Kanzleiorganisation zur Sicherstellung der Wahrung von Fristen
BGH v. 19.2.2020 - XII ZB 458/19
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller verlangt von der Antragsgegnerin ein Nutzungsentgelt aufgrund eines den Beteiligten gemeinsam zustehenden Nießbrauchsrechts an einer Immobilie, die die Antragsgegnerin seit der Trennung der Beteiligten allein bewohnt. Das AG wies den Antrag mit einem dem Antragsteller am 20.5.2019 zugestellten Beschluss zurück. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17.6.2019, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, Beschwerde ein. Das OLG wies den Antragsteller am 26.7.2019 darauf hin, dass die Beschwerde innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht begründet worden und deshalb beabsichtigt sei, die Beschwerde zu verwerfen. Daraufhin beantragte der Antragsteller mit einem am 9.8.2019 beim OLG eingegangenen Schriftsatz, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Er begründete dies wie folgt: Die Überwachung von Notfristen sei im Büro seines Verfahrensbevollmächtigten so organisiert, dass der zuständige Rechtsanwalt vor Ausstellung des Empfangsbekenntnisses auf der Urteilsausfertigung die Rechtsmittelfrist vermerke und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte weiterleite. Diese notiere die Frist in einem besonderen Fristenkalender und trage zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist ein, jeweils mit einem auffälligen Hinweis auf die Frist (z.B. "Beschwerdebegründungsfrist"). Außerdem werde die Eintragung im Fristenkalender in den Handakten vermerkt. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Sache dem Rechtsanwalt mit einem auffälligen Vermerk "Fristsache" gesondert vorgelegt. Die Eintragung und die Kontrolle obliege der geschulten und zuverlässigen Büromitarbeiterin A, die in diesem Fall versehentlich nur die Vorfrist notiert und als gewöhnliche Frist behandelt habe. Dies habe dazu geführt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers die Akte bei Ablauf der Vorfrist ohne den sonst üblichen Fristvermerk mit der normalen Vorlage erhalten habe. Am Tage des Fristablaufs sei dieser nicht daran erinnert worden.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf zugleich die Beschwerde. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Der Antragsteller hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.d. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO versäumt. Das Versäumnis beruht auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, welches sich der Antragsteller nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden.
Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt.
Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt nach ständiger BGH-Rechtsprechung den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies schon ab der Zustellung des Beschlusses möglich und zumutbar, weil die zweimonatige Begründungsfrist mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses beginnt. So ist ihm die Fristenüberprüfung insbesondere bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich. Dabei darf der Anwalt sich allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen.
Soweit das OLG bei der Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers habe nicht glaubhaft gemacht, dass das Fristversäumnis ausschließlich auf einem Kanzleiversehen beruhe, das sich der Antragsteller nicht nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, hat es damit keine Verfahrensgrundrechte des Antragstellers, insbesondere nicht dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
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Der Antragsteller verlangt von der Antragsgegnerin ein Nutzungsentgelt aufgrund eines den Beteiligten gemeinsam zustehenden Nießbrauchsrechts an einer Immobilie, die die Antragsgegnerin seit der Trennung der Beteiligten allein bewohnt. Das AG wies den Antrag mit einem dem Antragsteller am 20.5.2019 zugestellten Beschluss zurück. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17.6.2019, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, Beschwerde ein. Das OLG wies den Antragsteller am 26.7.2019 darauf hin, dass die Beschwerde innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht begründet worden und deshalb beabsichtigt sei, die Beschwerde zu verwerfen. Daraufhin beantragte der Antragsteller mit einem am 9.8.2019 beim OLG eingegangenen Schriftsatz, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Er begründete dies wie folgt: Die Überwachung von Notfristen sei im Büro seines Verfahrensbevollmächtigten so organisiert, dass der zuständige Rechtsanwalt vor Ausstellung des Empfangsbekenntnisses auf der Urteilsausfertigung die Rechtsmittelfrist vermerke und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte weiterleite. Diese notiere die Frist in einem besonderen Fristenkalender und trage zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist ein, jeweils mit einem auffälligen Hinweis auf die Frist (z.B. "Beschwerdebegründungsfrist"). Außerdem werde die Eintragung im Fristenkalender in den Handakten vermerkt. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Sache dem Rechtsanwalt mit einem auffälligen Vermerk "Fristsache" gesondert vorgelegt. Die Eintragung und die Kontrolle obliege der geschulten und zuverlässigen Büromitarbeiterin A, die in diesem Fall versehentlich nur die Vorfrist notiert und als gewöhnliche Frist behandelt habe. Dies habe dazu geführt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers die Akte bei Ablauf der Vorfrist ohne den sonst üblichen Fristvermerk mit der normalen Vorlage erhalten habe. Am Tage des Fristablaufs sei dieser nicht daran erinnert worden.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf zugleich die Beschwerde. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Der Antragsteller hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.d. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO versäumt. Das Versäumnis beruht auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, welches sich der Antragsteller nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden.
Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt.
Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt nach ständiger BGH-Rechtsprechung den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies schon ab der Zustellung des Beschlusses möglich und zumutbar, weil die zweimonatige Begründungsfrist mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses beginnt. So ist ihm die Fristenüberprüfung insbesondere bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich. Dabei darf der Anwalt sich allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen.
Soweit das OLG bei der Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers habe nicht glaubhaft gemacht, dass das Fristversäumnis ausschließlich auf einem Kanzleiversehen beruhe, das sich der Antragsteller nicht nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, hat es damit keine Verfahrensgrundrechte des Antragstellers, insbesondere nicht dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.