung würde ihre wirtschaftliche Lage nicht hinreichend ausgleichen. Die Beklagte vertrat die Auffassung, der Klägerin stehe kein Kündigungsrecht zu. Der Gewerbemietvertrag sehe nur die Aussetzung der Miete vor, nicht aber eine Kündigungsmöglichkeit der Mieterin.
Das LG hat festgestellt, dass der Gewerbemietvertrag zwischen den Parteien aufgrund der fristlosen Kündigung der Klägerin ist und zwischen den Parteien kein Mietverhältnis besteht.
Die Gründe:
Die Klägerin hat mit ihrem Schreiben vom 10.6.2022 wirksam die Kündigung ausgesprochen. Die Kündigung der Klägerin war wirksam gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da der Klägerin die Mietsache seit dem 15.7.2021 vollständig entzogen gewesen war.
Dem stand nicht entgegen, dass gemäß der Klausel im Mietvertrag eine solche Kündigungsmöglichkeit nicht bestand, sondern lediglich die Pflicht des Mieters zur Zahlung der Miete endete. Denn diese Klausel war unwirksam. Sie enthielt eine unangemessene Benachteiligung, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der in §§ 535 ff. BGB enthaltenen Regelungen, von denen abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Bei der genannten Klausel handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung, da sie in allen Mietverträgen der Beklagten enthalten war. Gem. § 310 Abs. 1 BGB ist die Anwendung des § 307 BGB auf Verträgen unter Kaufleuten nicht ausgeschlossen.
Die von der Beklagten verwendete Formularklausel nahm der Klägerin angesichts der völligen Unbestimmbarkeit des Zeitpunkts, zu dem sie das Mietobjekt wieder zu überlassen hat, jegliche Gewährleistungs- und Kündigungsrechte, die sich in einer ausgewogenen Vertragsgestaltung bei Nichtüberlassung ergeben könnten. Bei einer solchen Klausel wird das in § 542 Abs. 2 Nr. 1 BGB enthaltene Recht zur außerordentlichen Kündigung auch bei befristeten Mietverhältnissen in einer Weise eingeschränkt, die mit den wesentlichen Grundgedanken des Mietrechts nicht zu vereinbaren ist. Der Mieter ist allein durch den Entfall der Mietzahlung nicht hinreichend geschützt, da allein mit der Ersparnis der Miete der Unternehmer keinen Gewinn erzielen kann, was allein durch die Geschäftstätigkeit ermöglicht wird.
Da die Beklagte als Vermieterin keinen konkreten Fertigstellungstermin benannt hatte und auch nicht benennen musste, konnte sie - geschützt durch ihre allgemeine Geschäftsbedingung - über einen Zeitraum von nunmehr mehr als eineinhalb Jahren die Wiedereröffnung hinauszögern, ohne vertragliche Beschränkungen über die fehlende Mietzahlung hinaus hinnehmen zu müssen. Innerhalb eines solchen Zeitraums haben sich aber Kunden neu orientiert und wären für die Klägerin verloren, wenn sie nicht anderweitig Maßnahmen ergriffe. Eine Versicherung deckt einen solchen Verlust aber nicht ab. Wäre sie nun weiter ad ultimo an dem Vertrag gebunden, könnte sie diese Gefahr nur über das Risiko doppelter Vertragsbindung, um auf dem Markt sichtbar zu bleiben und deswegen für die Zwischenzeit einen weiteren Mietvertrag abzuschließen, abwenden. Das erscheint aber unangemessen.
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Justiz NRW
Die Klägerin als Mieterin hatte mit der Beklagten als Vermieterin Ende 2012 einen schriftlichen Gewerbemietvertrag abgeschlossen. Mietgegenstand war eine Ladenfläche im Erdgeschoss eines Einkaufszentrums mit einer Mietfläche von ca. 103,29 qm. Der Vertrag enthielt eine Klausel, wonach das Mietverhältnis in Fällen höherer Gewalt nicht erlischt, sondern lediglich die Pflicht des Mieters zur Zahlung der Miete endet und im Falle des Wiederaufbaus die Regelungen des Mietvertrages hinsichtlich der Erstellung des Gesamtobjektes und des Mietgegenstandes sowie der Übergabe und des Mietzahlungsbeginns entsprechend gelten. Im Übrigen war eine Kündigungsmöglichkeit nur dem Vermieter vorbehalten.
