Keine Entschädigung eines Reiseveranstalters bei pandemiebedingter Reisestornierung im März 2020
OLG Frankfurt a.M. v. 30.6.2022 - 16 U 132/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger buchte für sich und seine Frau im August 2018 bei der Beklagten eine mehrtägige Flugreise nach Kanada, die - nach Umbuchung - im Juli/August 2020 stattfinden sollte. Er zahlte den Preis von gut 6.000 € an die Beklagte. Nach den Reisebedingungen entfällt im Fall des Rücktritts der Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen, die bis zum 31. Tag vor Reisebeginn 25 % des Reisepreises beträgt. Keine Entschädigung kann verlangt werden, "wenn am Bestimmungsort oder in unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise...erheblich beeinträchtigen".
Mitte März 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er unter Symptomen des Corona-Virus leide und die Reise im Hinblick auf die Umstände u.a. in Kanada storniere. Eine angebotene Verschiebung der Reise auf das Folgejahr lehnte er ab und begehrte vor dem LG Rückzahlung des vollen Reisepreises. Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung 90% zurück. Das LG verurteilte die Beklagte auch zur Zahlung der zwischen den Parteien streitigen restlichen 10%.
Die Berufung hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Gegen das Urteil ist die Revision zum BGH zugelassen worden.
Die Gründe:
Der Kläger kann Rückerstattung auch des restlichen Reisepreises verlangen. Die Beklagte hat durch das eindeutig als Rücktritt auszulegende Schreiben des Klägers vom März 2020 ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren.
Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Entschädigung für die Stornierung in Höhe von den hier geltend gemachten 10 % des Reisepreises. Der Entschädigungsanspruch ist vielmehr gemäß den Reisebedingungen im Hinblick auf vorliegende unvermeidbare außergewöhnliche Umstände, die die Reisedurchführung beeinträchtigten, ausgeschlossen. Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliegt, ist prognostisch - ex ante - zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu beurteilen. Auf spätere - zwischen Rücktrittserklärung und ursprünglich geplanten Reisebeginn - eintretende geänderte Umstände zu Gunsten oder zulasten einer Partei kommt es nicht mehr an.
Dabei besteht ein Rücktrittsrecht wegen nicht voraussehbarer höherer Umstände schon dann, "wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit erheblicher - und nicht erst dann, wenn mit ihm mit überwiegender - Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist". Eine Eintrittswahrscheinlichkeit ab einer Größenordnung von 20 bis 25 % genügt in der Regel. Dies markiert zugleich "die Grenze zwischen lediglich subjektiv empfundenen Gefahren und einer sachlich begründeten Befürchtung für erhebliche Beeinträchtigungen".
Diese erhebliche Wahrscheinlichkeit hat hier bestanden. Die Parteien sind sich einig, dass bei Kündigung bereits Reisebeschränkungen bestanden und es sich bei dem bis dahin völlig unbekannten SARS-Cov-2-Virus und der möglichen Pandemie um ein unberechenbares Geschehen handelte, für dessen weitere Entwicklung im März 2020 keine sicheren oder auch nur belastbaren Prognosen aufgestellt werden konnten. Kann bei zwei Alternativen keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der einen oder anderen gemacht werden, besteht eine Wahrscheinlichkeit von jeweils 50% zu 50%.
Soweit zwischen Rücktritt und Reisebeginn ein Zeitraum von vier Monaten gelegen hat, hat der Kläger auch nicht noch abwarten müssen, wie sich die Verbreitung und die Gefahren der Pandemie weiterentwickelten. Eine derartige Wartefrist ist gesetzlich nicht vorgesehen; ein Zuwarten ist dem Reisenden auch nicht zumutbar.
