Keine Entschädigung für Reiseveranstalter bei Stornierung und Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung
LG Frankfurt a.M. v. 23.2.2023 - 2-24 S 166/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte vor Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie bei der Beklagten einen Hotelaufenthalt in Los Angeles (USA) im Zeitraum vom 8.9.2020 bis 26.9.2020 über ein Online-Reisebüro zum Gesamtpreis von 3.276 € gebucht. Die Flüge buchte die Klägerin separat. Andere Reiseleistungen buchte die Klägerin bei der Beklagten nicht. In der von der Klägerin vorgelegten Reisebestätigung der Beklagten wurde auf die "Reisebedingungen" der Beklagten hingewiesen. Darin hieß es auszugsweise:
"4.2 Treten Sie vor dem Reisebeginn zurück oder treten Sie die Reise nicht an, so verlieren wir den Anspruch auf den Reisepreis. Stattdessen können wir eine angemessene Entschädigung verlangen, soweit der Rücktritt nicht von uns zu vertreten ist oder am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen; (...)."
In Ziffer 19.3 ist für Hotels bei einem Rücktritt bis zum 42. Tag vor Reisebeginn eine Stornopauschale i.H.v. 20 % vorgesehen (= 655,20 €).
Die Klägerin zahlte im August 2019 vereinbarungsgemäß 655 € an. Seit März 2020 bestand eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die USA unverändert fort (letztere zum bis 30.9.2020). Es bestand seit März 2020 auch ein in der Folge nicht aufgehobenes Einreiseverbot in die USA (bis 7.11.2021). Die Klägerin stornierte deshalb die Buchung am 16.7.2020. Die Beklagte bestätigte dies mit Nachricht vom 20.7.2020 und verwies auf "bekannte" Stornokosten von 655 €.
Die Klägerin verlangte die Rückzahlung der Anzahlung. Die Beklagte behielt diese mit Verweis auf ihre AGB und eine aus ihrer Sicht mögliche Beförderung in das Zielgebiet sowie eine behauptete uneingeschränkte Nutzbarkeit der Leistungen vor Ort ein. Das AG hat der Zahlungsklage stattgegeben. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte ungeachtet der vertragscharakterlichen Einordnung des gegenseitigen Vertrages und des Bestehens eines gesetzlichen Rücktrittsgrundes einen Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung gem. § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. der AGB der Beklagten, dem die Beklagte keine Entschädigung mit Erfolg entgegenhalten kann.
Die Parteien hatten das vertragliche Rücktrittsrecht, wie es in der AGB der Beklagten vorgesehen ist, wirksam vereinbart. Die AGB der Beklagten bei der Buchung über das Online-Reisebüro waren über einen Hyperlink aufrufbar sowie speicherbar und ausdruckbar. Außerdem können Kunden ohne eine Zustimmung zu den AGB systembedingt die Buchung nicht abschließen. Das Rücktrittsrecht i.S.d. AGB der Beklagten fand kraft Vereinbarung der Parteien - wie hier - auch auf die Buchung eines bloßen Hotelaufenthalts Anwendung. Der Vereinbarung einer Pauschalreise i.S.d. §§ 651a ff. BGB bedurfte es insoweit nicht. Die Klägerin hat das ihr eröffnete vertragliche Rücktrittsrecht der Beklagten gegenüber am 16.7.2020 ausgeübt. Die Folge dieses erklärten Rücktritts vom Vertrag war, dass die Beklagte den Anspruch auf den Reisepreis verloren hat und - über § 346 Abs. 1 BGB - an die Klägerin zurückzahlen musste.
Die Beklagte konnte dem Anspruch auf Rückerstattung keine Entschädigung gemäß ihrer AGB entgegenhalten, weil diese Klausel gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Verstoßes gegen das Leitbild der § 651h Abs. 2, 3 S. 1 BGB unwirksam bzw. die Entschädigung selbst bei einer Auslegung zugunsten der Beklagten ausgeschlossen war. Gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Klausel unangemessen und dementsprechend unwirksam, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Welche gesetzlichen Regelungen das Leitbild für die Bewertung der abändernden Klausel bilden, hängt von dem von den Parteien gewählten Vertragstyp ab.
Nach Auffassung der Kammer haben die Parteien vorliegend entsprechend der einbezogenen AGB der Beklagten die Regelungen des Pauschalreiserechts i.S.d. §§ 651a ff. BGB zum vertraglichen Leitbild erhoben - auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereiches der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) und des § 651a Abs. 3 BGB; mit anderen Worten auch außerhalb einer Vereinbarung von zwei verschiedenen Reiseleistungen. Die Beklagte hat gegenüber ihrem Vertragspartner, hier der Klägerin, hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass insbesondere auch die Schutzvorschriften der §§ 651a ff. BGB dem Vertragspartner der Beklagten zugutekommen sollen. Die Klägerin konnte und durfte sich darauf verlassen. Die Pauschalreise-Richtlinie oder die §§ 651a ff. BGB stehen der Vereinbarung einer sog. "gewillkürten Pauschalreise" als gewähltem Vertragstyp nicht entgegen.
Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Leitbildes der §§ 651a ff. BGB war die AGB der Beklagten hinsichtlich des Reiserücktritts unwirksam, weil sie § 651h Abs. 3 S. 1 BGB in sein Gegenteil verkehrte. Die Unangemessenheit und Unwirksamkeit der Klausel hat zur Folge, dass zugunsten der Beklagten keine pauschalierte Entschädigung i.S.d. AGB entstanden war und es entsprechend der AGB dabei bleibt, dass die Beklagte bei einem Rücktritt des Vertragspartners den Anspruch auf den Reisepreis verliert und die Anzahlung an die Klägerin i.H.v. 655 € erstatten muss.