Die Klägerin erklärte am 10.6.2022 die außerordentliche fristlose Kündigung wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses, weil seit dem Hochwasser vom 14.7.2021 die gemieteten Räumlichkeiten fast 11 Monate nicht zur Verfügung gestanden hätten, ohne dass eine Wiedereröffnung absehbar sei. Hintergrund der Kündigung war, dass seit dem sog. Jahrhunderthochwasser nicht mehr wiedereröffnet werden konnte, weil die Sanierung bisher noch nicht beendet worden war. Die Beklagte wies die Kündigung zurück. Sie hatte keinen konkreten Fertigstellungstermin benannt.
Die Klägerin erklärte, es sei ihr unzumutbar, das Mietverhältnis fortzusetzen, allein die Aussetzung der Miete bis zur erneuten Wiedereröffnung würde ihre wirtschaftliche Lage nicht hinreichend ausgleichen. Die Beklagte vertrat die Auffassung, der Klägerin stehe kein Kündigungsrecht zu. Der Gewerbemietvertrag sehe nur die Aussetzung der Miete vor, nicht aber eine Kündigungsmöglichkeit der Mieterin.
Das LG hat festgestellt, dass der Gewerbemietvertrag zwischen den Parteien aufgrund der fristlosen Kündigung der Klägerin ist und zwischen den Parteien kein Mietverhältnis besteht.
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Dem stand nicht entgegen, dass gemäß der Klausel im Mietvertrag eine solche Kündigungsmöglichkeit nicht bestand, sondern lediglich die Pflicht des Mieters zur Zahlung der Miete endete. Denn diese Klausel war unwirksam. Sie enthielt eine unangemessene Benachteiligung, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der in §§ 535 ff. BGB enthaltenen Regelungen, von denen abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Bei der genannten Klausel handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung, da sie in allen Mietverträgen der Beklagten enthalten war. Gem. § 310 Abs. 1 BGB ist die Anwendung des § 307 BGB auf Verträgen unter Kaufleuten nicht ausgeschlossen.
Die von der Beklagten verwendete Formularklausel nahm der Klägerin angesichts der völligen Unbestimmbarkeit des Zeitpunkts, zu dem sie das Mietobjekt wieder zu überlassen hat, jegliche Gewährleistungs- und Kündigungsrechte, die sich in einer ausgewogenen Vertragsgestaltung bei Nichtüberlassung ergeben könnten. Bei einer solchen Klausel wird das in § 542 Abs. 2 Nr. 1 BGB enthaltene Recht zur außerordentlichen Kündigung auch bei befristeten Mietverhältnissen in einer Weise eingeschränkt, die mit den wesentlichen Grundgedanken des Mietrechts nicht zu vereinbaren ist. Der Mieter ist allein durch den Entfall der Mietzahlung nicht hinreichend geschützt, da allein mit der Ersparnis der Miete der Unternehmer keinen Gewinn erzielen kann, was allein durch die Geschäftstätigkeit ermöglicht wird.
Da die Beklagte als Vermieterin keinen konkreten Fertigstellungstermin benannt hatte und auch nicht benennen musste, konnte sie - geschützt durch ihre allgemeine Geschäftsbedingung - über einen Zeitraum von nunmehr mehr als eineinhalb Jahren die Wiedereröffnung hinauszögern, ohne vertragliche Beschränkungen über die fehlende Mietzahlung hinaus hinnehmen zu müssen. Innerhalb eines solchen Zeitraums haben sich aber Kunden neu orientiert und wären für die Klägerin verloren, wenn sie nicht anderweitig Maßnahmen ergriffe. Eine Versicherung deckt einen solchen Verlust aber nicht ab. Wäre sie nun weiter ad ultimo an dem Vertrag gebunden, könnte sie diese Gefahr nur über das Risiko doppelter Vertragsbindung, um auf dem Markt sichtbar zu bleiben und deswegen für die Zwischenzeit einen weiteren Mietvertrag abzuschließen, abwenden. Das erscheint aber unangemessen.
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