Mehr zum Thema:
Kurzbeitrag:
AG Frankfurt a.M.: Volle Reisepreis-Erstattung bei Stornierung wegen Corona-Krise,
ZIP 2020, R70
Rechtsprechung:
Reiserücktrittversicherung: Anspruchsübergang auf den Versicherer,
BGH vom 21.04.2021 - IV ZR 169/20, MDR 2021, 748
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OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 55 vom 30.6.2022
Der Kläger buchte für sich und seine Frau im August 2018 bei der Beklagten eine mehrtägige Flugreise nach Kanada, die - nach Umbuchung - im Juli/August 2020 stattfinden sollte. Er zahlte den Preis von gut 6.000 € an die Beklagte. Nach den Reisebedingungen entfällt im Fall des Rücktritts der Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen, die bis zum 31. Tag vor Reisebeginn 25 % des Reisepreises beträgt. Keine Entschädigung kann verlangt werden, "wenn am Bestimmungsort oder in unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise...erheblich beeinträchtigen".
Mitte März 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er unter Symptomen des Corona-Virus leide und die Reise im Hinblick auf die Umstände u.a. in Kanada storniere. Eine angebotene Verschiebung der Reise auf das Folgejahr lehnte er ab und begehrte vor dem LG Rückzahlung des vollen Reisepreises. Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung 90% zurück. Das LG verurteilte die Beklagte auch zur Zahlung der zwischen den Parteien streitigen restlichen 10%.
Die Berufung hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Gegen das Urteil ist die Revision zum BGH zugelassen worden.
Die Gründe:
Der Kläger kann Rückerstattung auch des restlichen Reisepreises verlangen. Die Beklagte hat durch das eindeutig als Rücktritt auszulegende Schreiben des Klägers vom März 2020 ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren.
Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Entschädigung für die Stornierung in Höhe von den hier geltend gemachten 10 % des Reisepreises. Der Entschädigungsanspruch ist vielmehr gemäß den Reisebedingungen im Hinblick auf vorliegende unvermeidbare außergewöhnliche Umstände, die die Reisedurchführung beeinträchtigten, ausgeschlossen. Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliegt, ist prognostisch - ex ante - zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu beurteilen. Auf spätere - zwischen Rücktrittserklärung und ursprünglich geplanten Reisebeginn - eintretende geänderte Umstände zu Gunsten oder zulasten einer Partei kommt es nicht mehr an.
Dabei besteht ein Rücktrittsrecht wegen nicht voraussehbarer höherer Umstände schon dann, "wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit erheblicher - und nicht erst dann, wenn mit ihm mit überwiegender - Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist". Eine Eintrittswahrscheinlichkeit ab einer Größenordnung von 20 bis 25 % genügt in der Regel. Dies markiert zugleich "die Grenze zwischen lediglich subjektiv empfundenen Gefahren und einer sachlich begründeten Befürchtung für erhebliche Beeinträchtigungen".
Diese erhebliche Wahrscheinlichkeit hat hier bestanden. Die Parteien sind sich einig, dass bei Kündigung bereits Reisebeschränkungen bestanden und es sich bei dem bis dahin völlig unbekannten SARS-Cov-2-Virus und der möglichen Pandemie um ein unberechenbares Geschehen handelte, für dessen weitere Entwicklung im März 2020 keine sicheren oder auch nur belastbaren Prognosen aufgestellt werden konnten. Kann bei zwei Alternativen keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der einen oder anderen gemacht werden, besteht eine Wahrscheinlichkeit von jeweils 50% zu 50%.
Soweit zwischen Rücktritt und Reisebeginn ein Zeitraum von vier Monaten gelegen hat, hat der Kläger auch nicht noch abwarten müssen, wie sich die Verbreitung und die Gefahren der Pandemie weiterentwickelten. Eine derartige Wartefrist ist gesetzlich nicht vorgesehen; ein Zuwarten ist dem Reisenden auch nicht zumutbar.
Kurzbeitrag:
AG Frankfurt a.M.: Volle Reisepreis-Erstattung bei Stornierung wegen Corona-Krise,
ZIP 2020, R70
Rechtsprechung:
Reiserücktrittversicherung: Anspruchsübergang auf den Versicherer,
BGH vom 21.04.2021 - IV ZR 169/20, MDR 2021, 748
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