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Aufsatz
Charlotte Achilles-Pujol
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
MDR 2023, 65
Aktionsmodul Zivilrecht:
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Die Klägerin hatte vor Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie bei der Beklagten einen Hotelaufenthalt in Los Angeles (USA) im Zeitraum vom 8.9.2020 bis 26.9.2020 über ein Online-Reisebüro zum Gesamtpreis von 3.276 € gebucht. Die Flüge buchte die Klägerin separat. Andere Reiseleistungen buchte die Klägerin bei der Beklagten nicht. In der von der Klägerin vorgelegten Reisebestätigung der Beklagten wurde auf die "Reisebedingungen" der Beklagten hingewiesen. Darin hieß es auszugsweise:
"4.2 Treten Sie vor dem Reisebeginn zurück oder treten Sie die Reise nicht an, so verlieren wir den Anspruch auf den Reisepreis. Stattdessen können wir eine angemessene Entschädigung verlangen, soweit der Rücktritt nicht von uns zu vertreten ist oder am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen; (...)."
In Ziffer 19.3 ist für Hotels bei einem Rücktritt bis zum 42. Tag vor Reisebeginn eine Stornopauschale i.H.v. 20 % vorgesehen (= 655,20 €).
Die Klägerin zahlte im August 2019 vereinbarungsgemäß 655 € an. Seit März 2020 bestand eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die USA unverändert fort (letztere zum bis 30.9.2020). Es bestand seit März 2020 auch ein in der Folge nicht aufgehobenes Einreiseverbot in die USA (bis 7.11.2021). Die Klägerin stornierte deshalb die Buchung am 16.7.2020. Die Beklagte bestätigte dies mit Nachricht vom 20.7.2020 und verwies auf "bekannte" Stornokosten von 655 €.
Die Klägerin verlangte die Rückzahlung der Anzahlung. Die Beklagte behielt diese mit Verweis auf ihre AGB und eine aus ihrer Sicht mögliche Beförderung in das Zielgebiet sowie eine behauptete uneingeschränkte Nutzbarkeit der Leistungen vor Ort ein. Das AG hat der Zahlungsklage stattgegeben. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte ungeachtet der vertragscharakterlichen Einordnung des gegenseitigen Vertrages und des Bestehens eines gesetzlichen Rücktrittsgrundes einen Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung gem. § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. der AGB der Beklagten, dem die Beklagte keine Entschädigung mit Erfolg entgegenhalten kann.
Die Parteien hatten das vertragliche Rücktrittsrecht, wie es in der AGB der Beklagten vorgesehen ist, wirksam vereinbart. Die AGB der Beklagten bei der Buchung über das Online-Reisebüro waren über einen Hyperlink aufrufbar sowie speicherbar und ausdruckbar. Außerdem können Kunden ohne eine Zustimmung zu den AGB systembedingt die Buchung nicht abschließen. Das Rücktrittsrecht i.S.d. AGB der Beklagten fand kraft Vereinbarung der Parteien - wie hier - auch auf die Buchung eines bloßen Hotelaufenthalts Anwendung. Der Vereinbarung einer Pauschalreise i.S.d. §§ 651a ff. BGB bedurfte es insoweit nicht. Die Klägerin hat das ihr eröffnete vertragliche Rücktrittsrecht der Beklagten gegenüber am 16.7.2020 ausgeübt. Die Folge dieses erklärten Rücktritts vom Vertrag war, dass die Beklagte den Anspruch auf den Reisepreis verloren hat und - über § 346 Abs. 1 BGB - an die Klägerin zurückzahlen musste.
Die Beklagte konnte dem Anspruch auf Rückerstattung keine Entschädigung gemäß ihrer AGB entgegenhalten, weil diese Klausel gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Verstoßes gegen das Leitbild der § 651h Abs. 2, 3 S. 1 BGB unwirksam bzw. die Entschädigung selbst bei einer Auslegung zugunsten der Beklagten ausgeschlossen war. Gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Klausel unangemessen und dementsprechend unwirksam, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Welche gesetzlichen Regelungen das Leitbild für die Bewertung der abändernden Klausel bilden, hängt von dem von den Parteien gewählten Vertragstyp ab.
Nach Auffassung der Kammer haben die Parteien vorliegend entsprechend der einbezogenen AGB der Beklagten die Regelungen des Pauschalreiserechts i.S.d. §§ 651a ff. BGB zum vertraglichen Leitbild erhoben - auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereiches der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) und des § 651a Abs. 3 BGB; mit anderen Worten auch außerhalb einer Vereinbarung von zwei verschiedenen Reiseleistungen. Die Beklagte hat gegenüber ihrem Vertragspartner, hier der Klägerin, hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass insbesondere auch die Schutzvorschriften der §§ 651a ff. BGB dem Vertragspartner der Beklagten zugutekommen sollen. Die Klägerin konnte und durfte sich darauf verlassen. Die Pauschalreise-Richtlinie oder die §§ 651a ff. BGB stehen der Vereinbarung einer sog. "gewillkürten Pauschalreise" als gewähltem Vertragstyp nicht entgegen.
Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Leitbildes der §§ 651a ff. BGB war die AGB der Beklagten hinsichtlich des Reiserücktritts unwirksam, weil sie § 651h Abs. 3 S. 1 BGB in sein Gegenteil verkehrte. Die Unangemessenheit und Unwirksamkeit der Klausel hat zur Folge, dass zugunsten der Beklagten keine pauschalierte Entschädigung i.S.d. AGB entstanden war und es entsprechend der AGB dabei bleibt, dass die Beklagte bei einem Rücktritt des Vertragspartners den Anspruch auf den Reisepreis verliert und die Anzahlung an die Klägerin i.H.v. 655 € erstatten muss.
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