24.01.2022

Kein Ausschluss durch AGB: Erhebliches Schmerzensgeld nach Verkehrsunfall mit nicht verkehrssicherem Mietwagen

Die verschuldensunabhängige Garantiehaftung des Vermieters für anfängliche Mängel der Mietsache kann für die Verletzung von Kardinalpflichten nicht durch AGB ausgeschlossen werden. Zu diesen Kardinalpflichten gehört beim Mietwagenvertrag die Überlassung eines Fahrzeugs, dessen technischer Zustand das sichere Fahren insbesondere durch funktionsfähige Lenkung und Bremsen gewährleistet.

OLG Frankfurt a.M. v. 30.12.2021 - 2 U 28/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte betrieb eine gewerbliche Autovermietung. Als gewerbliche Stammkundin mietete die Klägerin bei der Beklagten im Herbst 2010 für eine Woche ein Fahrzeug für eine Fahrt von Frankfurt nach Berlin und zurück nutzte. Gemäß Ziff. 8 der Mietvertragsbedingungen haftete die Beklagte für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit der Mieter nur bei grobem Verschulden oder fahrlässigen Pflichtverletzungen.

Auf dem Hinweg nach Berlin informierte die Klägerin die Beklagte, dass sie Probleme habe, in den zweiten Gang zu schalten. Auf der Rückfahrt geriet das Fahrzeug - während die Klägerin versuchte, die geöffnete Seitenscheibe hochzukurbeln und hierzu ihre linke Hand vom Steuer nahm - plötzlich ins Schleudern. Gegenlenken war nicht möglich. Das Fahrzeug schleuderte weiter, schaukelte sich auf, kippte nach links und rutschte über die linke Seite über den Fahrbahnrand hinaus in eine Grünfläche. Beim Umkippen des Mietfahrzeugs geriet der linke Arm der Klägerin durch das Fenster und wurde abgetrennt. Die Klägerin erlitt durch den Unfall schwerste Verletzungen. Eine Replantation des Armes war nicht möglich.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld i.H.v. 120.000 €, eine Schmerzensgeldrente und die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden wegen des Verkehrsunfalls.

Das LG wies die Klage ab. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin änderte das OLG das Urteil ab und gab der Klage überwiegend statt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Beklagte die Zulassung der Revision beim BGH beantragen.

Die Gründe:
Die Klägerin kann Schadensersatz verlangen, da das gemietete Fahrzeug mangelhaft war. Im Kardangelenk der unteren Lenksäule ist bereits bei der Fertigung ein Lager nicht richtig verbaut worden. Gemäß den Ausführungen des Sachverständigen war das Fahrzeug damit von Anfang an prinzipiell nicht verkehrssicher. Das Kreuzgelenk hat sich während der gesamten Laufleistung aus der Lageraufnahme herausgearbeitet und ist dann plötzlich während der Fahrt der Klägerin herausgesprungen. Für diesen von der Beklagten nicht verschuldeten Mangel des Fahrzeugs haftet die Beklagte. Der Unfall ist durch diesen Mangel verursacht worden.

Die Beklagte kann sich hier nicht auf den vereinbarten Haftungsausschluss für unverschuldete Schäden berufen. Kraft Gesetzes (§ 536 a Abs. 1 BGB) haftet der Vermieter auch für unverschuldete Mängel der Mietsache, soweit sie bereits bei Vertragsschluss bestanden. Diese verschuldensunabhängige gesetzliche Haftung kann zwar grundsätzlich durch AGB ausgeschlossen werden. Dies gilt aber nicht, wenn sich der Haftungsausschluss auf Schäden im Zusammenhang mit der Verletzung einer sog. Kardinalpflicht, also einer wesentlichen Pflicht, des Vermieters bezieht. Zu diesen Kardinalpflichten gehört es, ein verkehrssicheres Fahrzeug zu vermieten, bei dem insbesondere Lenkung und Bremsen funktionsfähig sind. Der Mieter würde unangemessen entgegen Treu und Glauben benachteiligt, wenn die Klausel auch Schäden aus der Verletzung derartiger im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflichten des Vermieters umfassen würde.

Den typischen Vertragszweck prägende Pflichten dürfen nicht durch einen Haftungsausschluss ausgehöhlt werden. Das Fahren im Straßenverkehr mit hoher Geschwindigkeit begründet stets eine latente erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Insassen. Ein Mieter muss sich darauf verlassen können, dass das ihm anvertraute Fahrzeug verkehrstüchtig und frei von solchen Mängeln ist, die eine erhebliche Gefahr für ihn begründen können. Unter Berücksichtigung der hier vorliegenden prägenden Einzelfallumstände steht der Klägerin ein Schmerzensgeld von 90.000 € sowie eine mtl. Schmerzensgeldrente von 160 € zu.

Mehr zum Thema:
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OLG Frankfurt a.M. PM vom 24.1.2022
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