24.01.2023

Kein Widerrufsrecht des Aufhebungsvertrages des Luftbeförderungsvertrages

Das Erklärungsbewusstsein hat zunächst grundsätzlich keine konstitutive Bedeutung für das Vorhandensein einer Willenserklärung, der Geschäftswillen ebenfalls nicht. Auch ohne Erklärungsbewusstsein bzw. ein Bewusstsein, etwas Rechtserhebliches zu tun, liegt eine Willenserklärung gerade aufgrund des Schutzes vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.

LG Frankfurt a.M. v. 12.1.2023 - 2-24 O 39/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte bei der Beklagten neben einem Inlandsflug in Südafrika Flüge von Frankfurt a.M. nach Johannesburg (Südafrika) am 16.2.2022 und zurück am 6.3.2022 für sich und ihren Mann gebucht. Es war vereinbart, dass die ordentliche Kündigung ausgeschlossen war, aber nicht verbrauchte Steuern und Gebühren erstattet werden können, wenn die Flüge nicht angetreten werden sollten. Die Beklagte bot auch Ende Dezember 2021 Möglichkeiten zur kostenfreien Umbuchung von Flügen aus Anlass der Pandemie an. Zu diesem Zeitpunkt war Südafrika als Virus-Variantengebiet eingestuft.

Der Mann der Klägerin begab sich am 26.12.2021 in die auf seinem Mobiltelefon befindliche App der Beklagten, in der die Buchungsdaten hinterlegt waren. Er ging davon aus, dass er der Beklagten erst mitteilen muss, dass die Reisenden die gebuchten Flüge nicht antreten werden, um hiernach ein neues Flugdatum auswählen zu können. Er klickte die Option zur Erstattung, bei der die Beklagte die Stornierung und Erstattung der Flugbuchung auf Basis der Tarifbedingungen vornahm. Er erhielt sodann eine Stornierungsbestätigung. Die Beklagte erstattete pro Passagier lediglich 138,56 € und nicht die weiteren auf die Eheleute entfallenden Ticketkosten i.H.v. 5.784,90 €.

Am 29.12.2020 wandte sich die Klägerin per E-Mail an die Beklagte und erklärte, dass es nicht gewollt gewesen sei, die Reise komplett zu stornieren. Er bat um Rücknahme/Annullierung der Stornierung und das Einräumen der Möglichkeit der zeitnahen Umbuchung der Flüge bzw. eine Gutschrift für eine spätere Flugbuchung zu erhalten. Die Beklagte lehnte dies ab, zuletzt am Tag des ursprünglich geplanten Abfluges.

Die Klägerin behauptete, Ihr Ehemann habe aufgrund der Corona-bedingten Entwicklungen in Südafrika ein anderes Flugdatum wählen wollen. Er habe kostenfrei umbuchen und die Flüge nicht stornieren wollen. Es habe keinen Button "Umbuchen" an erster Stelle gegeben, der Button zur Erstattung sei nicht mit "Stornieren/Erstatten" beschrieben gewesen. Ihr Ehemann sei es zudem gewohnt gewesen und davon ausgegangen, dass für jeden Eingriff in eine Buchung bei der Beklagten im Internet noch weitere hier fehlende Zwischenschritte erforderlich seien, so etwa eine nochmalige Bestätigung oder die Anforderung umfassender Buchungsdaten.

Das LG wies die Zahlungsklage ab.

Die Gründe:
Klägerin hat aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Rückerstattung des Beförderungsentgelts i.H.v. 5.784,90 € oder auf Schadensersatz in dieser Höhe.

Zwischen den Parteien kam ein Aufhebungsvertrag zustande (§§ 133, 157 BGB), der die bestätigte Buchung jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft beseitigte. Der Ehemann der Klägerin hatte der Beklagten ein Angebot auf eine Vertragsaufhebung durch das Anklicken der Erstattungsoption in der App gemacht, § 145 BGB. Er hat der Beklagten mitgeteilt, dass er und die Klägerin die ursprünglich gebuchten Flüge nicht antreten werden (§§ 133, 157 BGB). Ob der Button "Erstatten/stornieren" so bezeichnet war, konnte hier offenbleiben, ebenfalls der wirkliche Wille des Ehemannes. Es kommt bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung allein auf den objektiven Empfängerhorizont aus der Sicht eines objektiven Dritten an (§§ 133, 157 BGB). Dass die Kündigung vertraglich ausgeschlossen war, stand einem auf die Vertragsaufhebung gerichteten Verständnis in der Person der Beklagten nicht entgegen.

Der Ansicht der Klägerin, dass ein Erklärungsbewusstsein bei dem Klick der Erstattungsoption gefehlt und deshalb bei dem Anklicken keine Willenserklärung vorgelegen habe, war nicht zu folgen (§ 286 Abs. 1 ZPO). Das Erklärungsbewusstsein hat zunächst grundsätzlich keine konstitutive Bedeutung für das Vorhandensein einer Willenserklärung, der Geschäftswillen ebenfalls nicht. Auch ohne Erklärungsbewusstsein bzw. ein Bewusstsein, etwas Rechtserhebliches zu tun, liegt eine Willenserklärung gerade aufgrund des Schutzes vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.

Auch eine Anfechtung der auf den Aufhebungsvertrag gerichteten Willenserklärung des Ehemanns schied aus. Die Klägerin konnte keinen Anfechtungsgrund i.S.d. §§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 BGB nachweisen, weder ein fehlendes Erklärungsbewusstsein, noch einen Rechtsfolgenirrtum oder ein Irrtum in der Erklärungshandlung in der Person des Zedenten (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Ein fehlendes Erklärungsbewusstsein war nicht nachgewiesen. Der Ehemann hatte zur Überzeugung des Gerichts gewusst, dass er etwas Rechtserhebliches erklärte, in dem er die Erstattungsoption anklickte. Er hat dies auch gewollt. Insofern schied auch ein Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB aus. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, ist kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum.

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Aufsatz
Charlotte Achilles-Pujol
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
MDR 2023, 65

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